Michaela

Michaela

worin vorkommen: Udine, die Piazza Matteotti, Stockholm, Fehmarn, sowie rote Straps

Wie die Männer blöd sind! Nicht zu fassen!


Ich glaub, der Chef hat’s auf mich abgsehn. Was heißt, ich glaub, liegt ja auf der Hand! Der alte Depp. Nein, übergriffig ist er nicht, gottseidank. Zeigt mir aber andauernd, dass er es gern werden tät. Das wär ein schöns Theater da in dem kleinen Büro mit seiner Frau die ganze Zeit umadum. Dabei ist die eh net zwieder. Aber so sind die Männer. Wenn die Hormone einschießn, vergessen s‘ alles, was einmal wichtig war für sie. Einmal zum Valentin ist er kommen mit langen Forsythienzweigen. Aus Plastik! Na ja, er hat s‘ schon aufteilt zwischen mir und der Hanni und seiner Frau. Aber wie er die mir überreicht hat, wie die silberne Rose! Der Depp glaubt, das merkt niemand. Jeder weiß es. Alle sind nur gspannt, wie’s weitergeht. Die Hanni, weil sie’s amüsiert, die Chefin, weil sie’s nervös macht und ich, mich macht’s verlegen. Ich find gar nix an dem Mandl. Sonderbar ist der, schon. Deutet alles nur an, sagt nie was direkt, wie ich das von Männern gwohnt bin. Mein Freund, der Walter, sagt alles direkt. Das Direkteste, was er sich einmal erlaubt hat, er, nein net der Walter, er hat mir eine teure Garnitur Unterwäsch gschenkt. Spitzenslip und BH. Kardinalrot. Der BH war viel zu groß für mich. Ich hab ihm gsagt, ich hab das Zeug weitergschenkt meiner Tochter. Die Simona hat vielleicht glacht. Ich glaub, der Depp wartet, dass ich den ersten Schritt mach. Da kann er lang warten. Bin froh, wenn der Kelch an mir vorübergeht. Ohne Komplikationen. Weil, die Arbeit da gfallt mir. Wär schad, wenn das aus wär.

***

Mit der Michi, das ist so eine Sache. Die bringt mich noch einmal aus dem Rhythmus. Dabei ist doch alles so schön im Laufen. Das Geschäft schnurrt. Das Metier fesselnd. Soile? Bis zum Himmel lodern die Flammen nicht mehr, aber unter der Asche ist noch dunkelrote Glut. Bliese man die Gewohnheit fort, könnte das Feuer noch einmal hochschlagen. Ja, Routine. Die hat uns fest im Griff. Die gewöhnlichen Teller an den Wochentagen. An den Samstagen die anderen mit dem Blumenmuster und das grüne Besteck. Sonntags spätes Frühstück, kalte Platte und Gebäck, Kaffee aus den blauen finnischen Designertassen, von dem zehn Sets vorhanden sind, und das französische Besteck mit den dunkelblauen Griffen, die schon abgenutzt sind von den vielen Waschgängen. Davon haben wir nur zwei Sets, weil es damals in den kärglichen Udine-Zeiten in dem Geschäft an der Piazza Matteotti so viel gekostet hat. Gegen Abend das bunte Geschirr, das ich einst meinen Eltern nach der Stockholm-Abholung aus Fehmarn mitgebracht hatte. Soile macht das Essen, ich decke den Tisch. Mit den immer gleichen Handgriffen nehme ich die Untersetzer von ihrem immer gleichen Platz aus der Vitrine, lege sie immer exakt ausgerichtet an dieselbe Stelle des Tischs, stelle genau wie immer die Weingläser darauf, immer die Salz- und Pfeffermühlen, immer die Kristallkaraffe mit dem Olivenöl. Mit den immer gleichen Handgriffen räumen wir nach dem Essen ab. Ich trage die Sachen zum Abwasch in die Küche. Jeder nimmt seinen Zahnstocher vom Teller, wirft ihn mit dem immer gleichen Schwung in den Abfalleimer. Soile kümmert sich um den Geschirrspüler. Ich stelle die Utensilien mit den immer gleichen Bewegungen an immer dieselben Stellen in der Vitrine. Desgleichen die Automatismen in der Früh. Nach dem gemeinsamen Tee ins Bad zum gemeinsamen Zähneputzen. Dann zum Bettmachen. Mit den immer gleichen Bewegungen breiten wir die Bettdecken aus, mit den immer gleichen Schritten ums Bett werfen wir die Tagesdecke über, setzen Ephraim, den Stoffelefanten, darauf, schließen das Fenster, schalten das Radio aus, steigen mit immer demselben Fuß beginnend die Treppe hinunter in den Tag.


Die Abwechslung beginnt im Büro. Obwohl immer mehr vom Gleichen ist es doch nie dasselbe. Und jetzt ist da auch noch diese kleine Frau mit dem wuscheligen kurzen Haar, die den Laden schmeißt als hätte sie nie etwas anderes gemacht, selbständig, und mit einer Selbstverständlichkeit, die auf mich charmant wirkt. Michaela ist die gelungene Mischung aus Italienerin und Kärntnerin. Spricht kultiviert, aber nicht affektiert, der leichte Akzent in ihren bedächtig ausgesprochenen Worten lässt sich kaum zuordnen. Ihre dunkle Stimme wirkt warm und schafft eine natürliche Nähe. Wenn sie etwas gegessen hat, bleibt immer eine kleine Unordnung zurück. Brösel auf dem Kostüm oder Staubzucker an den Wangen. Wie gerne würde ich sie abstauben, aber ich beherrsche mich. Außerdem liegt Jimmy unter ihrem Schreibtisch. Vielleicht bewacht er sie ja?


Unser Büro ist strukturiert, unterteilt durch Aktenregale, aber doch letztlich ein einziger Raum. Dass da jeder alles mitbekommt, ist oft vorteilhaft, manchmal aber auch nachteilig. Bisweilen habe ich eine bestimmte Vorstellung von der Lösung einer Sache. Dann höre ich, wie Michaela das Problem angeht, greife aber nicht ein, weil mir plötzlich klar wird, dass es sehr gut auch so geht, wie sie es anlegt. Mitunter sogar besser. Meine Hingerissenheit kann Soile nicht entgehen. Sie ist eifersüchtig, ohne viel darüber zu reden. Hie und da eine scharfe Bemerkung, das ist alles. Klar, dass sie verletzt ist. Sie macht sich Sorgen um uns. Soile zieht sich immer mehr zurück in die Buchhaltung und die Finanzen. Zwar führt auch sie immer wieder Gespräche mit Auftraggebern und Kunden, Verhandlungen mit Gegenseiten, aber eher, wenn Michaela selbst schon telefoniert oder nicht im Dienst ist. Michi macht immer noch Teilzeit, wenngleich jetzt mehr Stunden. Das Rechnungswesen liegt Soile. Sie ist präzise und fehlerlos. Und, wie immer, leise.


Zum Glück schafft Michaela es, trotz aller Kontakte bei der Zusammenarbeit mich auf Distanz zu halten. Nicht zuletzt, weil ich selbst meiner Neigung keine Ausbrüche erlaube. Was mich daran hindert? Die Einsicht, dass ich für diese jüngere Frau zu alt bin und auch nicht attraktiv genug. Und meine Vergangenheit mit Soile. Zu wundervoll ist unsere Geschichte gewesen, um sie für eine unbesonnene Peinlichkeit enden zu lassen. Wie klaglos doch unser eingespieltes Team funktioniert mit den immer gleichen Gewohnheiten und den immer gleichen Handgriffen und der immer noch dunkelroten Glut unter der Asche.

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Na schön, sie ist gut. Ich kann es nicht leugnen. Aber dass er sie deshalb so anhimmeln muss, das wäre nicht notwendig. Zu mir ist er wie immer, das heißt, ziemlich gleichgültig. Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Unser zauberhafter Anfang liegt so lange schon zurück. Jetzt bahnt sich für ihn ein neuer Anfang an. Ich mache mir große Sorgen. Weiß ich doch, wie unvernünftig er sein kann. Wäre er nicht unvernünftig gewesen und wäre ich es nicht auch gewesen, wir wären heute nicht hier. Ich liebe ihn für seine Unvernunft. Sie führt so oft zu überraschenden Wendungen. Das genau ist das Gefährliche an seiner Bereitschaft zu Aufbruch und Reise. Kaum ist er eingewohnt, droht schon Erschlaffen in lähmender Gewöhnung. So schön war unsere Reise, doch jetzt bedroht mich Einsamkeit. Immer hatte ich ein Leben im Ausland angestrebt. Soll es mir jetzt zum Elend werden? Wird er mich zurückschicken nach Finnland wie einen abgetragenen Wintermantel, den er in seinem neuen Sommer nicht mehr braucht? Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll, um das Unglück abzuwenden. Solange sie keine Anstalten macht, ihm nachzugeben, warte ich einmal ab.

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