worin vorkommen: Udine, Villach, Tarvisio, Rivolto, Arnoldstein, Codroipo, Italien, Finnland, Götzendorf, Graz, Mariatrost, sowie ein Haufen Möbel samt Klavier im Freien auf dem Richterweg
Im Lauf der Zeit stellten wir fest, dass wir das Haus in Rivolto kaum noch nutzten. Hohenthurn – Udine schnurrte der 626 in einer Stunde ab, nach meinem Gefühl sogar weitgehend autonom. Bald kannte er die Namen aller Tunnels und ihre Reihenfolge auswendig. Mir verblieb nur noch die Oberaufsicht. Manchmal musste ich nach Villach, aber der 626 nahm die Auffahrt Richtung Udine. Gewohnheitstier! Ich bemerkte es zu spät und musste bei Tarvisio umdrehen.
Jemand aus der Umgebung von Rivolto fragte mich, ob wir nicht das Haus verkaufen wollten. Wir überlegten eine Weile. Ein konkreter Verwendungszweck schien außer Sicht und mit dem Geld könnten wir einen Teil des Kredits in Arnoldstein tilgen. Das Angebot schien uns in Ordnung. Also saßen wir bald wieder im Wartezimmer des Notars in Codroipo und harrten eines Augenblicks, in dem er gerade nicht am Stipulieren war. Die Prozedur war uns inzwischen so bekannt, als würden wir alle vierzehn Tage eine Compravendita (Ankauf/Verkauf) abwickeln. Diesmal unterschrieb Soile nicht mehr blind. Im Gegenteil, sie stellte die eine oder andere nützliche Frage.
Drei Fragen beunruhigten mich noch eine Weile. Ob ich doch noch in galera (auf der Galere, im Häfen) enden würde, wenn meine geniale Elektroinstallation den schnellen Tod eines Benutzers verursachte. Oder wenn jemand von der Mansarde durch den ersten Stock bis hinunter ins Erdgeschoß rasseln würde zusammen mit dem schweren Ziegelverbau des offenen Kamins, weil die Fußbodenkonstruktion dafür zu schwach ist. Ach was, wozu hatte ich Ivo? Und drittens, wohin mit dem umfangreichen Mobilar, das noch nicht nach Hohenthurn übersiedelt war? Es ging nicht um den Esstisch in der Mansarde (die alte Tür auf den Umzugskartons), aber das Bücherregal, das Sofa, ein komplettes Schlafzimmer und Mammas Klavier. Die Küche konnte bleiben. Die Käufer übernahmen sie gerne. Loredana und ihr Vater erlaubten uns, die Sachen bei ihnen unterzustellen. Ihr Haus bot genügend leeren Lagerraum. Ich zerlegte alles soweit möglich in Einzelteile. Das Sofa und das Klavier mussten ganz bleiben.
Verkauf und Übergabe von Rivolto funktionierten reibungslos. Damit ging für Soile und mich eine abenteuerliche Episode zu Ende, aber an Abenteuern sollte es auch danach nicht mangeln.
Rivolto Claims Service lösten wir auf. Stattdessen meldeten wir eine Filiale von Claims Service International in Udine an mit Sitz in Ivos Kanzlei. Er erlaubte es wie selbstverständlich und verlangte dafür keine Abgeltung. Die Vielzahl unserer Aufträge war es ihm wert. Wie schon bisher machten wir die ganze Arbeit in Hohenthurn. In Ivos Kanzlei meldeten wir eine eigene Telefonleitung an, die ständig nach Hohenthurn umgeleitet blieb. Die Telecom Italia war das reine Chaos und verursachte uns eine Menge Probleme. Ivo half uns bei der Auflösung der Gordischen Knoten in den Leitungen. Wie so mancher kriminelle Steuervermeider hatten wir jetzt zwei Briefkastenfirmen, eine in Italien, die andere in Finnland.
***
Mama litt bei dem Gedanken an Mammas Klavier, das jetzt bei Loredana untergestellt war. Das erste Mal in ihrem Leben war sie von ihm getrennt. Dass Tino es mir geschenkt hatte, spielte dabei keine Rolle. Es hätte Mama auch nichts ausgemacht, wäre das Klavier bei mir im Haus gestanden. Aber so unnütz in irgendeinem Stadel in Rivolto, das war unerträglich. Ihre Gedanken kreisten immerfort um die Frage, wie sie diesen Zustand ändern könnte. Für Mama war es nicht Mammas Klavier, sondern Tinos, daher ihre Unruhe. Ich bat Mama um Geduld, denn es ging nicht nur um das Klavier, sondern auch um eine Anzahl anderer Möbel, die bei Loredana lagerten. Für die hatten wir momentan keinen Platz im Haus. Und nur das Klavier transportieren zu lassen und erst später die restlichen Möbel, erschien mir unwirtschaftlich. Ich hätte meine Mutter besser kennen sollen. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, musste es geschehen, koste es, was es wolle.
Gott! Welch Dunkel hier! O grauenvolle Stille!
Öd' ist es um mich her. Nichts lebet außer mir.
O schwere Prüfung! -
Doch gerecht ist Gottes Wille!
Ich murre nicht! Das Maß der Leiden steht bei dir.
In des Lebens Frühlingstagen
Ist das Glück von mir geflohn!
Wahrheit wagt ich kühn zu sagen,
Und die Ketten sind mein Lohn.
Willig duld' ich alle Schmerzen,
Ende schmählich meine Bahn;
Süßer Trost in meinem Herzen:
Meine Pflicht hab' ich getan!
Und spür' ich nicht linde, sanft säuselnde Luft?
Was will mein Grab mir erhellen?
Ich seh', wie Engel im rosigen Duft
Sich tröstend zur Seite mir stellen,
Kräftige Männer in Arbeiterkluft
Die liften mich auf, sie betten mich weich
Auf das Gespann zum himmlischen Reich.
(Vorwiegend) Ludwig van Beethoven)
Reden wir nicht über die letzten Jahre. Vergessen im Viehstall, dann in Loredanas Stadel. Zur Strafverschärfung Heavy Metal-Lärm aus einem der Nachbarhäuser und gelegentlicher Besuch von den Katzen und den Ratten der Umgebung, das sind die spannenderen Momente gewesen in dieser gottverlassenen Verbannung. Manches dauert lang, nichts aber ewig. Also, sind sie endlich gekommen und haben mich abgeholt. Wieder auf so einen Lastwagen, wieder eine Weile unterwegs, etwas kürzer diesmal, will mir scheinen, wieder die Luftveränderung, umgekehrt jetzt, von mild zu rauh. Ich ächze beim Abladen, mir tut alles weh von der langen Bewegungslosigkeit so halb im Freien. Inmitten meiner Mitgefangenen stehe ich auf einer schmalen ländlichen Straße. Ein Haus ist in der Nähe, aber niemand macht Anstalten, uns dorthin zu bringen. Wir stehen auf dem Sträßchen wie bestellt und nicht abgeholt.
Eines Tages komme ich aus Udine zurück und finde die Straße unter unserem Haus blockiert von einem Haufen Möbel. Ein schwarzes Pianino ist auch dabei. Mama und Soile bemühen sich gerade erfolglos, das Instrument ins Carport zu schieben. Es ist ihnen viel zu schwer. Sie hat es also geschafft! Mammas Klavier ist da. Zusammen mit dem Bücherregal, dem Sofa, einem kompletten Schlafzimmer und verschiedenen nebensächlicheren Dingen. Über irgendeine Beziehung hat sie den Transport organisiert. Mama ist glücklich. Na, wie hab ich das gemacht? Hat gar nicht viel gekostet. Sie erwartet von uns, ebenfalls glücklich zu sein. Da stehen die Sachen jetzt auf der Straße. Und bis es zu regnen beginnen wird, kann es nicht mehr lange dauern. Dann können wir den ganzen Plunder entsorgen. Wobei, Plunder ist das alles nicht. Die Möbel sind hübsch und in gutem Zustand. Noch.
Ich rufe Karin an. Zum Glück ist sie zuhause. Von ihrem Fenster aus hat sie schon gesehen, dass da etwas Seltsames im Gang ist. Karin eilt herbei. Ich erkläre ihr die Lage. Zum mühsamen Verscherbeln der Möbel werden wir keine Zeit haben. Wir schenken sie kurz und bündig Karin. Sie hat Verwendung dafür in ihrem großen Haus. Vorläufig lagern wir alles im Carport. Später wird die ganze Familie Strasser herüberkommen, um die Stücke nach Hause zu tragen. Das Pianino steht bald in unserem Wohnzimmer. Walter und Peter Dorn gelingt der Coup mit meiner Mithilfe. Dabei jammert Mama die ganze Zeit, weil ich doch mit meinen Bandscheiben nicht schwer tragen soll.
Ein weiteres Mal in meinem langen Leben habe ich mich an eine neue Umgebung zu gewöhnen. Nach und nach komme ich dahinter, dass ich jetzt in einem kleinen Dorf bin in Kärnten, hart an der italienischen Grenze. Das Wohnzimmer, in dem ich mich befinde, ist endlich wieder ein zivilisierter Ort. Größer als die Alserstraße, viel größer als Götzendorf und auch Graz. An die Eßzone erinnere ich mich gut, das sind alte Bekannte aus Graz. Sie finden, ich habe besser ausgeschaut damals in Mariatrost. Kein Wunder nach der langen Zeit in den Friulanischen Viehställen. In meinen Fingern steckt die Gicht, viele wollen sich nicht mehr bewegen. Meine Nerven leiden an unterschiedlichen Spannungen, was meine innere Harmonie stark beeinträchtigt. Etwas stimmt nicht mit meinem Brustkasten. Ein leiser Schmerz durchzieht ihn die ganze Zeit. Sie haben einen Spezialisten aus Villach gerufen. Er nimmt die ganze Klaviatur mit in die Werkstatt. Dort wird operiert, aber nur das Notwendigste. Ganz gesund werde ich wohl nicht mehr. Mein Nervengerüst hält nicht mehr. Das hatte übrigens schon seinerzeit Tino festgestellt. Mit der überholten Klaviatur erhalte ich noch eine oberflächliche Stimmung. Mehr will man in einen greisen Krüppel wie mich nicht mehr investieren. Immerhin bin ich wieder einsatzfähig, hält man die Ansprüche schön bescheiden. Ein alter Mann ist kein D-Zug, pflegte Tino zu sagen. Oft frage ich mich, wozu das Ganze. Kein Schwein rührt mich an. Keine Sau intressiert sich für mich. Rainer und Soile sehe ich den ganzen Tag nicht. Sie kommen sehr spät abends zum Essen. Nur wenn Gäste aus Finnland da sind, ist was los. Da kann ich manchmal doch ein paar Töne von mir geben.
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