Studio Avv. Marian

Studio Avv. Marian

worin vorkommen: Udine, der Friedhof San Vito, der Fußballclub Udinese, die Brauerei Moretti, sowie ein Krügel gut besser, Gösser

Solange Ivo noch Konzipient war bei Mittoni, studierte er für die Anwaltsprüfung. Dass er sie eines Tages bestanden hatte, wäre mir fast entgangen. Ivo erwähnte es in einem Nebensatz. Beim nächsten Besuch brachte ich Ivo eine Keramikbüste mit, die Karikatur eines Avvocato. Ich hatte sie in einem Laden in Udine entdeckt inmitten anderer Witzfiguren von Polizist, Feuerwehrmann, Carabiniere und Zahnarzt. Wohl fühlte ich mich nicht mit dem Geschenk. Ich hoffte, Ivo würde nicht beleidigt sein. Trocken wie immer nahm er sie entgegen und stellte sie aufs Regal neben die Zinnsoldaten. Er sammelte Zinnsoldaten und Biergläser mit den Emblemen ausländischer Brauereien. Seit ich das festgestellt hatte, trug ich zu Weihnachten zur Verstärkung seiner Zinnsoldatenarmee bei durch die Rekrutierung eines Kavalleristen, oder er bekam ein leeres Krügel von Gösser. Wenn er wollte, konnte er ja aus der Flasche einschenken, die zum üblichen Christstollen gehörte.


Eine Weile blieb Ivo noch in der Kanzlei Mittoni. Die bestandene Prüfung war zwar die Voraussetzung für seine Tätigkeit als selbständiger Rechtsanwalt, aber noch lange keine Garantie für ein gelungenes Fortkommen. Es gab genug eingesessene Anwälte. Nur wenige von ihnen hatten viel zu tun. Die Mehrzahl schlug sich recht und schlecht durch. Immer mehr junge Juristen drängten in den Sektor. Nur wenige schafften es zu einer ausreichenden Klientel. Ivo schaffte das, nicht zuletzt durch Claims, wie er mir später versicherte. Es kam der Moment, da er sich ausreichend konsolidiert glaubte, das kleine Loch bei Mittoni aufgeben zu können. Er kaufte ein Studio im ersten Stock eines neu errichteten Wohnhauses nahe dem Friedhof San Vito. Endlich eine weiträumige, helle Kanzlei anstelle einer notdürftig adaptierten Wohnung. Reichlich Platz für ihn, zwei Konzipienten und Besucher. Zwischenwände aus Glas, moderner Einrichtungsstil. Aus seinem Bürofenster blickte man auf einen weitläufigen Park, der seit einigen Jahren den alten Fußballplatz der Udinese ersetzte. Man kann noch den seinerzeitigen Erdwall erkennen, von dem aus die Zuschauer die Spiele verfolgt hatten. Jetzt residierte der Verein in dem neuen stolzen Stadion am nördlichen Stadtrand. Eine Wand des Besucherraumes in Ivos neuer Kanzlei ist zur Gänze von einem alten Foto bedeckt, das unter seiner Patina längst vergangene Fußballzeiten aufleben lässt. Der schlichte Standard der Anlagen und Ausrüstung hatte die Begeisterung nicht geschmälert. Ivos Fußballbegeisterung nährte sein Hobby. Er war Schiedsrichter in Friulis Unterklassen.

Der alte Fußballplatz lag eigentlich im Hinterhof der Brauerei Moretti. Von ihr stehen nur noch wenige Reste. Das Meiste ist abgerissen und dem gewichen, was heute in Udine am Gesuchtesten ist: einem Parkplatz. Ivos neues Studio lag etwas außerhalb der Altstadt. Die Straßen in der Gegend waren auch schon ziemlich verparkt. Trotzdem fand ich bei meinen Besuchen immer noch eine Möglichkeit. Das Zentrum mit den Ämtern und Gerichten liegt in Gehweite. Ivo fuhr, ob Sommer oder Winter, meistens mit seinem alten Drahtesel. Dabei wurde ihm so warm, dass er auf das Heizen des Büros verzichten konnte. Richtig kalt wurde es in Udine selten. Doch auch bei Temperaturen um den Gefrierpunkt wird es bei längerem Aufenthalt in einem Gebäude unangenehm. Das machte Ivo nichts aus. Heizen war Luxus.

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