31 Malta

Malta

worin vorkommen: Salzburg, Rom, Brixton, La Valletta, die St. John's Kathedrale, Marsaxlokk, Chioggia, Mnajdra, die Paulus Katakomben, Mdina, Rabat, Gozo, Ggantija, Erich von Däniken, sowie  die Freuden einer verweigerten Pauschalreise

Rainer hat sich einen schmalen Sprachführer gekauft. Maltesisch!


Wir haben uns als Ziel für einen Sommerurlaub Malta ausgesucht. Nicht dass man für einen Urlaub in Malta unbedingt Maltesisch braucht, sowohl mit Englisch als auch mit Italienisch kommt man problemlos durch, aber wer Rainer kennt…

Auf Malta ist unsere Wahl gefallen, weil seine uralte Geschichte, die geographische Lage, die archäologischen Sensationen, das mediterrane Ambiente uns geheimnisvoll genug erschienen, um näher damit Bekanntschaft zu machen. Nach Durchforstung verschiedener Pauschalreiseangebote haben wir uns entschieden, keines davon anzunehmen. Wir haben nur den Flug gebucht und werden uns in Malta auf eigene Faust durchschlagen. Wer Rainer kennt…

Boarding nach längerer unvorhergesehener Wartezeit. Der Flug geht über Rom. Rainer sagt, wir sind bei der falschen Maschine. Ich verstehe nicht wieso. Die Stewardess am Einstieg begrüßt uns mit freundlicher Maske, wie eingelernt. Rainer fragt sie: Nach Rom? – Ja, ja. - Sie denkt, der Depp hält alle auf beim Einsteigen. Sind eh schon verspätet. Der geht immer noch nicht weiter. Was will er noch? – Rainer: Ist nur, weil da ‘Salzburg’ steht neben dem Einstieg. – Die AUA-Fee: Wirklich? Sie schaut nach. Tatsache. Muss ich den Capt’n fragen. Nein, ich weiß schon, ist eine Ersatzmaschine. Rom ist schon okay. – Wer Rainer kennt…

Wir haben ausgezeichnetes Frühsommerwetter. Die Landung auf Malta macht mir ein bisschen Angst. Aus meinem Fenster sehe ich nur Wasser und darin überhaupt kein Land. Rainer sagt, wenigstens ist hier nicht Salzburg. Für die Piloten im Cockpit schaut das ganz anders aus. - Hoffentlich! Erst im letzten Augenblick taucht neben uns ein Streifen verdorrtes Gras auf. Ist auch alles gut gegangen.

Die Kabinentür wird geöffnet. Mir scheint, jemand hat von außen eine Heizkanone auf die Öffnung gerichtet. Eine trockene Hitze strömt herein. Sie macht uns zögern, bevor wir auf die Treppe steigen. Als wären wir in Afrika! Aber ja, die Nordküste Tunesiens liegt ja nördlicher als Malta. Es sind nur ein paar Schritte vom Flugzeug ins Abfertigungsgebäude. Trotzdem schwitzen wir gehörig. Unser Gepäck kommt rasch. Und jetzt?

Wir schauen uns um. Das Abfertigungsgebäude hat hohe schmale Fenster, gotisch mit arabesken Verzierungen. Riesige unbelebte Werbeplakate. Taxifahrer bieten sich an. Rainer hat noch keinen Plan, wohin. Die Werbung an den Wänden enthält nichts, was auf Unterkunft hindeutet. Es gibt Abfertigungsschalter, aber nichts deutet auf Touristeninformation hin. Rainer spricht mit einem schwarzen Taxifahrer. Der bietet sich an, uns in ein sehr gutes und günstiges Hotel zu fahren. Er ladet unsere Koffer in einen Mercedes Oldtimer, dagegen war unser Hundertachtziger ein Vorführwagen. Er fährt los, hinaus aus dem Flughafengelände, mit sechzig durch einen Kreisverkehr. Die Fensterkurbel meiner Tür bohrt sich links unten in meine Rippen. Von rechts schiebt Rainer mich noch stärker dagegen. Ja, links der Schmerz und rechts Rainer, denn der Schwarze fährt durch den Kreisverkehr im Uhrzeigersinn, also falsch rum! Seltsam, die anderen Wagen machen das genauso. Alles Geisterfahrer? Ach so, hier ist Linksverkehr. Klar, Malta war ja zuvor britische Kolonie. Der Schwarze rast wie der Teufel durch eine Vorstadtgegend. Es ist lockerer Verkehr. Die anderen Autos fahren genauso wild. Das kann nicht gutgehen. Es muss jeden Augenblick aus sein mit uns. Ich sehne mich zurück ins Flugzeug. Malta ist doch eine kleine Insel. Wie lange dauert der Höllenritt denn noch?

Er hat nicht sehr lang gedauert, aber die vielen Tode, die ich gestorben bin, haben es eine Ewigkeit erscheinen lassen. Das Taxi hält in einer schmalen aber lebhaften Straße. Es sieht aus wie in einer Nebenstraße in Brixton. Ich hatte Malta mehr weißer Bevölkerung zugeordnet. Die hier sind alle schwarz, auch die kleinen Kinder, die auf der Straße spielen. Nichts deutet hin auf ein Hotel. Alte ein- bis zweistöckige Wohnhäuser begrenzen die Straße. Der Taxifahrer redet mit einem Schwarzen, der aus einem Fenster im Parterre schaut. Der nickt zustimmend und schaut weiter aus dem Fenster, während der Taxler unsere Koffer auslädt und ins Haus trägt. Wir folgen ihm bis in den zweiten Stock in eine unversperrte Wohnung. Es ist dunkel, die Fensterläden sind geschlossen. Er stellt die Koffer ab, nimmt seinen Fuhrlohn und verschwindet.

Wir öffnen die Fenster. Sie gehen hinaus auf die Straße. Die Wohnung erscheint auf den ersten Blick nicht so übel. Man hört Tauben gurren. Ein Zimmer mit einem nett gemachten Bett. Die Textilien darauf sind aus dunklen Materialien, die nicht ohne weiteres erkennen lassen, ob sie auch sauber sind. Eine Küche. Gasherd, das Email abgestoßen und vom letzten Kochen angepatzt. Kühlschrank mit gezogenem Stecker. Ich stecke an, öffne die Tür. Es stinkt nach Schimmel. Ausreichend Essbesteck in einer Lade, aber auch hier Grünspan, Grind und Schimmel. Wir werden drei Tage brauchen und eine Reisetasche mit Reinigungsmitteln, bevor das hier bewohnbar wird.

Rainer trägt unsere Koffer zurück auf die Straße. Der Schwarze schaut immer noch aus dem Fenster. Rainer will mit ihm reden. Er zieht sich zurück und schließt das Fenster. Hat verstanden, dass wir nicht bleiben. Rainer schlägt vor, er sucht ein anderes Taxi. Ich weigere mich, allein hier auf der Straße auf den Koffern sitzen zu bleiben unter all den Schwarzen. Also bleibt nichts anderes übrig als zu warten, was passiert. Die Kinder kümmern sich nicht um uns. Eine dicke schwarze Frau beäugt uns. „Taxi?“ fragt Rainer. Mit gleichgültigem Blick verschwindet sie wortlos im Haus gegenüber. Ab und zu fährt ein Wagen vorbei. Wir überlegen schon, einen davon anzuhalten, da kommt plötzlich unser Schwarzer mit dem Taxi heran und hält mit quietschenden Reifen vor uns an. Wir haben keine Ahnung, wer oder was ihn veranlasst hat, zurückzukommen. Ohne irgendetwas zu sagen, schmeißt er unser Gepäck wieder in den Kofferraum. Bevor er damit abhauen kann, bin ich schon im Wagen und Rainer steigt auch rasch zu. Im Losfahren murmelt der Schwarze etwas, ein Wort nur, es klingt wie einer der üblichen Hotelnamen. Uns soll’s recht sein.

Wieder eine Wahnsinnsrallye in die andere Richtung bis vor ein Hotel, das auch von außen wie ein solches ausschaut. Wir bekommen ein kleines aber nettes Zimmer. Das Fenster schaut auf die Dächer eines alten Stadtteils, unter anderem auf das Oktogon einer Kirche. Ab und zu dröhnt der Lärm eines ankommenden Flugzeugs herein. Maltas Flughafen ist nur fünf Kilometer vom Zentrum entfernt. Diese Nacht werden wir bleiben, aber wer Rainer kennt…

Anhand der mitgebrachten Karte von Malta spazieren wir nach Valletta und durchstreifen die abendlichen, jetzt kühleren, schmalen Sträßchen der Altstadt als Teil eines Menschengeschiebes, das man bei uns in Italien Corso nennen würde. Die Triq-ir-Repubblika stellt die Längsachse dar und streift die St. John’s Kathedrale mit dem Schwalbenschwanzwappen der Malteser und wenig weiter den Herrschaftspalast. 

Am Rand der Halbinsel befindet sich auf einer parkähnlichen Fläche die Haupthaltestelle der Linienbusse. Was für Unikate dort noch im Einsatz sind! Coaches, müsste man sagen. Coach-Oldtimer. Abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen, die ersten moderneren Ausführungen der einsetzenden Umrüstung, ist keiner jünger als fünfzig Jahre. Es sind Fahrzeuge, die man in England wegen Überalterung ausrangiert hat. Malta hat gern darauf zugegriffen und die alten Ungeheuer etwas hergerichtet. Den Maltesern gefallen die uralten grünen und orangenen Bedfords und Leylands und für die Touristen sind sie eine Sensation. Museumsstücke mitten im Leben. Von dieser Zentralstelle aus streben die Linien auseinander. Es gibt keine Radialverbindungen. So kommt man immer über diesen Knotenpunkt, wo immer das Ziel liegt. Wir schauen die Schilder mit den Fahrzielen an. Rainer gefällt Marsaxlokk. Weiß nicht, weshalb. Rainer zieht sein Maltabüchlein zurate. Man spricht „Marsaschlock“. Xlokk steht für Südost, gemeint ist der Schirokko, der Wüstenwind. Morgen werden wir mit diesem Coach nach Marsaxlokk fahren. Wer Rainer kennt…

Unser Steinzeitcoach ist so ein grüner mit der spitzen Nase. Aircondition? Nicht nötig. Es gibt keine Einstiegstür. Sie ist nicht abmontiert. Ist gar nicht vorgesehen. Die Fahrer dürfen ihren Arbeitsplatz nach individuellem Geschmack einrichten. Unserer sitzt eingerahmt von Heiligenbildchen und Rosenkränzen. Ob er seine Arbeit für so gefährlich hält? Wegen des ausgeleierten Schaltgetriebes oder der vorsintflutlichen Trommelbremsen? Anfangs ist der Coach ziemlich voll, aber unterwegs steigen die Leute nach und nach aus. Marsaxlokk ist die Endstation am Meer. Der Coach hält im Zentrum, das ist die Mole des kleinen Fischerdorfs mit unzähligen Fischerbooten, von denen wahrscheinlich keines jünger ist als der Coach. Dafür sind sie alle phantasievoll und kunterbunt bemalt mit freundlichen Gesichtern oder Fratzen von bedrohlichen Meereswesen. Gleich neben der Mole ist ein Markt mit Fisch, Obst und Gemüse. Dahinter steht wie der letzte Zahn in einem Kiefer, grau wie Amalgam, ein einstöckiges Wohnhaus mit Vorhängen, die im Xlokk aus den Fenstern wehen. Es könnte genauso in Chioggia stehen. Ein unscheinbares Schild hängt an der Wand. Im Näherkommen entziffern wir es. ‘Hotel’. Rainer ist schon drinnen und handelt unseren Urlaubsaufenthalt aus. Wer Rainer kennt…

Ich habe nichts dagegen einzuwenden. Das Haus ist grotesk, der Ort aber anheimelnd, die Stelle von einer Schönheit, rauh wie der Xlokk. Es gibt einen kleinen Balkon, auf dem ist gerade Platz für ein etwas beengtes Frühstück oder Abendessen für zwei an einem winzigen, wackeligen Campingtisch. Dafür ist in der kleinen Wohnung alles Nötige vorhanden, wie auch unten auf dem Markt. Um die Insel zu erforschen gibt es den Coach und vor allem die eigenen Beine. Wer Rainer kennt…

In den unbeschwerten Urlaubstagen erwandern wir die Insel, erreichen die Sehenswürdigkeiten über Karrenwege, vorbei an wildwachsenden Ohrenkakteen, die uns ihre orangenen, stacheligen, fleischigen Früchte anbieten, vorbei an Schafen und Eseln, an Granatapfelbäumen und Feigen und Zitronen, vorbei an kleinen Gehöften und modernen Villen, manche von ihnen noch im Bau. Sie verraten, dass hier statt Beton oder Ziegel Blöcke aus dem weichen Kalkstein der Insel die Mauern bilden. An einer Baustelle sehen wir, wie am entfernten Ende des Grundstücks das Material aus dem Felsen geschlagen, gleich daneben zu Blöcken geformt und schließlich am Haus verbaut wird. Immer bläst kräftig der Wind. Unser Staunen über die Tempelanlagen von Mnajdra aus der Jungsteinzeit, deren gigantische gemusterten Steinblöcke heute noch aufrecht stehen. Wie die bewegt worden sind? Rätselhaft. Die Paulus-Katakomben, kilometerlange Gänge und Nischen in den weichen Kalkstein gehöhlt zur Bestattung der Verstorbenen, dann auch zu frühchristlichen Versammlungen. Rätselhaft, auf welche Weise man hier unten Licht erhielt. Die Wände weisen keinerlei Rußspuren auf. Die Ortsbezeichnungen aus arabischer Zeit, Mdina, Rabat… Ein Tag auf der kleineren Insel Gozo. Auch hier ein megalithischer Tempel, der die Jahrtausende recht unbeschadet überstanden hat, Ggantija. Was aber Rainer die ganze Zeit nicht loslässt, sind die unerklärlichen ‘Wagenspuren’. An vielen Stellen Maltas und Gozos finden sich Einkerbungen im Kalksteinboden. Paarweise, parallel, konstante ‘Spurweite’, durchziehen sie das Gelände, manchmal Dutzende Meter lang ohne erkennbaren Zweck, ohne erkennbares Ziel. An manchen Stellen gibt es Abzweigungen, Knotenpunkte oder viele Spuren neben- und ineinander. Eine solche vielspurige Stelle wird von einer anderen Spur gekreuzt, an manchen Stellen laufen die Spuren direkt ins Meer hinunter. Oder tauchen sie aus dem Meer auf? Die Lektüre darüber schließt nach und nach alle naheliegenden Vermutungen aus. Transportsystem? Bewässerung? Nichts hält kritischen Argumenten stand. So bleibt viel Raum für die Phantasie. Däniken, Prä-Astronautik… Rainer misst die ‘Spurweite’ und vergleicht sie mit einem Eselskarren, der vor einem Gehöft wartet. „Passt genau“, stellt er fest. Wenn Rainer das sagt… Mit dem Messen hat er so seine Probleme. Um etwas in einer bestimmten Länge abzuschneiden braucht er zahlreiche Versuche, bis es passt. Das hier, dieses empirische Experiment muss natürlich einfach ‘genau passen’. Wer Rainer kennt… 

Aus seinem Maltesisch-Führer bastelt Rainer sich einen Satz zusammen. „Jekk joghgbog sitt bajd u dan il-flixkun tal-inbid“ (Bitte, sechs Eier und diese Flasche Wein). Damit geht er zum nahen Geschäft. Tatsächlich bringt er – nur - den Wein. „Hat mich sofort verstanden. Die habn gschaut!“ Wer Rainer kennt…

Die Tage vergehen viel zu schnell. Unter dem wehenden Vorhang frühstücken wir auf dem kleinen Balkon, danach sind wir auf Expedition. Wenn wir abends zurückkehren, kaufen wir auf dem Markt einen Fisch, den ich ohne viel Tamtam in einer Pfanne mit etwas Olivenöl, Salz, Pfeffer und Knoblauch brate. Dazu viel Salat. Rainer ist sehr zufrieden. Mit dem Balkon, dem Wein, dem transparenten Vorhang, hinter dem ich mich entkleide, und mit der Kiste daneben. Liebe geht durch den Magen. 

Malta - Melita



Insel in des Meeres Mitten

zwischen Sidon, Rom, Osmanien,

Napoli, Karthago, Spanien,

Braut um die sich Viele stritten.

 

Antlitz, sonn- und steinumflutet,

Türme, Bunker, Bastionen

wie fossile Denkronen.

Karrennarben, ausgeblutet.

 

Längst schon tropfen keine Tränen

aus den Steinzeitaugenhöhlen,

krächzen Muselmanenkehlen

nicht mehr Höhnen, nicht mehr Stöhnen.

 


Schütter ist dein Haar und spröde.

Ist einmal ein Baum geraten,

trägt er unterm Ast Granaten,

lässt sie bersten in der Öde.

 

Durch Kakteen, Feigen, Bohnen

kühlt ein Wind das Sonnenfeuer.

Sauer übers Steingemäuer

blinzeln gelb und grün Zitronen.

 

Längst versteinert auch der Drachen

deiner Zunge. Im Gebet

meinst du den von Nazareth

und stößt „Allah“ aus dem Rachen.

 

Grab der Riesen, Gruft der Ritter.

Alle, die um dich gerungen,

hast du endlich selbst verschlungen.

Aschenbienenflug: Melita.

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