4 Neues Theater in der Scala

← ← Titelseite ← 3 -Tekitisi 5 - Mauerbach →

Neues Theater in der Scala

worin vorkommen: 'Der Weg ins Leben' von Miloslav Stehlik, Friedrich Torberg, Hans Weigl, W. A. Mozart, Paula Preradović, der Piaristenorden in Wien, das Wachauer 'Mariandl' (Hans Lang, Maria Andergast) und der 'Alte Nussbaum' (Fritz Wunderlich)

sowie Emil Stöhr und eine Reihe anderer verzweifelter Theaterleute




Die Zeit vergeht. Ich gehe schon auf die Fünfzig zu. Und beruflich hat sich für mich immer noch nichts gebessert. Dank Marias Umtriebigkeit bin ich jetzt Österreicher. Es bedeutet mir sehr viel. Österreich habe ich immer geliebt. Habe mich 1946 an dem Preisausschreiben beteiligt, durch das die neue österreichische Bundeshymne gefunden werden sollte. Zehntausend Schilling waren ausgesetzt. 


Worte: Philipp Munk



Worte: Philipp Munk,

geb. 1892, Schriftsteller in Wien, Liedertexte u.a. für Edmund Eysler, Franz Püttner, u.v.m.; gemeinsames Konzert unter Mitwirkung von E. H. Richter am 14.3.1948 um Musikverein/Brahmssaal.

Ich erinnere mich an Besuche mit meinen Eltern bei Munk in seinem Antiquitätenladen in der Innenstadt, ein finsteres Gewölbe, in dem verschnörkelte Objekte, längst leblos, sich mit ihrem Tod nicht abfinden wollten. 

Gewinnen hätte ich das Ding nicht können. Zugelassen waren nur Personen, die bei der Nationalratswahl 1945 wahlberechtigt waren. Da galt ich noch als Deutscher. Gewonnen haben dann Mozart und Preradović.


Der Junge geht schon zur Schule. Ist den Andern weit voraus. Kann lesen, schreiben und rechnen. Sie haben den Jungen zuerst in die Volksschule bei den Piaristen gesteckt. Musste da immer mit der Straßenbahn hinfahren. Linie J. Tja, auch das konnte er schon lange. Kam aber häufig zu spät. Als er eine misslungene Schönschreibarbeit nach Hause gebracht hat, die ich unterschreiben sollte, habe ich hingeschrieben: „Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen“. Diese 'Frechheit' hat Maria ausbaden müssen. Die Patres sind fuchsteufelswild gewesen. Rainer hat dann in die öffentliche Schule in Ottakring gewechselt. Ist mir viel lieber.


***

Man wird mir nicht glauben, wie wenig ich zum Einsatz komme, wenn Tino am Komponieren oder Instrumentieren ist. Das spielt sich alles auf dem Notenpapier ab, besser gesagt in Tinos Kopf. Ich wundere mich, wie es ihm möglich ist, diese Arbeit zu leisten bei laufendem Radio. Wie die Tinte aus der Metallfeder an der Spitze des dünnen Federstiels fließt, so flüßig füllen sich die leeren Zeilen mit Noten. Wie gedruckt schauen die fertigen Blätter aus. Ich komme erst ganz zum Schluß zum Zug, wenn alles fertig notiert ist. Dann spielt Tino das Ganze durch, hält hie und da inne, um kleine Fehler auszubessern - und fertig. Der kleine Rainer läßt sein Spielzeugauto durch die Luft kurven und singt dabei Lieder, die er im Radio gehört hat. Mariandl,andl,andl etwa, aus dem Wachauerlandl,landl. Oder das Lied vom alten Nußbaum in Heiligenstadt, von dem Liebespaar auf der Bank unter der Laterne, die ganz einfach ausgeht, wenn’s ganz hamlich wird. Hamlich versteht der Bub offenbar nicht recht, denn in seiner Version geht die Laterne aus, wenn sie ganz hasrig wird.

***

Es gab in Wien Margareten das „Neue Theater in der Scala“, ein riesiges Haus, das wohl einmal schön und elegant gewesen war, aber nun in der Nachkriegszeit etwas desolat wirkte. Sein Budget verdankte es wohl Zuwendungen seitens der Sowjetunion. Dafür war sein Spielplan ganz kommunistischer Ideologie verschrieben. Friedrich Torberg und Hans Weigl polemisierten gegen das Haus. Wie es kam, dass ich dort mit sieben Jahren eine kleine Sprechrolle erhielt, kann ich nicht mehr sagen.


Das Stück hieß 'Der Weg ins Leben'. Ob der gleichnamige sowjetische Film aus dem Jahr 1931 (der erste sowjetische Tonfilm) Vorlage für das Schauspiel von Miloslav Stehlik war oder umgekehrt, weiß ich nicht. Es geht um Kinder und Jugendliche, die durch die schrecklichen Ereignisse im Großen Krieg und der folgenden Revolution von ihren Eltern getrennt worden sind und nun auf der Straße zu überleben versuchen, nicht zuletzt mit Hilfe krimineller Handlungen. Stück und Film schildern, wie es angeblich gelungen ist, diese sogenannten ‚Besprisorni‘ durch ‚freiwillige‘ Arbeit in Kolchosen in die junge sowjetische Gesellschaft zu reintegrieren.


Trotz des Themas war ich der einzige Kinderdarsteller in dieser Aufführung, die weiteren Besprisorni wurden wohl von jungen Berufsschauspielern dargestellt. Mein Text war nicht lang, doch sollte er das Publikum zu Tränen rühren. Ich hatte einer Gruppe Leuten zu schildern, auf welchem Weg ich in eine so hoffnungslose Lage geraten bin. Meinen Hauptgesprächspartner spielte der damals recht bekannte Schauspieler Emil Stöhr.


Ich erinnere mich noch an den speziellen Geruch von Leim und Kulissen, der wohl alle Theaterbühnen erfüllt und an das seltsame Licht, die umgebende Dunkelheit trotz oder wegen der hellen Scheinwerfer. In den Proben lasen wir zunächst den Text aus dem Manuskript, später spielten wir die Szenen durch. Ich glaube, das ging alles ganz gut, ich erinnere mich an keine Pannen. Die Regieassistentin sowie die Damen und Herren Schauspieler waren alle ganz lieb zu mir, jedenfalls in dem verstaubten Konversationszimmer mit seinenm klobigen, klotzigen, purpurroten Sofa. Auf der Bühne waren dann alle ganz professionell und erwarteten das wohl auch von mir.


Es kam der Tag der Premiere und alles klappte wie am Schnürchen. Im Laufe ‚meiner‘ Szene kamen im Zuschauerraum die Taschentücher zum Vorschein und es gab Applaus bei meinem Abgang. In der Zeitung, heute würde ich vermuten der ‚Volksstimme‘, erschien eine ganzseitige Stückkritik mit einem großen Foto von meiner Szene mit Emil Stöhr.



‚Der Weg ins Leben‘ stand während der gesamten Spielsaison auf dem Programm, sodass ich mehrmals wöchentlich auf der Bühne der Scala stand. Ich habe immer, damals und später, bei öffentlichen Soloauftritten an starkem Lampenfieber gelitten, aber da alles so gut klappte und durch die vielen Wiederholungen wurde ich sorglos, bis es eines Abends passierte: Mein Text war weg. "Mein Vater war - - -" Aus! Keine Ahnung, was mein Vater gewesen wäre. Zuerst die Bühne, dann das Theater und schließlich die ganze Welt versanken in einem schwarzen Loch. Ich hörte keine Souffleuse und kaum Stöhr, der mir einige Vorschläge machte: "Ja, was war dein Vater denn nun, war er Tischler oder Bäcker, oder vielleicht S c h n e i d e r?" - - - Vergebens. Das verschollene Detail war ja wohl ganz unwesentlich, aber sein Verschwinden riss mich mit in das verdammte schwarze Loch, sodass auch alles Weitere weg war. Wie meine ‚Kollegen‘ die Situation bereinigt haben, kann ich nicht mehr sagen. Nur, dass ich den Weinkrampf, der aus mir herausbrach, keineswegs spielen musste. Jetzt war ich es, der ein Taschentuch brauchte.


Im Konversationszimmer versuchte die Regieassistentin mich so weit zu trösten, bis sie meinte, ich wäre nun wieder imstande, mit der Straßenbahn nach Hause zu fahren, aber vorher erklärte sie mir noch, wie wichtig es sei, auch einen Text, den man schon oft und oft gespielt hat, dennoch vor jeder Aufführung zu repetieren.

˄ ← ← Titelseite 5 - Mauerbach →
Share by: