Michaela Casadio-Janach

Michaela Casadio-Janach

worin vorkommen: Rivolto, Uusikaupunki, Oberthörl, Arnoldstein, Villach, Viareggio, Udine, Torre del Lago, Tarvisio, Amaro. Giacomo Puccini, Gernot Kulis, der Corriere della Sera, der Corriere Adriatico, der Corriere dello Sport, der 'Callboy', sowie Primelknospen unter Schnee

In letzter Zeit habe ich einiges mit dem Arbeitsamt zu tun. AMS heißt das jetzt. Arbeitsmarktservice. Ich nenne es „Am Sande“. Das AMS schickt uns Bewerber für den Job, den wir ausgeschrieben haben. Bürokraft mit guten Fremdsprachekenntnissen, vor allem Italienisch. Es kommen hauptsächlich jüngere Frauen, aber auch ein paar Männer. Ich habe einen kleinen Test vorbereitet, für alle gleich, der die Sprachkenntnisse ausloten soll, aber auch die Fertigkeit im Umgang mit den bei uns geforderten Kompetenzen. In einen Fragebogen in italienischer Sprache sollen sie ihre Antworten ebenfalls italienisch eintragen. Die Fragen versuchen, die persönliche Situation der Bewerber abzuklären und was sie sich von diesem Job erwarten. Die Interviews mache ich mit Soile gemeinsam. Die meisten Bewerberinnen scheitern am Italienisch. Andere schaffen das ganz gut. Drei oder vier von etwa zwanzig ziehen wir in näheren Betracht. Die wenigen ebenfalls meist jungen Männer erleiden Schiffbruch schon an ihrem Deutsch oder an den Umgangsformen. Für sie kommen aber ohnehin wir nicht infrage. Keine Karriereaussichten. Manche kommen nur, um sich von uns mit Stempel bestätigen zu lassen, dass sie sich beworben haben. Sie müssen die Stempel vorweisen, damit ihnen das Arbeitslosengeld nicht gekürzt wird. Einige von ihnen sagen das ganz offen, vielleicht damit sie nicht versehentlich doch genommen werden.


Wir haben uns entschlossen, eine zusätzliche Kraft aufzunehmen, weil die Arbeit beginnt, uns über den Kopf zu wachsen. Wir sind jetzt ein Unternehmen mit einer Zentrale in Hohenthurn und zwei Filialen. Eine in Rivolto, eine in Uusikaupunki. Dort war die Registrierung übrigens am einfachsten. Eine Meldung bei der Wirtschaftskammer hat genügt. Auch die Herstellung eines Telefonanschlusses war im Nu erledigt. Den Anschluss haben wir permanent umgeleitet nach Hohenthurn, wo wir einlangende Gespräche beantworten. Auf gleiche Weise funktioniert das mit Rivolto. Auch in diesem Punkt nehmen wir zu einem sehr frühen Zeitpunkt vorweg, was etliche Jahre später bei vielen Betrieben gang und gäbe sein wird. Wir regulieren jetzt Grüne-Karte-Schäden für viele große und kleinere finnische Gesellschaften in Italien und Österreich. Die aktiven Schäden sind immer noch in absoluter Überzahl. Diese Aufträge kommen überwiegend aus Österreich, aber auch aus Italien, Finnland, Slowenien und Kroatien. Unsere Sektstoppelsammlung wächst Jahr um Jahr. Bis Mitternacht arbeiten wir nur noch fallweise, aber vor neun kommen wir so gut wie nie zu unserem Nachtspaziergang durch den Ort. Sieben Tage die Woche. Eine Personalaufstockung ist dringend erforderlich. Anfangs wird es viel zusätzliche Arbeit bedeuten, wenn wir jemanden aufnehmen. Unsere Tätigkeit ist so spezialisiert, dass wir die Neue oder den Neuen jedenfalls gründlich einschulen müssen, bevor an eigenständiges Arbeiten gedacht werden kann. Aber es hilft ja nichts. Es muss getan werden. 

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Meine Töchter Elisa und Simona sind jetzt bei mir in Kärnten. Die Mädchen sind Teens und zweisprachig. Elisa ist schon in der Oberstufe der Mittelschule, Simona noch darunter. Wir leben mit meiner Mutter in ihrem Haus in Oberthörl etwas oberhalb der Bundesstraße nach Italien. Ach, diese Straße! Solange es die Autobahn noch nicht gab, musste sie den ganzen Verkehr von und nach Italien ertragen. Unter unseren Fenstern kamen alle vorbei, Personenwagen und Busse, Schwerverkehr und Motorräder. Der Stau lockerte nur in den frühen Morgenstunden etwas auf. Eine schwere Prüfung für den Lokalverkehr. Die Einheimischen suchten sich Umwege über die schmalen und gebirgigen Nebenpfade. Wer den Bus verwenden musste, war schon verloren. Der konnte dem Stau nicht entkommen. Besser ging es vom tiefer gelegenen Bahnhof mit dem Zug nach Arnoldstein und Villach. Dieser Straßenmoloch zerschnitt Thörl in zwei Teile, nicht viel weniger effektiv als die Mauer Berlin. Aber in Thörl war sowieso nichts los. Der fortwährende Verkehr weckte in mir eine unwiderstehliche Sehnsucht nach dem Süden. Ich beneidete alle die Reisenden, die unter den geöffneten Autodächern dem Meer zustreben durften. Es war nur eine Frage der Zeit, bis der Verkehr mich junges Ding erfasste und mit sich fortriss.


Es ist gekommen, wie es musste. Ein paar Jahre später bin ich ins Elternhaus zurückgekehrt mit einem Möbelwagen voller Erfahrungen und zwei kleinen Mädchen. Daniele, meinen Ex, habe ich in Viareggio zurückgelassen. Meinen Familiennamen auch. Witzig! In Italien war ich noch Janach. Die Ehefrauen behalten ihren Mädchennamen. Zurück in Österreich ist das ausgeschlossen. „Sie heißen hier wie ihr Mann und basta!“, musste ich mir anhören. Das Basta wirkte auf mich wie ein Hohn. Sollte ich Casadio Basta heißen? In allen meinen neuen Dokumenten steht jetzt Casadio. Wenigstens sagen die Leute jetzt wieder Michaela zu mir statt Micaela. Meistens höre ich einfach Mihi, sind wir doch in Kärnten.


Nach dem Spießrutenlauf wegen der Dokumente für meine Kinder und mich habe ich mich auf die Suche nach einem Job gemacht. Am besten hätte ich in eine der Speditionen gepasst, die hier an der Grenze stark vertreten waren. Durch den Beitritt Österreichs zur EU fielen aber die Grenzprozeduren weg und die Firmen verschwanden weitgehend. Schon habe ich mich damit abgefunden, vorläufig einmal putzen zu gehen. Die Hauptschule in Thörl braucht gerade eine Putzkraft. Da bekomme ich den Tipp von privater Seite, ich soll doch einmal bei den Richter in Hohenthurn anrufen. Die haben was mit Versicherung zu tun und mit Italien.


Ich stelle mich also da vor. Es ist ein kleines Büro im Kellergeschoß des Einfamilienhauses auf der Wiese zwischen Unter- und Oberort mit vier, maximal fünf Arbeitsplätzen. Billige Büromöbel, aber freundlich. Hanni arbeitet im vorderen Bereich, sie kenne ich von früher. Der Übergang zur hinteren Zone ist offen, nur durch Regale unterschiedlicher Höhe getrennt. Dort haben die Richter ihre Plätze. Jeder an einem Fenster. Der Mann hat die Frau schräg im Rücken, als wäre sie die Chefin, die alles überwacht. Sie überwacht auch mein Gespräch mit ihrem Mann, dem ich gegenübersitze. Er ist gute fünfzig, helle Freizeithose und grün gemustertes Sommerhemd mit offenem Kragen, der Bauch schon rundlich, Zweitagebart, graue Ansätze im dunkelblonden Haar, am Hinterkopf schon deutlich gelichtet. Herr Richter fragt mich aus über meine Hintergründe. Wir reden abwechselnd deutsch und italienisch, kurz auch einmal englisch. Sein Italienisch ist fließend, aber mit österreichischem Akzent behaftet. Zwischendurch erwähnt er lobend, dass mein Italienisch akzentfrei ist. Er redet rasch und geschäftig, versucht mir zu erklären, was genau hier gemacht wird. Ich verstehe die Worte, kann mir aber trotzdem noch nicht richtig vorstellen, um was es genau geht. Frau Richter arbeitet währenddessen weiter, scheinbar unbeteiligt, ich weiß aber ganz genau, dass ihre Ohren weit offen sind. Zwischendurch nimmt sie Telefonate. Ich höre sie deutsch und englisch reden. Das Büro macht einen ruhigen Eindruck und doch merkt man, dass hier etwas los ist. Hanni kommt ungeniert, etwas zu fragen. Erstaunt stelle ich fest, dass sie mit dem Chef per du ist. Herr Richter legt mir einen Europäischen Unfallbericht vor, also das Formular, das Unfallbeteiligte miteinander ausfüllen sollen. Es ist einer in italienischer Sprache. So ein Formular habe ich schon gesehen, klar, es sollte in jedem Auto dabei sein. Aber genauer angesehen habe ich es mir nicht. War auch nicht nötig. Ich bin bisher unfallfrei unterwegs gewesen. Jetzt soll ich das Formular erklären. Es gelingt mir recht gut anhand allgemeiner Logik und weil ich das Gedruckte problemlos verstehe. Herr Richter scheint zufrieden. Er legt mir jetzt ein anderes Formular vor. Ebenfalls in Italienisch fragt es nach meinen persönlichen Daten, meiner Vita und meinen Vorstellungen hinsichtlich Arbeitszeit und Gehalt. Ich fülle alles aus ohne viel zu fragen. In einer halben Stunde ist alles erledigt. Man verspricht mir eine Entscheidung in kurzer Frist.


Ein bisschen skeptisch mache ich mich auf den Heimweg. Bei kleinen Familienunternehmen kann man nie wissen, wie‘s weitergeht. Sind nicht oft die Chefs geneigt, einen über Gebühr auszunutzen? Ich treffe Hanni und erkundige mich nach ihren Erfahrungen. Sie ist schon fast zwei Jahre bei den Richter und ganz zufrieden. Sie sind überhaupt nicht überheblich, sagt sie, sind der Meinung, dass wir in Teamarbeit etwas gemeinsam schaffen wollen, haben mir gleich zu Beginn das Du angeboten, mein Diktatschreiben ist fehlerhaft, aber man bessert die Fehler aus, ohne dass es ein Donnerwetter gibt, sie zahlen pünktlich wie vereinbart, mit dem Urlaub gibt es keine Probleme, man verlangt von ihr keine Nebentätigkeiten, zum Putzen kommt ihre Mutter, kurz, besser hätte sie es nicht treffen können, meint sie. Natürlich haben auch die Richter sie um ihre Meinung über mich gefragt, sagt Hanni lachend, und sie hat bestätigt, die Mihi ist ganz in Ordnung.


Also, interessieren würde mich schon, was die machen und besser als Putzen ist es sicher. Der Anruf kommt, sie wollen es mit mir versuchen. Wir vereinbaren einen Probemonat und anfänglich einen Sechsstundentag mit der Option auf ganztags nach Bedarf. Das passt mir auch, denn es lässt mir Zeit für die Italienisch-Übersetzungen, die ich für eine italienische Transportfirma aus Udine und für andere Kunden privat mache. Die Richter zahlen, was ich gefordert habe, und schon bin ich ein Teil des Teams von Claims Service International.

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Ich bin sehr gespannt, wie sich Michi machen wird. Von Beginn an stoße ich sie ins kalte Wasser und lasse sie telefonieren. Ihr Gesprächston ist makellos, zugleich freundlich und bestimmt. Ihre Aussprache langsam und deutlich, dialektfrei. Doch, eine leichte Abweichung vom puren Deutsch ist da, aber undefinierbar, keiner Region zuzuordnen. Hat sie auch noch keine Ahnung von der Materie, so zieht sie sich doch geschickt aus der Affäre und übergibt, wenn es ihr zu kompliziert wird, an Soile oder mich. Sie hört aufmerksam zu, wenn wir telefonieren, und stellt danach kluge Fragen. Ich erkläre gerne und ausgiebig und suche die alte rote Allianz-Bibel heraus, die ich ihr zum Studieren gebe. Vieles wickeln wir über Korrespondenz ab. Sie liest die ganze Post und versteht rasch, um was es geht. Mit dem PC kommt sie bestens zu Rande. Nach dem Probemonat sind Soile und ich uns einig: Die lassen wir nicht mehr gehen. Wir erhöhen ihr Gehalt und sind hinfort auch mit Michi per du.


Manchmal kommt Michi in der Früh mit einem Wagen ins Büro, ein Rover 75, fast schon ein Oldtimer. Eine seltene Erscheinung mit Charisma. Der Wagen gehört ihrem Freund Walter. Walter ist Busfahrer bei einem lokalen Busunternehmer. Er fährt Linie hier in der Gegend und fallweise Sonderfahrten. Wenn er den Rover selber braucht, bringt er Michi zur Arbeit. Walter ist ein großer, kräftiger und schlanker Mann mit Glatze. Daher erkennt man ihn schon von Weitem, wenn er am Steuer eines Busses entgegenkommt. Noch etwas gehört zu Michis Outfit. Es ist braun und liegt unter ihrem Schreibtisch, solange sie im Büro ist. Ein mittelgroßes, braunes Hunderl, bestimmt ein Mischling, so in Richtung Ridgeback oder Vorsteher. Ganz still und ruhig liegt er in seinem Korb unter dem Tisch und rührt sich nicht. Kaum, dass er sich einmal umdreht. Unsere Katzen, die ums Haus schleichen, lässt er auch in Ruhe. Dürften unter seiner Würde sein.


Italien ist natürlich ein häufig gepflegter Gesprächsstoff zwischen uns. Aus Michis Bemerkungen in diesem Zusammenhang setzt sich nach und nach ihre italienische Vergangenheit wie ein Puzzle zusammen. Wie sie in Torre del Lago eine hochbetagte Contessa betreut hat, rund um die Uhr in deren Wohnung, nobel abgedunkelt, gegen die Hitze, aber vielleicht auch, weil die Contessa nicht daran erinnert werden wollte, wie wenig standesgemäß diese Residenz war. Wie sie die Contessa chauffiert hat mit deren kleinem alten Fiat zum Einkaufen. Chauffeuse, Pflegerin, Haushälterin, Köchin, Gesellschafterin, das alles ist Michi der alten Dame gewesen, die Puccini nicht mochte, den Lokalheiligen von Torre del Lago. Der war ihr viel zu laut und seine Figuren zu unbeherrscht. Aber das ist Michi damals gleichgültig gewesen. Sie hat der Contessa aus der Zeitung vorgelesen, die sie jeden Tag am Chiosco kaufen hat müssen. Es war der Corriere della Sera, der trotz seines Namens am Morgen erscheint. Einem anderen morgendlichen Zeitungskäufer ist dieses hübsche Mädchen aufgefallen, das jeden Morgen eine so großvolumige konservative Zeitung kauft, die kaum zu dem jungen Ding zu passen scheint. Er selbst bevorzugte den Corriere Adriatico mit schwungvoller Berichterstattung ohne klar erkennbare politische Ausrichtung. Montags kaufte er auch die rosa Seiten des Corriere dello Sport. Es war Daniele.


Um Michi mit den Aufgaben auf der Udine-Tour bekanntzumachen, nehme ich sie mit auf diese Dienstreise. Es sind winterliche Straßenverhältnisse. Langsam fahren wir die ungeräumte Dorfstraße hinunter zur Kreuzung mit der Landesstraße, wo ich anzuhalten habe. Das letzte Stück vor der Kreuzung ist vereist. Ich bremse vorsichtig, aber es tut sich wenig. Das Antiblockiersystem klopft laut an allen Lagern, aber mit dem Anhalten vor der Kreuzung wird das nichts. Wir stehen mitten auf der Kreuzung, wo kein Eis ist. Die Landesstraße ist nicht stark befahren. Trotzdem war es reines Glück, dass es keinen Unfall gegeben hat. Ich kann mir vorstellen, wie Michi sich dabei gefühlt hat. Das kann ja heiter werden mit dem alten unsicheren Autofahrer den ganzen Tag unterwegs! Dazu Ö1 aus dem Radio. Höchst seltsam.


Zur Bank in Tarvisio. Ich stelle Michi den Bankmitarbeitern vor. Sie schaut zu, wie ich die Schecks zur Gutschrift aufs Konto einreiche und die Kontoauszüge mitnehme. Weiter über die Autobahn nach Amaro. Seit der Grenze sind die Straßen regennass. Viele Jahre habe ich mir erspart, Winterreifen anzuschaffen. Da, wo ich fuhr, benötigte man sie nur selten. Mit Ö1 war es gleich hinter der Grenze vorbei. Jetzt herrscht das Chaos von unzähligen italienischen Stationen mit Werbung und lautem Pop. Ich habe vorgesorgt und ausnahmsweise zu den Klassik-CDs, die ich immer dabeihabe, noch eine Disc mitgenommen, eine Sammlung von kabarettistischen Aufnahmen aus Ö3-Programmen, nämlich Gernot Kulis‘ ‘Callboy’. Rufen Sie ihn nicht an, er ruft Sie an.


Die Verkehrspolizei, jedenfalls die Männer, sind recht angetan von der Bekanntschaft mit der hübschen Frau, die sie künftig öfter sehen werden. Ich nehme die Kopien mit von ein paar Verkehrsunfallakten und schaue mir an, was seit meinem letzten Besuch vor einer Woche mit Ausländern passiert ist. In Udine wieder Bank und Post mit ihren rückständigen Gepflogenheiten. Die Menschenschlangen vor den Schaltern zur Aufgabe der eingeschriebenen Briefsendungen, auch vor dem einen, der für die Aufgabe von mehr als drei Briefen reserviert ist. Zwischen zwanzig und dreißig sind es bei uns jedes Mal. Briefmarken kaufen, dann auch Stempelmarken beim Gericht.


Vorstellung bei Rechtsanwalt Marian. Ivo ist, wie ich finde recht kühl zu der jungen Dame. Kaum, dass er sie eines Blickes würdigt. Ist ja nur eine Frau. Allerdings, er hat inzwischen auch Konzipienten, fast alle Frauen. Mit knappen professionellen Worten besprechen wir das Nötige anhand der Liste, die ich daheim aktualisiert habe. Auch hier übernehme ich Dokumente und Schecks.


Weit nach der Mittagsstunde weiche ich von meinem üblichen Programm ab. Ich suche mit Michi ein Restaurant auf. Ein recht passables Restaurant, nicht etwa eine der Bars, die auch Imbisse anbieten. Ab und zu habe ich solche mit Ivo aufgesucht, wenn es ihm gerade gepasst hat. Ich allein bin immer ohne Mittagsimbiss ausgekommen. Heute aber will ich mich nicht vor Michi lumpen lassen. Wie zwei Touristen lassen wir uns zum Essen Zeit, bevor wir, etwas schläfrig, restliche Besorgungen in Udine erledigen.


Es kommt nicht oft vor, dass ich mit einer jungen und attraktiven Frau, die nicht Soile ist, einen Tag verbringe. Gespannt beobachte ich, ob es irgendwelche Anzeichen gibt, die auf die Möglichkeit einer Annäherung deuten könnten. Es gibt keine. Gar keine. Michi verhält sich höflich distanziert. Selbstverständlich bleibt ihr nicht verborgen, wie es um mich steht. Sie ist eine Frau. Eine intelligente Frau. Sie weiß, wie gefährlich es wäre, würde sie da etwas zulassen. Die Probleme mit der Chefin. Den ganzen Tag mit ihr in einem Raum. Nein, der Job gefällt ihr. Sie will ihn behalten. Und für eine Dienstreisefrau ist sie sich zu schade. An Huhndorf muss ich denken mit seiner Doppelehe. Seine Angetraute, die angeblich all die Jahre nichts von der Liaison mit der Sekretärin ahnte. Das würde ich nicht aushalten. Gut, dass Michi mich nicht ranlässt. Und, was glaube ich denn? Michi steht mitten im blühenden Leben, während an mir der Zahn der Zeit nicht unübersehbar nagt.


Während der zügigen Rückfahrt reißt der Callboy seine Witze. Wir lachen hin und wieder, aber im Grunde ist es eine schweigende Reise. Unbefriedigt, aber nicht unzufrieden. In den Bergen reicht der Schnee schon tief die Hänge hinab. Zwischen den letzten Tunneln umwirbeln uns dicke weiße Flocken.

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