Ivan Machacek

Ivan Macháček

worin vorkommen: Thörl-Maglern, Meran, Prag, Tschechien, der Irak, Hohenthurn, Rivolto, Venedig, Saddam Hussein, sowie dessen letztlich fruchtlose Palastsicheung

Mit dem Auftauchen der Richter & Richter OEG werden wir regelrecht überschwemmt mit Angeboten für kleine Werbegeschenke. Kugelschreiber, Feuerzeuge, rote Kugelschreiber, Notizblocks, blaue Kugelschreiber, Streichhölzer, grüne Kugelschreiber, Aufkleber, gelbe Kugelschreiber, Wecker, transparente Kugelschreiber, Thermometer, Kugelschreiber, die aussehen wie Injektionsspritzen, Zahnbürsten, lila Kugelschreiber, was weiß ich, was alles, aber vor allem Kugelschreiber, alles mit dem Aufdruck ‘Richter & Richter OEG, Thörl-Maglern’. Thörl-Maglern, weil das zu unserer offiziellen Postleitzahl gehört. Hohenthurn hat kein Postamt. Von dem einen oder anderen sympathischeren Produkt bestellen wir kleine Mengen mit dem korrigierten Aufdruck ‘Hohenthurn’, wenn es klein und leicht genug ist, um es ohne Mehrporto unserer Briefpost beilegen zu können. Den Aufdruck auf die Etuis unserer Zündhölzer entwerfe ich selber.

***

„Es ist ein wunderschöner Herbsttag. Die Sonne scheint, die Straße ist trocken, die Weingärten daneben bunt. Wir, meine Frau und ich, fahren gemütlich in der Kolonne Richtung Meran und freuen uns auf den Abend bei Speck, Kastanien und Wein. Da kommt von hinten ein Verrückter heran, der die ganze Kolonne in der langgezogenen Rechtskurve überholt. Seine Maschine heult wie bei einem Grand Prix. Als ich mit meinem Schrecken fertig bin, ist er längst wieder verschwunden. ‚Organspender‘, sagt meine Frau. Kurz danach hält die Kolonne an und fährt nur noch Stop-and-go weiter. In der nächsten Linkskurve mit freier Sicht weit voraus sehe ich, was los ist. Ein paar Hundert Meter weiter liegt ein Fiat schräg im Graben und noch ein Stück weiter das Motorrad mitten auf der Straße. Der Motorradfahrer sitzt an einen Baum gelehnt am Straßenrand, umringt von ein paar Leuten. Die Kolonne schlängelt sich an der Szene vorbei, aber ich halte an, wie ich sehe, wie die Frau im Fiat ihren Kopf in die Ellenbögen vergräbt, die auf dem Lenkrad liegen. Ich gehe zum Fiat und spreche die Frau durchs offene Fenster an. Sie dreht das Gesicht zu mir und fragt mich etwas, was ich aber nicht verstehe. Es ist italienisch. ‚Are you hurt?‘, fragt meine Frau, die neben mir steht. ‚I don’t know‘, sagt die junge Frau. ‚Maybe, not. Is he alive?‘ ‚Sure‘, sage ich, obwohl ich keine Ahnung habe, ‚sure‘. Wir versuchen, die Frau zu beruhigen, lassen sie von unserem Mineralwasser trinken. Nach einer Viertelstunde kommt die Polizei. Sie nehmen meine Daten auf, obwohl ich mit dem Unfall nichts zu tun habe.“


Was so romantisch begann und so dramatisch endete, war die schriftliche Zeugenaussage von Ivan Macháček aus Prag. Wir hatten ihn angeschrieben und darum ersucht. Er war als Zeuge im Polizeiprotokoll erwähnt. Macháčeks Schilderung war auf Englisch. Soile und ich fanden die blumige Einleitung äußerst sympathisch.


„Wir lieben Dvořák, Smetana und Janáček“, hatte ich an eine Versicherung in Prag geschrieben, nachdem sie drei Zuschriften von uns nicht beantwortet hatte, „weshalb wollen Sie mit uns nicht reden?“ Es hatte nichts geholfen. Weiterhin Schweigen im Walde. Es bleibt nichts anderes übrig, wir müssen nach Tschechien, schlug ich Soile vor. Wir schauen uns Prag an und besuchen ein paar Schadenabteilungen und Macháček. Wir fuhren mit dem Croma. Ivan und Olga, Macháčeks Frau, führten uns durch die Stadt. Ivan hatte eine Flasche Milch bei sich, aus der er ab und zu einen Schluck nahm. Er hatte Magenbeschwerden. Vielleicht hätte er besser das Rauchen eingeschränkt. Ivan und Olga schienen den Weltrekord im Kettenrauchen aufstellen zu wollen. Ich musste an Tino denken, der, ebenfalls starker Raucher, wegen seiner Zwölffingerdarmschmerzen auf vielen Reisen ebenfalls zur Milchflasche gegriffen hatte. Prag fanden wir mysteriös, kafkaesk. Klar, dass da bei den Versicherungen nichts weiterging. Ivan war ein schlaksiger Mann, Mitte vierzig, trotz seiner Beschwerden voller Humor. Olga reagierte auf seine witzigen Bemerkungen mit gespielter Empörung. Beim Essen erzählte Ivan, er sei Techniker. Spezialist für Alarmanlagen. Im Irak habe er den ganzen Palast von Saddam Hussein gesichert. Was er jetzt in Prag sichere, wollte er offenbar nicht so genau sagen. Vielleicht gab es ja auch gerade nicht so viel zu sichern.


Natürlich erwähnte ich unsere Probleme mit den Versicherungen und dass es schön wäre, hier in Prag einen freien Mitarbeiter zu haben, der persönlich intervenieren könnte. Im selben Moment hielt ich ein, mein Blick traf sich mit Ivans. „Könntest nicht du…?“


„Na ja, von Versicherung hab ich keine Ahnung.“


„Zuerst einmal geht’s hier ums Anschieben, Dampf machen. Wenn die Sache einmal rollt, würden schon wir die richtigen Argumente anbringen, die geeigneten Maßnahmen treffen.“


Ivan fragte nicht, was man dabei verdienen kann, aber ich spürte, dass es ihn interessiert hätte.


„Also, leben kannst du davon nicht. Anfangs wirst du auch nicht viel Arbeit damit haben. Mehr als ein Zubrot kann es also nicht sein. Wenn unsere Auftraggeber einmal merken, dass wir auch in Tschechien gute Arbeit machen können, kann es schon intensiver werden. Du kannst ja nebenbei anbieten, die Versicherungspaläste zu sichern…“ Das überzeugte Ivan.

Wir luden die beiden ein nach Hohenthurn und Rivolto, verbunden mit einem Ausflug nach Venedig. Die Milchflasche hatte Ivan immer dabei. Die Hitze machte ihm zu schaffen. Erschöpft musste er eine Weile auf den Stufen einer Brücke sitzend rasten. Als nach einem langen feuchten Abend in Hohenthurn unsere tschechischen Gäste sich in ihr Zimmer zurückzogen, räumten wir noch die Wohnung auf und öffneten alle Fenster und die Terrassentür, um den Zigarettenrauch abziehen zu lassen. Da es sich um eine große Menge Rauch handelte, waren wir mit dem Resultat nicht zufrieden und beschlossen, die Fenster über Nacht geöffnet zu lassen. Richtig ausgeschlafen waren wir noch nicht, als wir gegen neun Uhr früh beginnen wollten, das Frühstück herzurichten. Im Wohnzimmer trafen wir Ivan und Olga. Die Frühaufsteher saßen seit zwei Stunden im Wohnzimmer und rauchten. Fenster und Terrassentür standen immer noch offen. Es kann bei uns im Frühjahr nachts noch frostig sein. Daher hatten sie ihre wärmste Oberbekleidung an. Ivan kritisierte, dass die Sicherungseinrichtungen in diesem Haus überprüft gehörten.


Ivan hat tatsächlich mehrmals für uns bei Versicherungen in Prag interveniert. Später arbeiteten wir mit Rechtsanwälten zusammen. Das verursachte zwar höhere Kosten, brachte aber auch bessere Ergebnisse.

Share by: