worin vorkommen: Druogno, Domodossola, Milano, Udine, Wien, Centovalli, Boscaccio, Val Vigezzo, Ossola, Rom, Bayern, Schweiz, Sibirien - Siberia, Santa Maria Maggiore, Schengen, Lago Maggiore, Luganer See, Centovalli, Öocarno, Passo Monte Ceneri, Lugano, Montagnola, Porlezza, Ponte Tresa, Agra, Via Collina d'Oro, Hotel Bellevue, Via Camuzzi, Valsolda, Engadin, St. Abbondio, Giovannino Guareschi, 'Don Camillo e i Giovani d'Oggi', Dmitri Schostakowitsch - Fünfte, sowie eine Begegnung mitHermann Hesse, Josef Knecht, Siddhartha, Vasudeva.
Mein Gott, die reden nicht. Was für ein langer Tag. Was für eine endlose Bahnreise. Druogno, Domodossola, Milano, Udine, Wien. Sie haben mich vom Bahnhof abgeholt. Jetzt sitze ich todmüde im Fond des Wagens, schaue auf die Lichter der Stadt, die langsam immer mehr einer undefinierbaren Dunkelheit weichen. Sie wohnen auf dem Land nahe Wien. Auf dem Land, so wie ich, nahe Domodossola. Gestern noch mein gewohntes Leben mit den Eltern, den Geschwistern in dem großen Landhaus im Centovalli. Die frechen Hänseleien der Brüder, die besorgten Ratschläge der Eltern. Ich werde lange nicht zuhause sein. Ich war noch nie lang weg von daheim. Sie fahren mit mir durch finsteres, fremdes Land und sie reden nicht.
Sie war den ganzen Tag unterwegs mit der Bahn. Sie muss hundemüde sein. Deshalb sitzt sie so verloren da hinten im Wagen ohne etwas zu sagen. Was für eine hübsche junge Frau sie ist, sogar im Halbdunkel der vorbeihuschenden Lichter. Eine die aussieht wie den Geschichten Guareschis entstiegen: ‘Don Camillo e i giovani d’oggi’. Andererseits, sie sind nicht so schweigsam, die Giovani von Boscaccio. Diese herbe Schönheit hier schon. Lassen wir sie ausruhen. Wir werden noch viel Zeit haben zum Reden.
Eigentlich war ich skeptisch zu Darmas Anfrage. Eine ihrer Wiener Bekannten, die aus Domodossola stammt, war von ihrer italienischen Freundin namens Majani angesprochen worden, ob sie nicht deren Tochter Angela für zwei Monate aufnehmen könnte, sozusagen als Au Pair. Angela wollte ihr Schuldeutsch perfektionieren. Sie lebt mit ihren Eltern im Val Vigezzo nahe der Schweizer Grenze. Die Schweiz wäre daher auch naheliegend gewesen für einen solchen Studienaufenthalt. Leider hatten die Majanis keine Bekannten in der deutschsprachigen Schweiz. Dem Hörensagen nach sollte das Schwyzerdütsch sich auch nicht unbedingt für den Zweck empfehlen. Deutschland wäre kaum infrage gekommen. Zu stark wirkte die Erinnerung nach an die brutalen Massaker an Partisanen und Zivilisten, welche die Deutschen 1944 in Ossola begangen hatten, nachdem sie den dortigen Aufstand samt Gründung einer unabhängigen Republik nach nur vierundvierzig Tagen niedergeschlagen hatten. Die Majanis streckten also ihre Fühler aus nach Österreich zu Darmas Bekannter. Die hatte selber keine Lust dazu. So kam es, dass Darma mich fragte.
Viel Lust hatte auch ich nicht. Gerade erst habe ich aufgeatmet, nachdem Mama eine Wohnung für Ryszard und Halina aufgetrieben hat. Aufgeatmet, nicht weil ich die beiden nicht mag, insbesondere Halina ist mir richtig ans Herz gewachsen, aber jetzt sind Rainer und ich endlich wieder ganz unter uns. Zumindest momentan ist mir das sehr angenehm. Der Gedanke, die frisch gewonnene Privatheit schon wieder aufzugeben, missfällt mir. Auch hatten wir, nachdem allem Anschein nach keine eigenen Kinder kommen würden, uns beim Jugendamt um ein Kind zur Adoption beworben. Wenn das plötzlich klappen sollte, wäre ein zusätzlicher Gast eine Belastung zu viel. Rainer hingegen ist ganz Feuer und Flamme, eine junge Frau, ein Mädchen noch, ins Haus zu bekommen. Für mich ist der einzige positive Aspekt die mögliche Entlastung im Haushalt. Aber wer weiß, ob Angela wirklich eine Entlastung sein würde. Gut möglich, dass das Gegenteil der Fall ist, wenn ich sie für alles erst anlernen muss. Oder wenn sie es vorzieht, ihren Aufenthalt als Basis für ein Dolce Vita fern der Heimat aufzufassen. Ob es ihren Deutschkenntnissen zuträglich sein würde, ist auch nicht ausgemacht. Wenigstens zwischen uns würde bestimmt Italienisch vorherrschen. Wahrscheinlich ist es ein Fehler, aber schlussendlich wollte ich Darma nicht enttäuschen und habe zugesagt. Jetzt sitzt Angela hinter mir, ist traurig oder müde oder beides und redet nicht.
Auch das mit Angela hat sich als Glücksfall erwiesen. Nach dem ersten schweigsamen Abend ist schon am nächsten Tag das Eis gebrochen. Angela ist so ein liebes Mädchen, höflich, zuvorkommend, hilfsbereit, lernwillig und –fähig, einfühlsam, sollte ich jemals eine Tochter haben, möchte ich, dass sie so wird wie Angela. Wir gehen miteinander einkaufen in Götzendorf, zum Fleischhauer, ins Lebensmittelgeschäft. Sie staunt, wie rückständig diese kleinen antiquierten Dorfläden sind. So kleine Dorfläden gab es früher auch in Druogno, aber sie mussten alle aufgeben. Ich glaube, früher oder später wird es auch hier bei uns so gehen. Wer in Druogno einkaufen will, muss nach Domodossola. Mit dem Bus oder der Schmalspurbahn, meistens aber mit dem Auto. Die Gegend im Val Vigezzo ist schroff alpin. Hingegen ist die Landschaft hier von der Ebene geprägt. Trotzdem gefällt Angela das Land. Wie Rainer glaubt sie sich in einem riesigen, wildreichen herbstlichen und winterlichen Park. Wir führen Angela durch Wien. Sie ist hingerissen. Angelas Deutsch ist recht gut. Schulniveau eben, der bestandenen Matura entsprechend. Wie seinerzeit in der Naglergasse bilden wir eine Lerngruppe zu dritt, diesmal für Deutsch, wovon auch ich profitiere. Wir verwenden dazu dieselben Lernbehelfe wie damals in Wien. Angela lernt leicht und schnell. Bald wird uns bewusst, dass Angela Anschluss an junge Leute braucht, Kontakte auch außerhalb des Hauses. Rainer stellt die Verbindung mit der Tochter einer seiner Kolleginnen her. Eva Maria ist wenig jünger als Angela, steht kurz vor der Matura, lernt Italienisch. Volltreffer. Die beiden Mädchen verstehen einander von Anfang an blendend. Eva Maria ist aufgeschlossen und unternehmungslustig, zielstrebig. Beide sind uns richtig dankbar, dass wir sie zusammengeführt haben. Angela ist jetzt öfter mit Eva Maria, deren Freundinnen und Freunden in Wien unterwegs. Ich glaube nicht, dass sie dabei übertreiben. Eva Maria muss sich auf die Matura vorbereiten. Über Weihnachten ist unser Haus leer. Viel zu leer, sagt Rainer und ich stimme zu. Angela fehlt uns. Sie ist natürlich nach Hause zu ihrer Familie gefahren. Auch Eva Marias Eltern werden einsame Weihnachten haben. Ihre Tochter ist mit Angela in Druogno. Angelas Brüder sind ganz toll nach Eva Maria. Die hingegen findet den Freund eines der Brüder unwiderstehlich. Er ist aus Rom. So ungern sie Anfang Jänner nach Wien zurückkehrt, so gern tut das Angela. Eva Maria besteht die Matura. Ihre individuelle Maturareise führt nach -? Richtig. Rom. Frühe Beziehungen sind immer ernst. Diese hier wird für lange Zeit ernst bleiben. Rainer hat Eva Marias trauriger und besorgter Mutter gegenüber schlechtes Gewissen. Vorwürfe macht sie ihm nicht. Trotzdem fühlt er sich schuldig.
Die Monate mit Angela enden mit Beginn des Frühlings. Zum Dank für unsere Gastfreundschaft haben Angelas Eltern uns für ein paar Tage nach Druogno eingeladen. Wir haben aber das Gefühl, eher ihnen danken zu müssen fürs Verborgen dieses außerordentlichen Persönchens. Mit dem Auto bringen wir Angela zurück nach Hause.
29.3.1985
Tanken in Bayern. Im Radio die 5. Schostakowitsch. Der Tankwart lässt das Benzin in den Tank laufen. [Sowas gab’s noch.] Er will die Mark [sowas gab’s noch] vollmachen. Ich mache ihn darauf aufmerksam, dass das Benzin schon überläuft. „Bei der Musik,“ sagt er trocken, „bei der Musik da, da muass ja der Benzin ausrinna.“
Von Druogno aus machen wir einige herrliche Tagesausflüge. In den Tälern ist der bunte Frühling eingezogen, während in der Höhe noch alles schneeweiß ist. Wir sind in Italien, aber nicht in dem bekannten, luftig leichten. Hier wird italienisch gesprochen, aber die Landschaft ist wuchtig wie in der Schweiz. Neben modernen Gebäuden stehen überwiegend noch die alten Gemäuer aus Feldstein. Steine liegen auf jedem Dach, um es dem Wind schwerer zu machen, es wegzublasen. Das Val Vigezzo führt östlich durch Sibirien in die Schweiz. Sibirien? Doch. Ein kleiner Ort bei Santa Maria Maggiore, Siberia. An der Grenze zur Schweiz steht eine kleine Wachhütte. Manchmal ist sie besetzt, oft auch nicht. Es wird kaum kontrolliert. Für mich in der damaligen Zeit äußerst ungewohnt. Hier ist Schengen vorweggenommen, das uns für einige Zeit, wenn auch für eine kurze, von den strengen Grenzen befreit hat. Wir fahren zum Lago Maggiore und an einem anderen Tag zum Luganer See, besuchen meinen verehrten Freund, Hermann Hesse in Montagnola.
3.4.1985
… Annäherung an Hermann Hesse, diesmal auch physisch. Durchs italienische Val Vigezzo. Über uns blaue Seide, gesäumt von den weißen Zacken der schneebedeckten Felsgiganten. Hinüber in die Schweiz, Centovalli. Ohne Aufenthalt durch Locarno. Über den Passo Monte Ceneri nach Lugano. Auf vielen Karten hatten wir Montagnola vergeblich gesucht. [Man rufe sich in Erinnerung: so segensreiche Einrichtungen wie Google Maps oder Navis standen noch nicht zur Verfügung.] Anhaltspunkte waren uns Hesses Biographie und sein Aquarell ‘Blick von Montagnola nach Porlezza’. Annamaria erhält unfreundliche Auskunft am Informationsschalter des Bahnhofs von Lugano: Richtung Ponte Tresa, dann Richtung Agra. Die freundliche und saubere Bergstraße hinauf. ‘Via Collina d’Oro’ heißt sie. Diskret hinter Hecken zu beiden Seiten ruhen in Parks die feudalen Besitzungen reicher Leute. Nicht lange, da überrascht uns schon die noch nicht erwartete Ortstafel ‘Montagnola’. Unschlüssig fahren wir langsam durch die Ortschaft weiter den Berg hinan. Beim Hotel Bellevue findet sich ein Ortsplan. Ganz in der Nähe ist die Via dei Camuzzi und zur Via Hermann Hesse ist es auch nicht weit.
Die Via dei Camuzzi verläuft am Rand des Ortszentrums in einem Bogen hinunter zur Casa Camuzzi, einer verschnörkelten Neobarockvilla. Davor auf steinerner Bank eine schöne Frau, großgewachsen und von braunem Teint, duftiges helles Kleid, ein breites rotes Band um die Stirn. Ein Blumenkind? Die Witwe Camuzzi wohnt noch hier, dem Torschild nach zu schließen, und ein Architekt Böhmer. Das Gartentor ist offen. Ein schöner grauer Kater auf der Mauer genießt die Wärme der Sonnenstrahlen. Jenseits Ausblick auf das Valsolda mit dem Luganer See in Richtung Porlezza. Von diesem Standpunkt aus ist der Blick eingeschränkt von hohen, dunkelgrünen Kastanien, die vom steil abfallenden Talhang heraufwachsen. Sie tauchen diesen ganzen Hanggarten in ein stilles, geheimnisvolles Dunkel. Für die Hitze des Sommers muss dieser Garten angelegt sein, dann wird er eine Oase sein zwischen den aufgeheizten Mauern. Serpentinenwege, in den Hang gegraben, ermöglichen uns den Abstieg bis an die Grundgrenze. Alles hier riecht nach Verfall. Nicht nach Verfallenem, sondern nach Verfallendem. Oberschenkeldicke Schlinggewächse, längst zu hartem Holz gewachsen, ranken sich die Stämme hinauf. Dort, wo sie aus der Erde gewachsen sind, müssen wir über sie wie über gefallene Stämme hinwegsteigen. Im untersten Teil des Hanges, wo er in einen relativ ebenen Absatz übergeht, ist eine kleine Höhle. Aus ihrem steinernen Gewölbe, man kann nicht ausmachen, von welcher Stelle her, tritt ein klares Bergwasser ans Licht und bespült die Schieferwände der kleinen Quellgrotte. Auf ihrem Grund fasst sie das Wässerchen wie in einer flachen Schale, will es dem Besucher reichen, bevor sie es wiederum geheimnisvoll ohne sichtbaren Abfluss verschwinden lässt. Am Ende des Grundstücks steht ein Häuschen aus Feldstein. Dach und Decke sind ganz und gar eingestürzt. Ich denke nach, welchem Zweck es einmal gedient haben mag. Währenddessen plaudert Annamaria mit Angela angeregt, wieviel die Erhaltung so eines Barockanwesens kosten möge. Ich muss es anhören, während mein Blick hinaufschweift zu meinem Freund am offenen Fenster im ersten Stock des Palazzos. Er ruft mir etwas zu, doch ich kann es nicht verstehen. Annamaria ist gerade mitten in ihren Kalkulationen. Nochmals bemühe ich mich hinaufzuhorchen, aber das Fenster ist wieder geschlossen, nichts regt sich dahinter. Und Annamaria rechnet.
Ach, ich weiß ja, dass jemand, der sich seine Wünsche selber erfüllen muss, zu rechnen hat. Wenn meine Schilderung sich nach Kritik anhört, so soll sie doch nur den Gegensatz verdeutlichen zwischen den verschiedenen Blickwinkeln auf den Grund unserer Anwesenheit. Mir fällt ein, wie wir früher um Wien gestreift sind, jedes hübsche Häuschen angeseufzt haben. Jetzt, wenn wir von dieser Fahrt zurückkehren werden, wird uns ein sehr schönes Heim empfangen, in dem im Prinzip nur die laufenden Kleinigkeiten getan werden müssen. Ein Heim, schöner als wir es je zu hoffen wagten und ohne jeden Vorbehalt ist es ganz und gar unser. Und doch seufzen wir schon wieder andere Häuser an. Und würde auch dieser Wunsch erfüllt werden, was würde der nächste sein?
Natürlich! Das war es, was mein Freund mir zugerufen hat von jenem Fenster dort oben: „Der Weg der Erlösung führt nicht nach links und nicht nach rechts, er führt ins eigene Herz. Dort allein ist Gott und dort allein ist Friede.“ – „Wohl dem Bauern! Wohl dem Besitzenden und Sesshaften, dem Treuen, dem Tugendhaften! Ich kann ihn lieben, ich kann ihn ehren, ich kann ihn beneiden. Aber ich habe mein halbes Leben daran verloren, seine Tugend nachahmen zu wollen. Ich wollte sein, was ich nicht war. Ich wollte zwar ein Dichter sein, aber daneben doch auch ein Bürger. Ich wollte ein Fantasiemensch sein, dabei aber auch Tugend haben und Heimat genießen. Lange hat es gedauert, bis ich wusste, dass man nicht beides sein und haben kann, dass ich Nomade bin und nicht Bauer. Das war mein Irrtum, meine Qual.“
Das, mein lieber Freund, hast du gedacht, als du deinen Hof verlassen, den Pass überschritten hast. Niemand bezweifelt, dass du bereit warst zu Aufbruch und zu Reise. Dein Werk wäre sonst nicht geworden. Es wäre aber auch nicht zu Ende geführt worden, wenn du konsequent geblieben wärst. Du hättest sonst in einem Bergsee dort oben in der kalten Einsamkeit des Engadins deinen Tod finden müssen, den Tod des Spielmeisters Josef Knecht. Einsamkeit und Verzweiflung haben dich auf den Berg getrieben, aber du bist auf der anderen Seite wieder hinabgestiegen, hinunter in den Süden, warst wieder sesshaft, treu, tugendhaft. Unser Problem ist, lieber Freund, dass wir Menschen sind, die auf Dauer nicht das eine oder das andere sein können, nur Nomade oder nur Bauer. So lange dauert unser Zweifeln zwischen beidem, bis wir den Weg ins eigene Herz gefunden haben. Wir müssen erst Siddharthas Weg zu Ende gegangen sein. Erst muss uns Vasudeva das Geheimnis des Flusses entschlüsselt haben, die Dauer im Wechsel der Erscheinungen, die Einheit im ewigen Wandel. Erst als Siddhartha seine Seele nicht an irgendeine Stimme band, sondern alle hörte, das Ganze vernahm, die Einheit, erst dann bestand das große Lied der tausend Stimmen aus einem einzigen Wort: Om.
Verachte mich nicht, lieber Freund, wenn ich meine Kamala kalkulieren lasse. Sie ist ganz und gar Bürgerin. Nichts könnte sie je auf den Berg treiben, zur Nomadin machen. Als sie es für einen Augenblick doch war, damals in der Lerchenfelder Straße, habe ich mich sofort in sie verliebt. Sie weiß, dass es auch Suchende geben muss wie uns. Sie kennt uns. Sie liebt uns. Sie hindert uns nicht, unseren Berg zu besteigen. Sie kalkuliert inzwischen und waltet. Sie weiß, dass wir fröstelnd zurückkehren werden in ihre warme Umarmung.
Traurig sitz ich am stillen See.
Abschiednehmen ist schwer wie Blei.
Sehnt mich auch dort eine Geliebte herbei,
ich tu dir weh, indem ich geh.
Der andern aber, indem ich bliebe.
Wie zerrissen ist diese Liebe!
Diese Treue kann ich euch schwören:
dass ich nur geh, um wiederzukehren.
Als wir die Casa Camuzzi verlassen, ist das schöne Blumenkind verschwunden. Wir schlendern jetzt durch das alte Dorf und gelangen durch Hinterhöfe zum Hauptplatz. An der amerikanischen Schule vorbei zur Via Hermann Hesse, um das Haus zu finden, das er 1931 bezogen hat. Unschlüssig, ob es jenes rote ist dort oben am Hang mit den Zypressen oder dieses weiße knapp darunter; auf seinem Aquarell war es rot, glaube ich. Egal. Genug, diese Luft zu atmen, diesen Blick zu trinken, über den See hinweg, den er zu Bild und Wort hat werden lassen, der dunkel im Tal liegt, die Nachmittagssonne nicht annehmend, die von Hügel und Hausungen bis hinüber nach Porlezza tausendfach zurückgeworfen wird. Das hässliche Brummen, das vom See heraufkommt, verrät die Autobahn, die seinem Ufer folgt. Ein schlichtes Denkmal hat Montagnola seinem Ehrenbürger gesetzt, das seine praktische Seite hat: ein paar Granitsteine, zu Tisch und Bänkchen geformt und ein kleiner Block mit einer Huldigung der Collina aus seiner Feder.
Etwas unterhalb von Montagnola liegt der Friedhof von Sant’Abbondio. An der Mauer, die dem See näher steht, schwanken im Abendwind zwei immergrüne Koniferen. Darunter lastet ein schwerer Granitblock, im Stil der Sechziger so behauen, dass man ein aufgeschlagenes Buch erahnen kann. Auf der Seite eingeritzt wie von ungelenker Hand eines Liebhabers ‘Hermann Hesse’ und die Jahreszahlen 1877 und 1962. Auch die treue Begleiterin Ninon ist ihm bis hierher gefolgt. In irdenem Gefäß blüht in blauen Wasserfarben eine Hortensie. Hier ist das bestattet, was an Hesse der Bauer war. Der Nomade in ihm hat seine Gestalt verwandelt in beständige Allgegenwart.
Ihm noch rauschte der Bambus ins Ohr.
Nachts flatterte die Eule
aus dem Kastanienwald hervor
und schlug und frug eine Weile.
Jetzt gibt es keine Eulen mehr.
Der Lärm hat die Welt verdorben.
Auf der Autobahn braust der Schwerverkehr.
Die Horcher sind ausgestorben.
*
Das Jahr darauf kam Angela noch einmal für ein paar Wochen nach Götzendorf. Wir hatten gerade unseren Sohn Mario bekommen. Angela wollte ihn unbedingt kennenlernen und Annamaria unterstützen in ihrer neuen Mutterschaft.
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