Maxi und Massi

Maxi und Massi

worin vorkommen: Wien, Arnoldstein, Persien, Villach, Teheran, der Schah von Persien, die Prinzessin Soraya, Wolfgang A. Mozart, sowie dessen edelmütigste Figur Bassa Selim

Mein Leben in Wien wird schwieriger. Ich bin nicht bettlägerig und doch schwer krank. Meine Schmerzen sind chronisch, schwer und unheilbar. Beide Kiefer schmerzen andauernd. Ich halt‘ die Zahnprothesen nicht aus. Der untere Teil der Wirbelsäule gibt keine Ruhe beim Sitzen, das Becken im Liegen und im Stehen. Das muss man aber immer mehr, je älter man wird. Sitzen, Liegen, Stehen. Das Projektil im Hals, Jahrzehnte ist’s unentdeckt geblieben, jetzt macht‘s vermehrt auf sich aufmerksam. Entfernen wär‘ zu gefährlich. Schmerzen, Schmerzen, Schmerzen. Die Zeit heilt alle Wunden? Meine nicht. Nicht einmal der Schmerz um Tino hat nachgelassen. Wenn ich meine Opioide nicht hätt‘, ich würd‘ wahnsinnig werden. Ich war bei allen Kapazundern, selbst die Schmerzambulanz hat nicht helfen können. Rainer sagt immer, meine Schmerzen sind psychosomatisch. Wird schon stimmen, aber was hilft’s? Die Patienten beim Augenarzt merken von dem allen nichts. Ich spiel‘ dort meine Rolle. Es mag daran liegen, dass ich noch nicht aufgegeben hab. Den Job. Das Leben.


Der Augenarzt macht viel Urlaub. Wenn die Ordination geschlossen ist, fahr‘ ich nach Hohenthurn. Die Schmerzen sind dort nicht weniger, aber wenigstens bin ich näher beim Rainer. Näher? Dass ich nicht lach‘! Die Beiden arbeiten den ganzen Tag. Ich seh‘ sie nur beim Abendessen. Sehr spät. Ich sitz‘ in meinem Zimmer – sitz‘! - und schau‘ fern. Sie haben mir einen Ohrensessel gekauft. Hübsch. Und sehr unbequem. Mit etlichen Pölstern geht’s. Wenigstens muss ich hier die Zähne nicht tragen. Der Rainer ist viel unterwegs. Wenn er zurückkommt, hat er noch mehr Arbeit. Ich muss mich hüten, im Büro zu stören. Das Büro ist heilig. Manchmal geht’s aber nicht anders. Ich kenn‘ mich mit den Fernbedienungen nicht aus. Wenn ich einen falschen Knopf drück‘, geht auf einmal gar nichts mehr. Dann läut‘ ich um Hilfe. Es gibt so eine messingene Glocke dafür. Nach einer Weile kommt der Rainer gerannt. Er schaut genervt, drückt auf zwei Tasten und es kann weitergehen. Einmal hat er g’fragt, ob ich das absichtlich mach, damit ich ihn zu sehen krieg‘. Also weißt! Wenn der Rainer weg ist, läut‘ ich lieber nicht. Die Soile schaut noch giftiger als er.


Wenn’s schön ist, lieg ich irgendwo im Garten, gut eingepackt in Pölster und Decken, den Strohhut tief ins G’sicht gezogen. Sonne darf ich nicht kriegen. Allergie. Der Platz ist schön, aber davon seh‘ ich wenig. Ich dös‘ so dahin. Der Rainer sagt, ich soll Radio hör’n, aber das macht mich krank. Von den Vorträgen versteh‘ ich nichts und wenn Musik ist, seh ich immer den Tino dirigier’n. Schmerzen! Um zehn, halb elf machen sie auf der Büroterrasse Kaffeepause. Die Hanna bringt oft eine Mehlspeis‘ mit. Wenn ich in der Näh‘ bin, krieg‘ ich auch ein Stück und einen Kaffee. Mein Gott, ist der bitter! Ich geb‘ viel Milch hinein und fünf Löffeln Zucker. Die Hanna sieht, dass er mir noch immer zu stark ist und bringt ein bissl Wasser.


Wenn die Oxycodin zu Ende gehn, muss ich zurück nach Wien. Ich krieg‘ die nur mit einem Spezialrezept von der Schmerzambulanz. Der Rainer war mit mir bei einem Arzt in Arnoldstein. In der Hoffnung auf ein paar Oxycodin haben wir ihm alle Befunde gezeigt. Er hat gesagt „Wegen Ihnen geh ich net in‘ Häfn. – Da, probier’n Sie’s mit Alcetalgin.“ Auf meinem langen Leidensweg hab ich schon alles ausprobiert, was die Pharmazie bieten kann. Auch Alcetalgin. Alles hat g‘wirkt. Aber nicht gegen die Schmerzen. Nur scheußliche Nebenwirkungen. Ich hab das Rezept gar nicht ang’nommen und bin z‘ruck nach Wien.

Der Maxi hat schön g’schaut, wie er mich g’sehn hat. Öfters bin ich am ganzen Körper blau g’wesen, wenn ich aus Kärnten nach Haus kommen bin. Einmal hat der Maxi mich g’fragt, ob ich in Hohenthurn misshandelt werd‘. „Schon,“ hab ich g’sagt, „aber davon kriegt man keine blauen Fleck’n.“


Der Maxi wohnt in der Wohnung neben mir. Richtig heißt er Mohammed. Und das ist er auch,ein Mohammedaner. Perser. Bei mir heißt er Maxi. Mohammed ist mir irgendwie unheimlich. Und Maghsudi merk ich mir nicht. Obwohl, als Mensch ist er mir überhaupt nicht unheimlich. So nett und hilfsbereit! Ein Leidensgenosse. Voller Schmerzen auch er. Hat er aus Persien mit’bracht, wie er von dort g’flohen ist. War dort ein hohes Tier g’wesen unter’m Schah im Geheimdienst oder bei der Polizei, was weiß ich. Nach der Revolution hab’n s‘ ihn eing’sperrt und g’foltert. Die Folgen spürt er noch heut. Irgendwie ist es ihm gelungen zu entkommen und er hat in Wien Asyl bekommen. Er wird so Mitte fünfzig sein. Seine Frau ist auch da. Sie ist um einiges jünger. Eine schöne Frau. Und elegant. Kultiviert, eine Soraya. Ihr Name ist mir zu fremd. Ich nenn sie Massi. Maxi und Massi. Er spricht ganz gut deutsch. Sie noch immer nicht, macht aber Kurse. Sie sind recht gut vernetzt in der Wiener persischen Community. Bekommen des Öfteren Besuch. Dann geht’s hoch her in der kleinen Gemeindewohnung. Klein, aber tipptopp restauriert. Alles neu. Fußböden, Türen, Fenster, Heizung, Gastherme. Bei mir schaut’s aus wie im Siebenundfünfzigerjahr. Gut, die Fenster haben s‘ erneuert wegen dem Lärm von der Straße. Die Gastherme hab ich selber tauschen lassen. War schon lebensgefährlich. Das ist Wiener Wohnen. Die warten, bis ich tot bin. Dann wird bestimmt restauriert für die Nachfolger.

Den Maxi hab ich bald nach seinem Einzug kenneng’lernt. Wenn ich ihn oder die Massi am Gang troffen hab, hab ich halt grüßt, wie’s sich g’hört. Dann hab’n wir plaudert und bald sind die zwei vor meiner Tür g’standen einem Blumenstöckl, einem Pfauenauge, das soll Glück bringen, und einem persischen Kuchen. Der Maxi hat g’sagt, ich bin die Einzige, die sie grüßt. Deshalb. Ich hab einen Tee g’macht und hab erzählt, wie ich in Hohenthurn in meinem Zimmer g’stürzt bin. Die hab’n so komische Gitter auf dem Boden liegen (Parkettboden, quadratisch gemustert), da bin ich drüberg’fall’n. Der Rainer ist mit mir ins Krankenhaus nach Villach. Zum Glück war nix Ernstes. Der Maxi hat mir angeboten, ich soll mich bemerkbar machen, wenn ich was brauch. Das ist auch bald ein’treten. Es ist schlimm. In letzter Zeit flieg ich immer wieder, trotz Pfauenauge. Nicht nur einmal bin ich in der Wohnung g’legen und hab nimmer auf können. Ich hab den Draht vom Telefon erwischt und das Telefon ist vom Kastl runterg’fall‘n. Ich hab den Maxi an’grufen und der Maxi ist kommen und hat mich aufg’hoben. Immer wieder ist er kommen mit einem Kuchen oder einer persischen Suppe. Schmeckt grauslich, aber ich hab sie immer tapfer aufgegessen. Es ist der Maxi, der zuhaus kocht. Wir hab’n uns ausg’macht, dass ich jeden Tag zweimal bei ihm anruf. Um sieben in der Früh und um acht am Abend. Wenn ich nicht anruf, kommt er nachschaun. Der Maxi geht für mich einkaufen und in die Apotheke und zum Arzt, die Rezepte fürs Oxycodin und fürs Halcion und für Dulcolax holen. Zuerst hab’n sie ihm natürlich nichts geben wollen. Oxycodin, einem Perser! Nicht vertrauenswürdig. Ich hab intervenieren müssen. Und das kann ich, intervenieren. Eine tolle Rolle. Jetzt klappt’s.


Der ganze Körper vom Maxi ist kaputt. Am schlimmsten ist es mit den Fußgelenken. Jeder Schritt schmerzt. Die Wege, auch wenn sie noch so kurz sind, erledigt der Maxi mit einem uralten Auto. Ein Wrack, wie er selbst. Ich geb‘ ihm halt was fürn Benzin. Neulich ist die Kupplung von seinem Wagen ein’gangen. Ich hab ihm Geld geborgt für die Reparatur. Er hat es pünktlich zurückgezahlt. Manchmal frag ich mich, warum der Maxi das alles macht für mich. Hat er Hintergedanken? Das muss er doch gemerkt hab’n, dass bei mir nichts zu holen ist. Er sagt, er macht es für mich anstelle seiner Mutti. Sie ist in Teheran und würde ihn brauchen, aber er kann nicht dorthin, solang die Ayatollas das Sagen haben.


Der Rainer hat g’meint, ich hätt das Geld für die Kupplung nicht zurückverlangen soll’n. Vielleicht hat er Recht. 

***

Sehr geehrter Herr Maghsudi, lieber Mohammed,

sehr geehrte Frau Maghsudi!

 

 Persönliche Briefe habe ich früher immer mit der Hand geschrieben. Meine Mutter sagte mir, das Lesen von Druckschrift fiele Ihnen leichter, daher wähle ich nun diese Form.

 

Durch die telefonischen Berichte meiner Mutter weiß ich, was Sie für sie tun. Nicht nur sie ist, auch ich bin tief berührt von so viel Menschlichkeit und Güte.

 

Sie haben völlig Recht, wenn Sie denken, dass es mir als Sohn zukäme, wenigstens so gut für meine Mutter zu sorgen, wie Sie es tun. Leider ist es für Sie unvorstellbar, wie leid es mir tut, dass das unmöglich ist. Ich möchte in diesem Brief nicht auf die Details eingehen, es würde nur zu Missverständnissen führen. Glauben Sie mir bitte einfach, dass es nicht geht und dass genau das die unglücklichste Facette in meinem Leben ist, bisher. Oft sagt meine Mutter am Ende eines Telefongesprächs oder eines Besuchs bei uns "Vergelt's Gott". Sie meint einfach danke, aber mein Inneres verwandelt es zu Recht in einen Fluch.

 

Umso dankbarer bin ich der Vorsehung, dass gerade Sie den Weg meiner Mutter gekreuzt haben, denn sonst bliebe wohl für sie jetzt nur noch der traurige Weg ins Pflegeheim. Ich umarme Sie im kosmopolitischen Geiste Mozarts. Die alleredelmütigste seiner Figuren ist auch Orientale.

 

Selbstverständlich möchte ich Sie gern persönlich kennen lernen und hoffe nur, dass es nicht auf einen traurigen Anlass zurückzuführen sein wird.

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