Workshop

Workshop

worin vorkommen: Schladming, Liechtenstein, Wien, Feistritz an der Gail, das Hotel 'Alte Post', Villach, Hermagor, Slowenien, Italien, das Gailtal, der Spitzegel, Nötsch, der Dobratsch, das Schloss Wasserleonsburg, das Bleiberger Tal, Labientschach, Sankt Georgen, die Windische Höh, sowie der Rechtsanwalt als Wirt

„Wie seid ihr eigentlich zusammengekommen, die Finnin und der Wiener?“


Eine oft und oft gehörte Frage.


„In Schladming“, pflegte ich zu antworten.


„Aha, beim Schifahren“, war die zumeist geäußerte Vermutung.


Dann folgte die Kurzfassung von ‚Meine Schmisse‘.


Schladming, selbst wenn wir es vergessen hätten können, wäre immer wieder hochgekocht. Das gewaltige Seminar der Pscheidls mit Teilnehmern aus ganz Europa und darüber hinaus. Die hochgestochenen Vorträge. Die Abendveranstaltungen. Die verkappte Bindung der Teilnehmer an das Unternehmen Avus. Etwas Derartiges wollte ich auch zustande bringen. Ich rechnete mir aus, wie hoch die Kosten sein würden für – nein, nicht so ein Event wie das des Burgbesitzers mit Autokennzeichen aus Liechtenstein – aber vielleicht ein klitzekleines Seminärchen mit zwanzig Teilnehmern. Ein Seminartag, zwei Nächtigungen, ein feines Abendessen mit Unterhaltungseinlage? Viel schon. Aber durfte man knausern bei Repräsentationskosten?


Dazu kam, dass in der Wirtschaft der Begriff Compliance an Bedeutung gewann. In der Allianz in Wien beispielsweise waren weihnachtliche Aufmerksamkeiten in Flaschen plötzlich verpönt. Zuletzt war mir die Idee gekommen, die Alkoholgrade durch Bildungsgrade zu ersetzen. Es gab da so Bücherpakete, Sammlungen von Klassikern mit vielleicht fünfzig Büchern pro Paket. Der Preis war günstig. Ich kaufte ein Paket für jeden wichtigeren Auftraggeber. Ich verschenkte aber nicht die einzelnen Bücher, sondern überließ die Bibliothek den Mitarbeitern einer Abteilung zur freien Entlehnung der Einzelbände. Das schien mir mit Complianceregeln vereinbar. Als ich die Bücher übergab, trat einer der Mitarbeiter von hinten an mich heran und flüsterte: „Und weg‘n die Flasch‘n – die könn‘ ma in der Tiefgarage umlad‘n.“ Zum Glück war ich mit einem Überschuss ausgestattet.


Mein Workshop, rechnete ich mir aus, würde die Compliance nicht verletzen und sich doch günstig auf die Kundenbeziehungen auswirken. Zum Ausprobieren wählte ich unseren wichtigsten Auftraggeber aus, die Rechtsschutzabteilung der Allianz in Wien. Die Damen und Herren Mitarbeiter freuten sich auf einen schönen Herbsttag in Kärnten. Schindlegger ließ sich das Vorhaben von der Direktion absegnen und schon war der Termin fixiert. Als Veranstaltungsort wählte ich das Hotel ‚Alte Post‘ in unserer Nachbargemeinde Feistritz an der Gail. Das Haus ist fünfhundert Jahre alt und diente in dieser Zeit als Poststation, Gasthof, Krämer, Sparkasse, Holzhandel, Pferdezucht, und zuletzt wieder Hotel.


Wenn mir jemand gesagt hätte, dass ich bei diesem Rechtsanwalt, Dr. Ludwig Druml in Villach, eines Tages zu Gast sein würde, nie im Leben, hätte ich gesagt. Es war der lausige Streit um ein mickriges Honorar für die Vertretung eines Bobos, der es sich nach einer Weile anders überlegte. Ich stellte ihm eine kleine Summe für bisherige Aufwendungen in Rechnung. Er wollte nicht zahlen und ich reichte eine Mahnklage ein. Er rannte zu Druml und ließ widersprechen. Es kam zu einer Verhandlung beim Bezirksgericht. Der Bobo, Druml und ich warteten auf dem Gang vor dem Verhandlungsraum auf den Aufruf. Ich selbst hatte mich nicht vertreten lassen. Die Sache war zu unwichtig, aber ärgerlich. Ich hatte ja wirklich Besseres zu tun, als hier meine Zeit zu vertrödeln. Ich stand am Fenster und schaute hinunter auf den Parkplatz. Hinter mir lästerten die Beiden beharrlich über meine ‘Leistungen’, insbesondere Drumls Zynismen brachten mich in Rage. Er wollte mich provozieren und es wäre ihm fast gelungen, wenn nicht in diesem Moment die Sache aufgerufen worden wäre. Vor dem Richter ging es genauso weiter. Dem schienen die Bosheiten Drumls sogar Spaß zu machen. Ob ich so etwas eigentlich machen dürfte, das sollte ich erst einmal beweisen. Druml grinste dreckig. Was der macht, ist Winkelschreiberei. Ich beantragte Vertagung zur Vorlage meines Gewerbescheins und Einvernahme des Zeugen Dr. Anton Gradischnig, Präsident der Kärntner Rechtsanwaltskammer. Von da an hörten die Provokationen auf. Der Richter drängte auf einen Vergleich. Ich sah ein, dass es ein Schmiss war, diese Klage einzureichen. Wieviel Zeit wollte ich noch verlieren mit diesem Unsinn? Wir verglichen uns auf die Hälfte bei Kostenaufhebung. Außer der verlorenen Zeit hatte ich sowieso keine Kosten.


Derselbe Dr. Ludwig Druml hatte vor Kurzem das alte Gebäude in Feistritz gekauft. Zusammen mit seiner windischen Frau hat er den alten Kasten liebevoll und, soweit ich es beurteilen kann, mit Respekt auf den Denkmalschutz restauriert. Es ist ein Gasthof der gehobenen Kategorie geworden mit Gaststube für die lokale Gästeschaft, einem anspruchsvollen Restaurant, wohlausgestatteten Zimmern, hübsch und stilgemäß, einem großen Seminarsaal und einem familiäreren Vortragsraum, alle mit zeitgemäßer Technik. Einer alten Veranda, die einmal als Außengang gedient haben mag, hat man die durchgehende Außenfront mit ihren unzähligen kleinen Fensterscheiben gelassen und einen Speiseraum für Seminargäste des Vortragraums geschaffen. Dem großen Seminarsaal ist ein riesiger Gastraum benachbart, der je nach Bedarf als Speise- oder Ballsaal, Tanzsalon mit Bar oder dergleichen verwendbar ist. Eine Location solchen Formats ragt über den kleinen Ort Feistritz weit hinaus, selbst wenn man die weitere Umgebung zwischen Villach und Hermagor einbezieht. Die Drumls bemühten sich nach Kräften, das Haus mit Leben zu erfüllen. Sie veranstalteten Ausstellungen, Lesungen und Konzerte, wobei die windische Hausfrau bei der Auswahl der Genres und der Künstler den Stempel ihrer Herkunft aufdrückte. Man war, wie ich finde, zu Recht stolz auf die Zweisprachigkeit, die man jedem Plakat ablesen konnte. Soweit ich weiß, wurde dies in der Bevölkerung gut akzeptiert, obwohl das politische Klima nicht immer günstig dafür war. Neben den Veranstaltungen versuchte man, die Biker aus dem nahen Italien anzulocken.


Soile und ich waren nicht sehr oft, aber mehrmals allein oder mit Gästen zum Abendessen in der Alten Post. Die Küche war erlebnisreich im besten Sinn, eine Mischung aus Kärnten, Slowenien und Italien, anständig und leistbar. Ich mag mich irren, aber ich glaube mitbekommen zu haben, dass anfänglich ein Haubenkoch in der Küche fuhrwerkte, was sich aber auf die Dauer nicht ausgehen konnte. Danach übernahm Frau Druml selber das Kommando. Sie machte dabei, soweit ich dabei war, immer gute Figur, während der Herr Rechtsanwalt uns das Abendessen servierte. Der Winkelschreiber war lange her und längst vergessen. Für mich war er tatsächlich vergessen. Ich sah in Druml nicht mehr den Anwalt, der er immer noch war, sondern den Wirten.


Am frühen Nachmittag des Donnerstags bogen die Autos mit den Wiener Kennzeichen in den Richterweg ein und hielten vor unserem Büro. Die Workshopteilnehmer reisten gemeinsam in mehreren PKWs an. Wir empfingen sie mit Sekt oder Sekt-Orange. Dem einen oder anderen war mehr nach Kaffee. „W-Wissen S‘ was,“ sagte Hanna stolz, „is schon fertig.“ Zwanzig Personen zusätzlich in unserem Büro, da wird es eng. Interessiert schauten sich unsere Gäste um im Büro. Außer Schindlegger war noch keiner von ihnen bei uns gewesen. Die meisten schienen überrascht, wie klein die Werkstatt war, aus der die Werkstücke kamen, die sie geliefert bekamen. Zum Glück war das Wetter makellos, wie so oft in unserer Gegend die meiste Zeit im Herbst. Auf der Terrasse war Platz genug für alle. Man bewunderte die atemberaubende Aussicht, war entzückt von den Kühen und Eseln und erheitert über unsere Katzen, die, geflüchtet vor der unerwarteten Invasion, von den umstehenden Bäumen herunterspähten. Eine der Damen zeigte in den samtenen Himmel. „Schauts, Bussarde!“ - „Habichte“, korrigierte ein Experte. „Pleitegeier“, stellte ich fest. Einen solchen Arbeitsplatz hätte sich jeder von ihnen auch gewünscht.


Nach dem Begrüßungstrunk setzte ich mich mit Soile an die Spitze des Konvois. Die paar Kilometer zur Alten Post erfreuten durch landschaftliche Schönheit. Vor den beiden Kehren der wunderbare Blick hinauf ins Gailtal bis zum Spitzegel und hinunter auf Feistritz und Nötsch.


Während die Angekommenen ihre Zimmer bezogen und sich frisch machten fürs Abendessen, besprachen Soile und ich mit Druml die Anordnung der Möbel im Seminarraum für morgen. Wir bildeten eine große Runde. Die Unterkunft fand allgemeinen Zuspruch, das Essen auch. Es brauchte sich nicht zu verstecken vor dem, was die Gäste aus Wien gewohnt waren. Nahtlos ging das Nachtmahl über in eine gemütliche Plauderei. Man breitete aus, was man in letzter Zeit so erlebt hatte mit Kunden, Kollegen von der Konkurrenz und Anwälten und nach jedem Gag brandete johlendes Gelächter auf. Zufrieden stellte ich fest, dass die Stimmung blendend war, zog mich aber bald mit Soile zurück. Morgen würde ein stressiger Tag werden.


Als wir in der Früh bei der Alten Post eintrafen, zu dritt, denn wir hatten auch Michaela dabei, war die Gesellschaft noch mit dem Frühstück beschäftigt. Gleich danach nahmen wir unsere Plätze in dem familiären Vortragsraum ein. Vor Anderen reden, etwas vortragen, das gehört zu den Dingen, die mir am meisten Stress machen. Irgendwie habe ich es immer hingekriegt, wenn es sich nicht vermeiden hat lassen, aber nie ohne den Schwarm Schmetterlinge im Bauch und die Nervosität von drei Maturaprüfungen auf einmal. Diesmal habe ich es mir selber eingebrockt. Und musste anfangen zu löffeln. Jetzt. Sofort. Für den lockeren Einstieg hatte ich meine Kuriositätensammlung mitgebracht. Ich begann, die witzigsten dieser zu Karikaturen gewordenen Dokumente zu zitieren und durch die Hände der Hörer gehen zu lassen. Damit wollte ich testen, wie weit die Hörer an den anspruchsvollen Themen interessiert waren, die auf dem Programm standen, oder ob sie nicht eine Ladung Humor bevorzugten auf dieser Dienstreise mit Urlaubscharakter. Zu meiner Überraschung erzielten die Exponate nicht ganz den erwarteten Effekt. Man schmunzelte, lachte hie und da verhalten. Das ungezügelte Lachen etwa wie von gestern Abend blieb aber aus. Schindlegger saß versteinert. Sein Blick sagte etwas wie „Was soll das jetzt? Worauf läuft das hinaus?“ Ich ließ dieses ins Programm geschummelte Thema gleich wieder fallen und begann streng nach Fahrplan mit Theorie und Praxis der Schadenregulierung in Italien und anderen ausgewählten Ländern nach der zuletzt wirksam gewordenen Richtlinie der Europäischen Union. Ich merkte sofort, das interessierte meine Hörer wirklich. Sie stellten kluge Fragen, die ich abwechselnd mit Soile und Michaela beantwortete. Schindleggers Nasenlöcher waren jetzt wieder aufgeräumt.


Nach dem Essen bewegten wir uns zum Vertreten der Beine auf der einsamen Straße vom Gasthof hinauf Richtung Kirche. Die Herren ließen die Blicke über die zauberhafte Landschaft schweifen. Ich erläuterte die Einzelheiten. Der Dobratsch, Nötsch mit Schloss Wasserleonsburg, das Bleiberger Tal, Labientschach, Sankt Georgen, die Windische Höh, die Spitzegelkette. Währenddessen bewunderten die Damen die Pflanzen im bunten Gemüse- und Blumengarten des Pfarrhofs, wobei Michaela sie unterstützte. Danach brachte ich den zweiten Teil des Vortrags über die Bühne, diesmal ganz ohne Schmetterlinge. Für das Abendessen hatten die Drumls in der Veranda gedeckt und zwar ganz besonders liebevoll und hübsch. Das Essen war wieder vortrefflich, die Stimmung blendend. Besonders gefiel mir, dass unsere Partner Michaela ohne Einschränkung akzeptierten. Ihr Aussehen war attraktiv, aber unaufdringlich, ihre Sprache einwandfreies Hochdeutsch mit der besonderen Eigenart, dass sie bei der Bildung der Wörter die einzelnen Vokale und Konsonanten aus einer Werkzeugkiste zusammenklaubte, doch das machte jeden ihrer Sätze klar verständlich. Und auch was sie sagte, hatte Hand du Fuß.


Wir trafen uns alle noch einmal zu einem gemütlichen Frühstück am Samstag, bevor die Equipe sich auf den Weg zurück nach Wien machte. Soile und Rainer hatten es geschafft. Wir hatten ein kleines Schladming durchgezogen. Der Glanz dort mag imponierender gewesen sein, aber die Erinnerung an dieses bescheidenere und doch gediegene Event war für alle, die daran teilgenommen hatten, angenehm und bleibend.

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