worin vorkommen: Uusikaupunki, Helsinki, Madeira, Kreta, Ägypten, Chicago, Turku, Vaasa, Russland, Schladming, Graz, Pordenone, Rivolto, Hohenthurn, die Schären, Vehmaa, Mynämäki, Kuopio, Joensu, Kuosku, Ylemaa, Nauvo, Kittilä, Kuusamo, Taivalkoski, Savukoski, Kasachstan, Malaysia, Lignano, die Villa Manin, Arnoldstein, die Urantia Foundation, das Buch 'Urantia', Saab, Porsche, Mercedes, Sampo Versicherung, die Aborigines, sowie das lustige Leben der Tante Kaisa mit traurigem Ende
Was ist das für eine Familie, in die ich da hineingejeiratet habe?
Uusikaupunki, deutsch Neustadt, ist eine Kleinstadt am südwestlichen Zipfel Finnlands. Heute zählt sie knapp 16.000 Einwohner, damals, nach Kriegsende mögen es vielleicht gerade halb so viele gewesen sein. Der Hafen hat seither an Bedeutung zunächst eingebüßt, zuletzt aber wieder zurückerlangt, seit sich die deutsche Autoindustrie hier angesiedelt hat. Fette Zeiten und magere in ständigem Wechsel, denn die Autoindustrie kommt und geht nach Belieben. Das Umland, ist geprägt von Landwirtschaft.
Kaarlo ist Briefträger in Uusikaupunki. In den Kriegszeiten dient er als LKW-Fahrer. Diese Tätigkeit übt er auch nach Kriegsende weiter aus. Kerttu ist Hausfrau. Das Paar bewohnt anfangs eines der alten typischen Stadthäuser aus Holz in der Altstadt von Uusikaupunki, Ecke Rantakatu (die Straße den Stadthafen entlang) und Pohjoistullikatu (Zollamtstraße).
Später steigt Kaarlo auf Autobus um und chauffiert finnische Touristen durchs europäische Ausland. Nein, Massentourismus gibt es noch nicht in diesen harten Nachkriegsjahren. Nur vom Schicksal Privilegierte können sich eine Auslandsreise leisten. Für die meisten bleibt das ein unerfüllbarer Traum.
1943 kommt Seppo zur Welt, Soile 1945, bald danach Sinikka 1946. Nach Kriegsende können Kriegsteilnehmer Grundstücke der Gemeinde günstig erwerben. So kauft Kaarlo das Grundstück an der Välskärintie (Baderstraße). Das Grundstück ist für unsere Verhältnisse ziemlich groß (1 ha), liegt im Wald unweit des Meeres, von dem es in westlicher Richtung nur durch zwei oder drei Nachbargrundstücke getrennt ist. Im Norden ist es etwa ein Kilometer durch den Wald zum Zentrum. Auch etwa ein Kilometer ist es östlich zum Krankenhaus. Der Sportplatz ist auch in dieser Richtung. Der dient aber anders als bei uns nicht in erster Linie dem Fußball, der spielt in Finnland nicht die große Rolle. Erst in letzter Zeit sieht man Finnland in den europäischen Bewerben besser abschneiden und gibt es ein paar finnische Legionäre bei europäischen Klubs. Die Leute spielen auf dem Sportplatz Hockey, im Winter Eishockey, betreiben Leichtathletik und Schilanglauf. Eine beleuchtete Loipe führt durch den Wald. Heute liegt dort auch das Empfangsgebäude der Golfanlage, die sich südlich wiederum zum Meer hin erstreckt. Kaarlo baut auf dem Grundstück das kleine Holzhaus, das 1950 bezogen wird. 1955 kommt Nachzüglerin Sirkku zur Welt.
Jemand, der im Ausland oder mit dem Ausland zu tun hat, genießt in Finnland besonderes Ansehen wie grundsätzlich auch die Ausländer selbst. Die Finnen neigen dazu, sich Ausländern gegenüber geringer zu schätzen. Das kann man unter den Älteren heute noch finden. Die Jüngeren sind – nicht zuletzt durch das Zusammenwachsen in der EU – draufgekommen, dass sie gar keinen Grund haben für Minderwertigkeitsgefühle Ausländern gegenüber, weil sie denen in vieler Hinsicht ebenbürtig und auf manchen Gebieten überlegen sind. In den Zeiten von Kaarlos Auslandsreisen geben diese aber sicherlich noch Anlass für besondere Bewunderung. Und außerdem ist es spannend, was für schöne und interessante Sachen Kaarlo von seiner Europareise mitbringen wird. Eine junge Tanne aus Österreich ragt heute hoch auf vor dem unscheinbaren Haus in Uusikaupunki.
Abgesehen von Seppo befindet sich da im finnischen Wald also ein Dreimäderlhaus. Der Schulweg mag oft schwer sein im Winter durch den hohen Schnee, dafür aber gibt es herrliche Ferientage auf den runden Felsen am Meeresstrand, wenn nicht gerade irgendeine Obst- oder Gemüseernte Mithilfe verlangt. Glückliche Gefühle sind mit Soiles Erinnerungen an die gemeinsamen Ferienreisen verbunden, als man zu acht in einem riesigen alten Oldsmobile durch Finnland tourte.
1961 stirbt Vater Kaarlo an Nierenversagen. Heute käme man zur Dialyse und würde auf eine Ersatzniere warten. Damals gibt es zwei Dialysestationen in ganz Finnland. Keine Chance für Kaarlo. Die Kinder sind nun sechs bis achtzehn Jahre alt, die Witwe zweiundvierzig. Etwas wie eine Witwen- und/oder Waisenrente gibt es nicht. Kerttu ist daher gezwungen, sich und die Kinder irgendwie über Wasser zu halten. Sie arbeitet als Postgehilfin, trägt Telegramme aus, ist Hilfsschwester im Krankenhaus, vermarktet die Obsternten, wobei die Kinder mithelfen müssen, näht nachts selber die Kleider für sich und die Kleinen. Trotzdem erhält sie vier Lyren. Bei jedem Kind, das die Matura schafft, bekommt die Mutter eine goldene Anstecklyra. Der/Die MaturantIn darf sich die weiße Schirmkappe aufsetzen. Die Jahre bis dahin sind hart für alle fünf. Die Wohnfläche in dem kleinen Holzhaus beschränkt sich auf die mittlere Etage. Zwei Zimmer, Küche. Zum Plumpsklo muss man durch den finnischen Winter durch den Garten. Das Wohnzimmer ist gleichzeitig Schlafraum für die Kinder. In einer Ecke sind zwei Stockbetten aufgebaut. Der kleine Kanonenofen steht jenseits der Wand in der Küche. An dieser Wand ist es heiß. Von der gegenüberliegenden kann man die Eisschicht von den Tapeten kratzen. Derselbe Wohnraum ist Esszimmer und Lernplatz aller vier Kinder.
Kerttu stirbt 1983 an Krebs. Da ist Seppo schon in den besten Jahren. Wie Kaarlo und Kerttu arbeitet auch er anfangs für die Post, schon damals in Helsinki. Daneben macht er eine Ausbildung zum Notar, schließt sie aber nicht ab. Er engagiert sich in der Kommunistischen Partei und ist Reiseleiter in Madeira, Kreta und Ägypten. Sprachenbegabt betätigt er sich auch als Übersetzer. Als ich ihn 1989 kennen lerne, betreibt er in Helsinki ein kleines Papiergeschäft, das er aber kurz danach aufgibt, weil die Kunden stehlen wie die Raben und er auch ein paarmal überfallen wird. Als Übersetzer kommt er mit der Urantia Foundation in Berührung. Er übersetzt das Urantia-Buch ins Finnische.
Das weiß Wikipedia über Urantia:
Das Buch Urantia stellt den Begriff Urantia als den Namen des Planeten Erde vor. Das Buch entstand in Chicago, Illinois, USA zwischen 1924 und 1955, aber seine genaue Autorschaft gilt als unbekannt. Die Autoren des Urantia Buches geben an, dass es ihre Absicht sei, "umfassendere Konzepte und eine fortgeschrittene Wahrheit“ in einem "Versuch darzustellen, kosmisches Bewusstsein zu erweitern und die geistige Vorstellung zu erhöhen“. Unter vielen anderen Themen nehmen sie Bezug auf den Ursprung und die Bedeutung des Lebens, beschreiben den Platz der Menschheit in der Schöpfung und besprechen das Verhältnis zwischen Gott und Mensch.
Das Buch ist ein geistiges und philosophisches Buch, das Gott, Wissenschaft, Religion, Geschichte, Philosophie und Schicksal thematisiert. Das ursprüngliche Buch umfasst 2.097 Seiten, besteht aus einem Vorwort und aus 196 Aufsätzen und ist in vier Teile gegliedert. Die Urantia Foundation veröffentlichte zuerst die Urantia-Papiere 1955 als das Buch Urantia auf Englisch. Es gibt Übersetzungen in zahlreiche Sprachen und einige neue Übersetzungen sind in Arbeit.
Die Übersetzung erfordert engen Kontakt mit der Foundation in Chicago. Dort erkennt man die besonderen Fähigkeiten Seppos und bald wird er Supervisor für andere Übersetzer des Buches in mehrere andere Sprachen. Die Foundation legt größten Wert darauf, dass die übersetzten Texte in allen Einzelheiten dem Geist des Originals genau entsprechen. Seppo steigt im Zuge dieser Tätigkeit zum Chairman der Foundation auf. Häufige Reisen nach Chicago und in alle Ecken der Welt gehören dazu.
Soile schließt in Turku ein Handelsstudium ab. Keine leichte Sache in Anbetracht der schwierigen Lage daheim. Sie arbeitet dann bei verschiedenen Unternehmen als Sekretärin, bei einer Import-Export-Firma in Helsinki, einer Schuhfabrik in Vaasa, die stark nach Russland exportiert, bei Saab in Uusikaupunki. Ja, das berühmte schwedische Auto wird, ebenso wie später viele Porsche und Mercedes, teilweise im finnischen Uusikaupunki hergestellt. Sie heiratet Ilkka Lindström, einen Juristen, der in Turku Richter wird. Zwei Töchter werden geboren, Sanna 1971 und Kirsi 1974.
Soile wechselt zur Sampo Versicherung in Turku und arbeitet in der Auslandsabteilung. Die schickt sie 1988 zu einem Seminar nach Schladming, wo sie auf den anderen Richter trifft, der nur so heißt. Es kommt zur Scheidung beider Richter, aber Soile behält jedenfalls einen. Mit dem Übersiedlungen nach Graz, Pordenone, Rivolto. Dort seit 1991 Jungunternehmerin auf dem Sektor internationale Schadenfälle. Nur Gott weiß, außer uns, was alles wir aufgeführt haben. 1996 Verlegung der Firma und des Wohnsitzes nach Hohenthurn.
Sinikka wird Krankenschwester im Krankenhaus in Uusikaupunki, wo mentale Patienten behandelt werden. Sie heiratet einen Techniker, Matti Litmanen, ein Sohn kommt zur Welt, Jukka. Auch diese Ehe wird wieder getrennt. Sinikka heiratet den ebenfalls im Krankenhaus (als Krankenpfleger) beschäftigten Tauno Virtanen. Auch mit Tauno hat sie einen Sohn, Jani. Tauno ist Gemeinderat für die Sozialistische Partei in Uusikaupunki, Sinikka folgt ihm in diese Position, als Tauno pensioniert wird.
Sirkku heiratet früh ihren Jugendfreund Kari Suominen. Kari ist Seemann und befährt auf Handelsschiffen die Weltmeere. Er ist oft viele Wochen unterwegs. Später bekommt er die Stelle eines Lotsen. Die gehen an Bord der großen Schiffe und geleiten sie von den Häfen durch die Schären ins offene Meer und umgekehrt. Jetzt hat Kari mehr Zeit für die Familie.
Sirkku arbeitet in der Immobilienabteilung einer Bank in Uusikaupunki. Die beiden bewohnen das kleine alte elterliche Haus in der Välskärintie, das auch in dieser nachfolgenden Generation zum Dreimäderlhaus wird. Karoliina, Henriikka und Sarlotta heißen Soiles Nichten.
Soiles Tochter Sanna studiert Kinderpädagogik und wird Kindergärtnerin. Sie heiratet Esa Heikkilä, den Gebietsvertreter eines Fleischproduktegroßvertriebs. Esa ist der Sohn einer alteingesessenen, stolzen und traditionsbewussten Farmerfamilie in Vehmaa, die Schweinezucht betreibt. Auf die EU sind die nicht gut zu sprechen. Der Ehe entspringen die Zwillinge Waltteri und Julianna. Esa, Sanna und die Kinder haben uns von Anfang an oft in Hohenthurn besucht und wir sie in Mynämäki, wo sie einen schönen Bungalow bewohnen. Vehmaa und Mynämäki sind kleine ländliche Nachbarortschaften zwischen Turku und Uusikaupunki. Ihre uralten Steinkirchen zeugen von einer langen, bodenständigen Geschichte. In halben Nächten haben wir bei Wein, Chips und Schokolade Phantasien entwickelt für eine Zukunft der Familie in Österreich, weil Sanna in ihrem beruflichen Umfeld sich nicht so wohl fühlte. Es liegt auf der Hand, dass daraus nichts werden konnte.
Kirsi studiert Forstwirtschaft in Kuopio und Juoensu. Das ist schon ziemlich nördlich. Noch nördlicher hinauf entführt sie die Liebe. Dass sie sich bei uns in Hohenthurn verlobt hat, beschert mir ein auch nach vielen Jahren nicht nachlassen wollendes Verantwortungsgefühl. Ihr Verlobter heißt Vesa, ist ein kleiner, stämmiger Naturbursche aus Kuosku, das ist eine winzige Ansiedlung in Lappland. Der nächste größere Ort, Savukoski hat auch nur tausend Einwohner. Der Polarkreis liegt etwa 120 Kilometer südlicher. Murmansk ist um vieles näher als Helsinki. Vesas Familie trägt den Namen Kuosku, identisch mit dem Wohnort. Die Eltern sind Rentierzüchter. Kirsi hat Vesa auf der Uni kennen gelernt. Weil auf den naturnahen Sektoren und überhaupt im Norden Jobs das Hauptproblem fürs Überleben sind, müssen die beiden ihren Jobs förmlich nachziehen und somit Übersiedlungen in dichter Folge in Kauf nehmen. Eine kurze Weile führen Jobs Vesa und Kirsi auch in den Süden nach Ylämaa und Nauvo, aber da gefällt es dem Naturburschen aus dem Norden weniger. Die Winter sind viel zu warm! Aber auch Kirsi fühlt sich wohler in den einsamen Weiten der Wälder und verlorenen Seen. Zwischen den Umzügen von und nach Kittilä, Kuusamo, Taivalkoski, Savukoski, und so weiter und so fort, kommen Eetu, Jussa und Lotta zur Welt. Noch sind die Kinder klein und bereit, mit den Eltern auf Reisen zu gehen und wir sind gespannt, ob es Travis, der alte Camper auch einmal nach Hohenthurn schafft. Aber die Tage sind gezählt, bis die drei Wilden selbständig auf Entdeckungsreisen gehen. Wenn sie dann nach Kärnten kommen wollen, wird uns das freuen. Aber werden sie nicht vielleicht lieber nach Kasachstan oder Malaysia oder zu den Aborigines reisen als zu der alten Tante mit dem komischen Onkel in Österreich?
Mit allen, die ich hier erwähnt habe, verständige ich mich in Englisch. Nur mit Tauno geht das nicht. Er spricht nur Finnisch. Unsere Zeichensprache ist umso herzlicher. Die meisten von ihnen sprechen ein hervorragendes Englisch, fließend und vokabelsicher. Viele haben sogar gewisse Deutschkenntnisse, wenngleich eingerostet. Seppo, ich habe es erwähnt, ist ein Sprachengenie. Trotz seiner langen Tätigkeit in Chicago ist sein exzellentes Englisch rein britisch geblieben. Wir könnten uns ohne weiteres auf Deutsch unterhalten, doch mit Rücksicht auf weitere Anwesende bleibt es meistens beim Englischen.
Seppo besteht aus Seppo und Seppo. Groß und schlank ist der eine Seppo, korpulent der andere. Seppo lebt seit vielen Jahren mit Seppo Niskanen zusammen. Sobald die Rechtslage es ermöglichte, wurden die beiden das erste gleichgeschlechtliche Ehepaar in Finnland. Um sie auseinanderzuhalten, nennen alle den Verwandten „unseren Seppo“, den Schwager den „anderen Seppo“, oder auch „Seppo N.“ (für Niskanen). Wenn von beiden Seppo die Rede ist, sagt man einfach Seppot (im Finnischen bildet man die Mehrzahl mit -t). Der andere Seppo hat als Controller in einer finnischen Erdölgesellschaft gearbeitet, die später russische Eigentümer erhält. Die Zustände werden dann auch russisch, aber mittlerweile ist auch der andere Seppo in Pension. Was ich über unseren Seppo gesagt habe, trifft ebenso auf den anderen zu. Höchst kultiviert, was sich schon in seiner tiefen, warmen Stimme und behutsamen Sprache ankündigt. Auch Seppo N. ist Urantianer. In der riesigen Bibliothek der Beiden habe ich monumentale Werke aus Geschichte, Politik, Kunst, Religion und Philosophie gesehen. Diese Bibliothek wird für sie noch ein gewichtiges Problem werden bei den mehreren Übersiedlungen, die sie zu bewerkstelligen haben werden.
Uusikaupunki, dunkelgraue Dämmerung. Ein Polizist macht gelangweilt seine Runde. Endlich ist da etwas los, wenigstens, es scheint sich anzubahnen. Da kommt doch tatsächlich ein Fahrrad ohne Licht die abschüssige Straße herunter. Der Poliisi Mies hebt seinen Arm. „Seis! Halt! Seis!“ Das Fahrrad ist schon nahe. Es hält seine Geschwindigkeit bei. Eine junge Frau sitzt auf dem Rad. „Seis! Ohne Licht!“ Die Frau rauscht vorbei. „Ja, und Bremsen habe ich auch keine!“ Weg war sie.
Der Vorfall ist nicht charakteristisch für finnisches Verhalten, schon gar nicht für Frauen. Er ist aber charakteristisch für Kaisa Lahtinen. Täti Kaisa, Soiles Tante Kaisa. Ich muss sie erwähnen, weil sie so untypisch finnisch ist. Vielleicht hat Karoliina, Sirkkus Tochter, ein paar Gene von ihrer Großtante abbekommen. Fallschirmspringen, das wäre auch etwas für Kaisa gewesen. Früher hatte sie in einem der Holzbungalows in der ‚Stadt‘ gewohnt mit ihrem Mann, dessen Bootbauunternehmen Pleite machte. Das nahm ihm jeden Lebensmut. Er arbeitete danach nicht mehr. Kaisa musste für den Lebensunterhalt aufkommen. Das war vergleichbar mit Fallschirmspringen. Als ich sie in ihrer Wohnung in Uusikaupunki kennengelernt habe, im sechsten Stock eines Wohnsilos im Wald, unweit des Hotels Aquarius, da war sie schon betagt. Trotzdem war sie immer noch das lustige junge Ding von früher. In ihrer Unternehmungslust schloss sie sich einer Pensionistengruppe an, mit der sie jeden Sommer für zwei Wochen per Bus nach Lignano reiste. Sie war sofort dabei, als wir ihr vorschlugen, sie vom Hotel abzuholen und uns in Rivolto zu besuchen. Wir zeigten ihr die Villa Manin und besuchten die kleine Bar auf der Piazzetta vor dem Tor. Wir bestellten Grappa, das wollte sie unbedingt auch haben. Sie kostete vorsichtig, stellte fest, das war ordentlich stark, und kippte den Schnaps mit einem Schluck weg. Weil das Vergnügen so kurz war, folgten einige Ryyppylasit mehr. Leicht beschwingt fuhren wir in die Via Gatteri. Ein starker Kaffee würde das weiche Gefühl aus unseren Knien entfernen. Kaisa saß entspannt auf ihrem Sessel, als Ugolino unangemeldet auf ihren Schoß sprang. Kaisa presste die Knie zusammen, hob die Arme halb hoch und blieb wie versteinert in dieser Position. Es wunderte mich, dass ihre Tasse nicht durchs Zimmer flog. Sie mochte keine Katzen. Ugo sprang nur solche Besucher an, die Katzen nicht mochten.
Als ich Täti Kaisa zum letzten Mal sah, wohnten wir schon in Hohenthurn. Auf der Fahrt nach Lignano legte der Bus ihrer Reisegesellschaft auf dem Parkplatz der Raststation Dreiländereck bei Arnoldstein eine Pause ein. Wir warteten dort auf sie und verbrachten die allzu kurze Pause mit ihr. Aus dem Fenster winkend rollte sie davon, ein Lachen im Gesicht. Soile besuchte sie zuletzt im Krankenhaus in Uusikaupunki. Kaisa war daheim vom Klositz gefallen und hatte sich die Hüfte gebrochen. Das hat sie nicht überlebt.
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