20 Hertz

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Singen muss er

worin vorkommen:  Salzburg, Innsbruck, Venedig, Triest, Verona, Bologna, Vösendorf, Leobersdorf,  die Zitadelle in Budapest, der Plattensee, Langenzersdorf,  Nasswald, Schwarzau im Gebirge, Klostertal, Höllental, die Rax, Hainfeld, Roman Polansky, 'Wenn Katelbach kommt', Godot, sowie ein nimmersatter Koala und Ampelregelung in Omas Schlafzimmer

Da plötzlich finde ich meinen Traumjob. Ich bin Rental Agent bei Hertz Rent a Car in Wien. Gleich am ersten Arbeitstag wird mir klar: Hier geht’s drunter und drüber. Man versucht so freundlich wie möglich zu sein zu netten und weniger netten, jedenfalls ungeduldigen Kunden, oft 1956 in die USA emigrierte Ungarn, die es nicht erwarten können, ihre im Osten gebliebenen Verwandten heimzusuchen. Man gratuliert ihnen zum kostenlosen Upgrade, das heißt, man versucht, ihnen so lange es geht zu verbergen, dass der reservierte VW nicht verfügbar ist, arbeitet daran, ihnen einen Opel einzureden, eine Preisklasse höher, aber ausnahmsweise zum niedrigeren Preis. Der Opel hat zum Glück gerade eingecheckt und wird, während der Mietvertrag schon ausgefüllt wird, in aller Eile oberflächlich abgeputzt. Beim Übergabecheck stellt sich heraus, das Reserverad fehlt. Macht nichts, kaufen Sie eins, wir ziehen den Betrag vom Mietpreis ab. So arbeiten zwei oder drei weibliche Rental Agents in der Vormittagsschicht, nach Mittag werden sie von zwei weiteren abgelöst werden. Es sind sehr hübsche Damen im Stewardessenlook, jung, wenngleich wenige Jahre älter als ich. Ab jetzt werde auch ich dabei sein. Fantastisch! Auto fahren, junge, hübsche Kolleginnen, Auto fahren, in ständigem Kontakt mit Ausländern, Auto fahren und englisch speaken!

Herr Kreitner, der City Manager, ein netter und ruhiger Dreißiger, Fels in der Brandung, der überall mit angreift, wo es Not tut, und sei es, rasch einen Wagen mit Kübel und Fetzen zu waschen und auszusaugen, schickt mich mit einem Wagen nach Meidling, dort befindet sich die Service-Garage. Toll! Ich darf mit dem schönen Auto durch halb Wien fahren! Und zurück – Straßenbahn? Auf keinen Fall, sagt Herr Kreitner. Mit der Straßenbahn fahrn die Schaffner. Ich soll ein gewartetes Fahrzeug nehmen und ins Hotel Prinz Eugen zustellen. So einen Mietvertrag habn S' eh schon gsehn? Von dort gehen S' ins Hotel Rainer und holn S' einen Mercedes ab. Den bringen S' da her.


Der Mietvertrag ist ein Kinderspiel. Alles durchaus logisch und selbsterklärend. Der Mercedes aus dem Hotel Rainer hingegen hat es in sich. Er steht in der Garage, eingekeilt zwischen vielen anderen Autos und ich muss mir erst einen Plan zurechtlegen, wie ich aus diesem Labyrinth herauskomme. Nachdem ich das in großen Zügen ausgedacht habe, steige ich ein, um den Plan zu verwirklichen. Da schlägt der Blitz ein: Der Wagen hat kein Kupplungspedal! Von einem automatischen Getriebe habe ich irgendwann schon gehört, aber gesehen oder gar betätigt natürlich noch keines. So mache ich mich mit den Eigenarten dieser exquisiten Erfindung innerhalb eines Spielraums von fünf Zentimeter vorwärts und ebenso viel rückwärts vertraut. Letztlich aber finde ich das Rangieren viel leichter als mit einem Schaltgetriebe. Und schon auf dieser ersten Fahrt durch die Stadtstraßen genieße ich das neue, geschmeidige Lenkgefühl.


So werde ich vom ersten Augenblick an ins kalte Wasser gestoßen. Es ist aber auch gar nicht anders gegangen. Learning by Doing. Etwas Tolleres habe ich nie erlebt! Der Stress ist schon sehr stark. Jeden Abend sind für die Reservierungen des nächsten Vormittags zu wenig Autos da. Zwar sollten auch welche zurückkommen, aber das ist nicht verlässlich. Wenn die Not am höchsten steigt und die Flughafenstation meldet, dass dort nichts zu holen ist, weil man selber ungedeckten Bedarf hat, bleibt nichts anderes übrig als die anderen Stationen in Österreich und im benachbarten Ausland anzurufen, um etwa dort zurückgegebene Autos zu finden. Eigentlich sollte unsere Car Control das wissen, aber die funktioniert damals noch nicht elektronisch, sondern anhand von Papierbelegen, die mit der Post verschickt und dann händisch einsortiert werden sollen. Die Post ist langsam. Das macht aber nichts, denn unsere Sortierstelle ist sowieso unbesetzt, dort stapeln sich die Belege von Monaten. Außerdem könnte es sein, dass inzwischen ein gesuchter Wagen in Richtung Österreich vermietet worden ist. Also bleiben nur Telefon und Fernschreiber. Dann fahren nachts je nach dem drei bis fünf Angestellte mit einem Wagen, der in diese Richtung soll, also etwa einem deutschen oder französischen, nach Salzburg oder Innsbruck, um von dort drei bis fünf österreichische Autos nach Wien zu holen. In der Früh setzt sich hier das Spiel vom Vortag fort. 




Fernschreiber? Die Wenigsten werden sich heute noch daran entsinnen. Ein riesiger Holzkasten, eine überdimensionierte Schreibmaschine beherbergend, die Typen flogen gegen eine dicke weiße Papierrolle und übertönten dabei  mit ihrem Geklapper das böse Brummen des elektrischen Antriebs. Man konnte Nachrichten auf Lochstreifen speichern und ließ die dann rasch durch das Lesegerät laufen, was die Übertragungszeiten erheblich verkürzte. Wartete man auf die sofortige Antwort, ließ man ein paarmal eine Glocke klingeln.

Man schrieb allgemein in Englisch, auch nach Italien und Frankreich. Antworten oder Anfragen von dort kamen aber fast ausschließlich mit einiger Verzögerung italienisch oder französisch, wenn überhaupt. Es war auch relativ egal, ob man der Station in Venedig ankündigte, man werde die zwei deutschen und den österreichischen Wagen am nächsten Morgen abholen, die waren trotzdem mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht mehr da und man versuchte sein Glück eben in Triest, Verona oder Bologna. Ich erinnere mich an meine erste Fahrt nach Venedig. Kreitner hieß mich am Abend nicht heimzugehen, es ginge nach Venedig. Toll, nach Venezia! Ich wäre überall hingefahren, und wäre es Venezuela gewesen. Wir waren zu fünft in einer Alfa Giulia 1300, der Riwula, am Steuer, ein wilder Hund! Ich als Schmächtigster saß hinten in der Mitte neben mir der gemütliche ältere Herr Weiß, Buchhalter – sorry, Account Manager. Damals bestand die Südautobahn gerade einmal zwischen Vösendorf und Leobersdorf und die anderen Straßen waren auch nicht so ausgebaut wie heute. Wo man heute durchs Kanaltal mit einem Finger am Lenkrad und eingeschaltetem Tempomat auf einer bestens angelegten Autobahn, manche sagen leider, durch 17 Tunnel gleitet, kann man stellenweise noch hinüberschauen zur anderen Talseite. Dort kann man die Reste der alten Straße sehen, wie sie sich schmal in unzähligen engen Kurven um die Seitentäler herum und durch Dörfer windet. Wenn ich heute von der Autobahn hinüber schaue auf die oft noch sichtbare alte Trasse, kann ich nicht umhin, an jenen Höllenritt mit Riwula zu denken, der die temperamentvolle Giulia durch die unübersichtlichen Kurven trieb, dass Herrn Weiß und mir Hören und Sehen verging. In jeder schärferen Kurve verkündete Riwula „Singen muss er“ und Weiß und wir anderen bestätigten zaghaft „Singen muss er“ und die Giulia sang, bisweilen dramatisch. Riwula begründete seine Tempowahl mit der bereits aufgehenden Sonne, was aber nur Herr Weiß und nur für einen kurzen Augenblick glaubte, denn es handelte sich um einen riesigen gelben Vollmond. Sechs Stunden für Wien - Venedig, das ist selbst unter heutigen Verhältnissen kaum zu schaffen. Es war aber auch ganz unnötig, denn die Hertz Station würde nicht vor acht aufmachen. Wir schliefen in der Giulia auf dem Parkplatz. Weiß träumte und murmelte bisweilen „Singen muss er“.


Von wegen Fernschreiber. Die Kopiergeräte waren auch anders beschaffen als heute. Sie funktionierten noch fotochemisch. Man musste das Kopierpapier durch ein Bad mit Entwicklerflüssigkeit laufen lassen. Das führte in meinen Anfangstagen zu einem Schmiss, denn ich verwechselte da etwas und ließ den Führerschein eines Kunden, seinerzeit noch aus Leinenpapier, durch das Chemiebad laufen. Ich trocknete das Dokument rasch so gut es ging und der Kunde steckte es gleich wieder weg. Ich war nicht dabei, als er oder ein Polizist, wahrscheinlich aber beide, sich später über das geschwärzte Dokument gewundert haben.


Selbstverständlich ist auch mein Dienst in Schichten eingeteilt, doch nur selten nehme ich meine Freizeit in Anspruch. Es gibt so viel zu tun und alles macht so viel Spaß, da ist es doch ganz natürlich, dass man den ganzen Tag bleibt, bis der Revenue Report fertig ist. Der Revenue Report ist die buchhalterische Zusammenfassung des Tagesablaufs. Jede einzelne Abrechnung wird in ihre einzelnen Teilposten zerlegt und in riesige Formulare eingetragen, bis die Spalten und Zeilen kreuzweise dieselben Resultate ergeben und mit dem Bargeld in den verschiedensten Währungen und den Kreditkartenbelegen übereinstimmen. Beim Umrechnen der Währungen gibt es immer geringe Differenzen und da der Revenue immer auf den Groschen stimmen muss, hilft am Ende oft nur, kleine Fehlbeträge zu ersetzen. Manchmal zeigen größere Differenzen, dass irgendwo in dem Report ein Fehlerteufel stecken muss. Dann wird so lange gesucht, bis er gefunden ist und bisweilen vergnügen solche Teufel sich damit, sich trickreich zu verbergen oder auf dem riesigen Blatt umherzuspringen und es kann Stunden über das Schichtende hinaus dauern, bis alles stimmt.


Wir verwenden dazu eine mechanische Rechenmaschine, die durch das Drehen einer Kurbel betätigt wird. Elektromechanische Maschinen kommen gerade erst langsam auf, sie brauchen zu viel Platz und von den heute selbstverständlichen elektronischen Rechnern ist noch lange keine Rede. Man muss sich an das Ding gewöhnen, aber man kann damit zuverlässiger arbeiten als mit einem Taschenrechner, weil man die Ziffern mit Hebeln einstellen muss und sich nicht vertippen kann.

Eine besondere Herausforderung war, zwischen zwanzig und dreißig Autos, die zurückgenommen oder zur Übergabe bereitgehalten wurden, in der Nähe des Stadtbüros zu parken. Zwar hatten wir eine eigene Tiefgarage unter dem Büro, aber mehr als fünf kleinere Wagen passten nicht hinein. Die anderen Autos waren überall in den umliegenden Straßen abgestellt. Natürlich mussten wir in jedem Augenblick wissen, wo das einzelne Unit zu finden war. Dazu teilten wir die Umgebung in Zonen ein und teilten ihnen die Schlüsselhaken im Büro zu. Trotzdem kam es nicht selten vor, dass wir die ganze Gegend abklappern mussten, um die gesuchte Kiste zu finden. Die Parknot war insgesamt noch nicht so arg wie heute. Punktuell in der City aber schon. Die ganze Gegend war bereits Kurzparkzone. Damals noch gebührenfrei, doch alle neunzig Minuten musste einer von uns die Runde machen, um verbotenerweise die Parkuhren umzustellen. Es war dennoch völlig unvermeidlich, die Fahrzeuge auch irregulär stehen zu lassen. Unsere Ansuchen um Zuteilung wenigstens einiger weniger reservierter Stellplätze wurden alle abgelehnt. Die meisten Bullen hatten Verständnis für unsere Lage, aber es gab auch welche, die das Strafzettelschreiben als Sport betrieben. Sie gingen sogar so weit, Steinchen auf eins der Räder zu legen, um feststellen zu können, ob der Wagen weggefahren worden war oder nicht. Ich erinnere mich an eine Diskussion mit einem von ihnen. Er hatte mich erwischt, als ich gerade eine Parkscheibe drehen wollte. Ich stritt mein Vorhaben ab und behauptete, ich wollte gerade wegfahren. Er entgegnete, aber der Wagen stünde schon seit vier Stunden da, denn das Steinchen, das er auf den Reifen gelegt hätte, befände sich noch dort. Ich beteuerte, ich wüsste von dem Steinchen, sei aber trotzdem vor fünf Viertelstunden von diesem Parkplatz weggefahren. Nach meiner Runde um den Block wäre er aber noch frei gewesen und ich hätte mich wieder eingeparkt. "Und der Stein", warf er mir genussvoll vor. "Ich weiß ja", sagte ich, "dass Sie Wert legen auf Steinchen auf den Autoreifen, daher habe ich einen anderen Stein aufgeklaubt und ihn auf das Rad gelegt." Ich nahm den Stein vom Rad, gottseidank war es wie gewöhnlich das dem Gehsteig nähere Vorderrad. "Schauen Sie nur, das ist jetzt ein ganz anderer Stein!" Ich hatte nicht damit gerechnet, aber er beäugte das Beweisstück. Klar, dass er nicht mehr wusste, wie sein Stein ausgesehen hatte. Kann auch sein, dass ihn meine Chuzpe belustigte, jedenfalls sagte er grinsend, " 's nächste Mal zahlst. Schau dass d' weiter kummst, bleda Bua!" Ich drehte rasch noch an der Parkscheibe und suchte das Weite.

 

Sollte er mir ruhig doch noch einen Strafzettel an die Scheibe stecken. Das kratzte mich nicht. Nur wenn man persönlich erwischt wurde, ging es ans Eingemachte. Die hinterlassenen Zettel führten zu einer anonymen Strafvorschreibung an den Eigentümer, also an Hertz. Die Strafe wurde aber nie bezahlt. Die Car Control teilte der Behörde mit, wer der Lenker gewesen war, der die Übertretung begangen hatte, und das war immer Johnny Fine. Mit der Zeit war es der Car Control zu mühsam geworden, den jeweils letzten US-Lenker dieses Wagens herauszusuchen. Sie hatten für diesen Zweck die Daten eines einzigen Mieters parat, dem 'Fine-Johnny'. Es gab ihn wirklich. Er hieß Johnny Fine und wohnte in Philadelphia. Seine Führerscheindaten waren auch echt. Bei der Polizei ist es nie jemandem aufgefallen, dass da in Wien ein Massenfalschparker aus Philadelphia sein Unwesen trieb. Die Summe seiner Strafen hätte Wien reich gemacht.


Bei der Auswahl des Standorts hatte der Country Manager wohl gepatzt. Die Lage war zwar prominent und sehr zentral. Zur Rotenturmstraße hinaus gab es sogar ein Schaufenster mit Hertz-Reklame und Hinweis auf das City Office um die Ecke. Aber eine Autovermietung braucht auch eine gewisse Infrastruktur und die fehlte. Oder wäre der Manager zufrieden damit gewesen, wenn wir nur die fünf Kleinwagen aus der Garage vermietet hätten? Man sollte meinen, dass das Problem auf dem weitläufigen Gelände des Flughafens weniger brennend war. Weit gefehlt! Es gab noch nicht die heute üblichen Abstellflächen für die Mietwagenfirmen. Die Abstellplätze waren Kurzparkplätze oder teuer. Ich war sehr froh, mit dem Betreiber der Tankstelle eine Vereinbarung getroffen zu haben. Dafür, dass wir unsere Fahrzeuge dort betankten und säubern ließen, erlaubte uns der Pächter, die Units in einer Grasfläche neben der Tankstelle abzustellen. Sie lag allerdings ziemlich weit vom Abfertigungsgebäude entfernt neben der Flughafenausfahrt. Mit einem Fahrzeug musste man das ganze Gelände umrunden, um dorthin zu gelangen. Zu Fuß quer durch das Gelände dauerte lang und war beschwerlich, besonders bei ungünstigem Wetter. Auf den Zufahrten zur Ankunft und der Rampe hinauf zum Abflug herrschte absolutes Parkverbot. Ausnahme, das Ein- und Ausladen von Reisegepäck. Die Polizei war ständig anwesend. Wer länger in diesem Bereich stand, wurde gnadenlos bestraft und letztlich abgeschleppt. Trotzdem mussten wir dort die Autos den Mietern übergeben. Die Mieter erwarteten damals noch eine kurze Einweisung zur Bedienung der Wagen. Viele Johnny Fines hatten das auch dringend nötig. Mehr als eine Einweisung hätten sie einen Fahrkurs gebraucht. Sie kannten nämlich nur Automatik-Autos. Etwas wie eine Kupplung hatten sie noch nie gesehen. Den VW Käfer hatten sie nur gebucht, weil er billig war, oder wir hatten nichts anderes mehr frei. Jetzt standen sie auf der Rampe. Johnny Fine mit Mrs. Fine, zwei Kindern und dem ganzen Gepäck. Es grenzte an Wunder, aber meistens gelang es irgendwie, alles hineinzupferchen. Ich erklärte dem Johnny so gut wie möglich das Schalten mit der Kupplung. Die ersten Meter gelangen oft mehr im Stil eines Kängurus. Einige stiegen verzweifelt wieder aus und nahmen, falls vorhanden, einen Wagen mit Automatik. Ein Johnny ist mir in schrecklicher Erinnerung. Er hatte beim Wegfahren den Rückwärtsgang eingelegt und hopste jetzt nach hinten auf den Abgrund am Rand der Rampe zu. Die Rampe war noch im Bau und hatte abgesehen von einem Kunststoffband noch keine Begrenzung zum Bodenlosen. Ich bin sicher, er hätte eine unvorhergesehene Flugreise gemacht, hätte ich nicht durchs gottseidank noch geöffnete Fenster gegriffen und den Zündschlüssel gezogen. So knapp liegen im Leben oft die Chancen beieinander. Lebensretter oder wahrscheinlich Mitschuld am ersten Absturz eines VW Käfers auf den Flughafen Wien-Schwechat.


Eines Tages ergab sich wieder einmal eine Rückführung nach Budapest mit anschließender Rückholung von dort. Ein verlockender Kurzurlaub für mich und meine Freundin Annamaria. Wie vereinbart traf sie zum Schichtende um 14 Uhr im Stadtbüro ein, aber weil für mich noch einiges zu erledigen war, schickte ich sie auf einen Kaffee, ich würde sie dann vom Lokal abholen. Es wurden mehrere sehr lange Kaffee für Annamaria, bis sie gegen Abend aus dem Espresso anrief, wo ich denn bliebe. Im Trubel der Ereignisse hatte ich völlig vergessen, dass Annamaria schon längst eingetroffen war und im Kaffee wartete, also fragte ich sie etwas vorwurfsvoll, wo sie denn bliebe. Das Warten war aber ohnedies eine gute Fügung, denn mittlerweile hatte man mir meinen ungarischen Wagen unterm Hintern weg vermietet. Annamaria staunte dann nicht schlecht, als unser Ausflug nach Budapest in Schwechat am Flughafen ein vorläufiges Ende fand. Mangels eines Autos hatte ich rasch einen Flug für uns organisiert.


Das geschah aber lange nach vielen anderen Budapest-Fahrten. Auf einer davon hatte ich Ildiko getroffen, ein gleichaltriges hübsches Mädchen, das sich aus der Bekanntschaft mit mir offenbar erhofft hatte, durch Heirat eine Ausreisemöglichkeit aus dem streng kommunistischen Land zu erlangen. Ich hatte sie ein oder zwei Mal in Budapest besucht, bevor wir gemeinsam eine Woche Urlaub am Plattensee machten. Wir brieten unter einer unbarmherzigen Sonne auf einem nackten Strand, weit und breit kein Schatten spendendes Gewächs und schon nach dem ersten Tag hatte meine Haut, die dazu neigt, einen Sonnenbrand wie nie zuvor und niemals danach. Der sorgte dafür, dass die Liebesnächte sich kurz und schmerzvoll gestalteten. Ich vermute, dass in jener Woche die Sonne etwas in mir unwiederbringlich ausgebrannt hat, wenigstens den Gedanken, Ildiko zu heiraten. Damals pflog ich schon, auch meine Freunde für Wagenüberstellungen einzusetzen, die sich als Studenten auf jedes Abenteuer freuten. So schickte ich Helmut, den 'Bullen', bei nächster Gelegenheit nach Budapest, um Ildiko klarzumachen, dass sie mit einem Trauschein für eine Scheinehe nicht rechnen könne. Später wurde mir klar, dass ich das besser selber erledigen hätte sollen. Ich möchte aber in dieser Schmissesammlung bewusst keinen davon beschönigen.


Ein anderes Mal brachten wir fünf Autos nach Budapest und kehrten in einem davon nach Wien zurück. Zuvor besuchten wir die berühmte Zitadelle. Wir zechten und becherten, der Wein war hervorragend und kostete fast nichts, das mussten wir durch die Menge ausgleichen. Damit hatte wohl auch die Polizei gerechnet, denn oft auf der Straße von der Zitadelle hinunter liefen wir in ein Planquadrat. Meine vier Kollegen waren bestens gelaunt. Voller Übermut wieherten sie vor Lachen, als ich das Fahrerfenster herunterkurbelte, um mit dem Polizisten zu reden. Was trinken, wollte er wissen. Orange Juice, behauptete ich unter dem Gejohle der vier Insassen. Nix trinken, fragt der Polizist nach. Er war sich seines Fangs sicher, wollte mir aber vielleicht eine Chance geben. Nur Orange Juice, wiederholte ich so ernst ich konnte, während meine Mitfahrer heulten und lachten. Machen Test, bestimmte der Polizist. Oijeeeh! Aus dem Fond kamen scherzhafte Klagelaute und mein Beifahrer bog sich vor Lachen. Ein Röhrchen wurde mir gereicht. Ich blies zaghaft hinein. Der Polizist: mehr! Ich blies so stark, dass das Röhrchen innen gegen die Windschutzscheibe flog und irgendwo unter den Sitzen verschwand. Die Passagiere brüllten. Mein Beifahrer und ich stiegen aus dem Wagen und knieten uns auf die Straße, um das Röhrchen auf dem Wagenboden zu suchen. Mein Freund schwankte beim Hinknien. Da reichte eine Hand aus dem Wageninnern dem Polizisten das Röhrchen. Der begutachtete die Skala, aber sie zeigte null. Das sei das Notfallsröhrl, erklärte ein Mann im Fond, das habe er immer dabei. Prustendes Gelächter. Ich muss sagen, der Polizist und seine Kollegen hatten gute Nerven. Was wir aufführten, hätte sonst bestimmt zur Festnahme gereicht. Ruhig verlangte der Polizist eine weitere Probe. Again! Ein weiteres Röhrchen wurde gereicht und ich blies diesmal vernünftig. Das Ergebnis blieb bei null. Röhrl kaputt, konstatierte man von hinten. Was trinken, wiederholte der Beamte seine Frage und ich, Orange Juice. Als auch das dritte Röhrchen null anzeigte, ließ der Polizist uns fahren. Der Verantwortung für die lange Rückfahrt entsprechend hatte ich tatsächlich nichts als Orangensaft getrunken.


Charly Petrus war Student, so ein ewiger halt und deshalb bei Hertz Car Jockey. Die Car Jockeys fuhren die Autos dahin, wo sie gebraucht wurden, reinigten sie notfalls und übergaben sie teils auch an die Mieter. Wenn Not am Mann war, kamen sie durchaus auch mit einem Mietvertrag zurecht. Charly war ein großer und starker Blonder und ein ganz lieber Car Jockey und ein nicht weniger wilder Hund als Riwula. Wir kamen dahinter, dass wir beide den Polansky-Film 'Wenn Katelbach kommt' liebten, den wir unabhängig voneinander gesehen hatten und waren fortan immer, wenn wir zusammen waren, zu dritt, oder doch fast, nämlich in der Erwartung Katelbachs Ankunft. Godot war früher. Jetzt war Katelbach.

Mit Katelbach zusammen, so nenne ich inzwischen Charly, holte ich aus Budapest einen VW Bus, dessen Motor nicht funktionierte. Wir fuhren mit einem Mercedes 220 und hängten den Bus an ein drei Meter langes Seil. Ich setzte mich ans Steuer des VW-Busses. Damit war ich Katelbach ausgeliefert. Der holte alles aus dem 220er heraus, was in ihm steckte, und raste mit mir als Schatten über die ungarischen Landstraßen. Gottseidank lag meine Sitzposition weit über dem Dach des Mercedes, sodass ich das Geschehen vor dem Zugwagen überblicken konnte. Trotzdem war mir nicht ganz wohl zumute, als wir alle normal dahin fahrende Wagen mit Höllentempo überholten. Deren Insassen dachten wohl, sie träumten. Dass unser Abschleppseil gerissen ist, minderte nicht den Stolz auf unsere Leistung, denn das passierte erst auf der Simmeringer Hauptstraße.

Katelbach ist ungeheuer verknallt in Frau Barleigh und das kann ich sehr gut nachvollziehen. Frau Barleigh, von einer Airline kommend und vermutlich früher mit einem Briten verheiratet, ist den ganz jungen Kolleginnen an Jahren etwas voraus. Vielleicht gerade deshalb sind ihre reifende Eleganz, ihre sinnliche Stimme von einer unwiderstehlichen Attraktivität. Das findet auch unser Chief Accountant, Herr Ponthoff. Er passt wohl an Jahren zu ihr, sonst aber in keiner Weise. Schon wenige Tage nach meiner Einstellung ins City Office habe ich Ponthoff dort kennen gelernt. In einem der wenigen stilleren Momente, ich war allein im Dienst, betrat das Stadtbüro so ein Dandy in weißem Anzug mit schreiender Krawatte über dem geblümten Hemd, die Sonnenbrille über die Dackelfalten auf der fliehenden Stirn geschoben, sonnengebräunt. Er verströmte parfümierte Präpotenz. Ich grüßte ihn auf Englisch. Eine Reservierung war mir für diesen Zeitpunkt nicht bekannt, also blickte ich auf die Liste. "Schaun S' mir in die Augen, wenn S' mit mir reden!", sagte der Dandy. Aha, Amerikaner war er keiner. "Was machen die zwei Schlüssel da auf der Budel?", fragte er ziemlich grob. Die Schlüssel gehörten zu zwei Autos, deren Parkuhr ich gerade nachgedreht hatte. Ich war im Begriff, sie an ihren Platz zu hängen. "Hat Ihnen noch niemand g'sagt, dass die Schlüssel nix verlor'n ham auf der Budel?" Ich fragte mich dringend, wer der Dandy wäre. Der Country Manager war es nicht, dem war ich vorgestellt worden. "Wie haß'n Sie überhaupt?" – "Richter, Rental Agent", sagte ich und schaute auf seine Sonnenbrille, in die Augen traute ich mich nicht. "Ponthoff", sagte er, "Ich bin der Chief Accountant". Was gehen den meine Schlüssel an, dachte ich. "Wo ist die Barleigh?", fragte Ponthoff. - "Ich glaube, am Airport". – "Na, auf was wart'st denn noch, Burscherl? Ruf an!" – Ich wählte die Nummer des Flughafenschalters. "Besetzt!" – "Weiter probier'n!" – Auch mein nächster Versuch endete im regelmäßigen Bip, bip, bip. Ich stellte dem Dandy das Telefon auf das Pult, damit er selber wählen konnte. Einen Augenblick lang schaute er mich entgeistert an, dann grinste er amüsiert, aber er begann die Scheibe zu drehen. Freunde sind wir nicht geworden.


Katelbach tut alles, was ich nie für möglich gehalten hätte, um bei Barleigh zu landen. Er nimmt mich mit, als er abends zu ihrer Wohnung nach Hietzing fährt. Ich fahre nur mit, weil ich neugierig bin, ob wir auf Ponthoff treffen würden. Und weil ich Katelbach mag. Wir lauern stundenlang, um ihr dort zufällig zu begegnen. Wir beobachten ihr angelehntes Fenster im Obergeschoß, bis das Licht ausgeht. Brandon öffnet das Fenster ganz, um die kühle Nachtluft hereinzulassen. Man sieht nur ihre unbedeckten Arme. Katelbach brüllt wiederholt, "Barleigh, kumman S' oba!" und setzt ein ziemlich unzüchtiges Angebot darauf. Ich bezweifle, dass er damit die feine Lady gewinnen kann. Sie kommt nicht, aber eine Funkstreife, die unsere Ausweise kontrolliert. "Wenn Sie die Barleigh kennen tätn", argumentiert Katelbach, "Sie tätn a ruafn!" Für Katelbach war es eine frustrierende Geschichte. Ich glaube, die Barleigh ist kalt geblieben.


Einer der Rental Agents ist Stefan Rath. Ein soignierter junger Mann, schmal, Anzug und Gilet, Chaplinbart. Er gehört jener Familie Rath an, der die Firma Lobmeyr in der Kärntner Straße gehört, wo ich für kurze Zeit angeheuert hatte. Er wohnt in der elterlichen Villa in Langenzersdorf. Dorthin hat er mich eingeladen, zusammen mit einigen anderen Hertz-Kollegen und einer größeren Anzahl seiner sonstigen Freunde, um Silvester zu feiern. Es ist eine feuchtfröhliche und ausgelassene Party im ganzen Untergeschoß des weitläufigen Hauses. Wenn man die kristalline Stellung der Firma Lobmeyr bedenkt, so ist dieses Landhaus reines Understatement. Betont unaufdringliche Einfachheit bei unübersehbarer Eleganz. So wie alle die Rath. Zum ersten Mal komme ich mit Pistazien in Berührung. Geröstet und gesalzen stehen sie in mehreren Schüsselchen zum Angebot. Sie wirken auf mich wie die Barleigh auf Katelbach. Mir ist klar, dass ich sie nicht alle allein essen darf. Also führe ich alles auf, was mich unauffällig – hoffe ich – an die Pistazien heranbringen kann und in den günstigen Augenblicken schließe ich meine Hand um die mögliche Anzahl und verspeise sie nach und nach. Solche Augenblicke gibt es genug, obwohl so viele Leute da sind. Denn sie sind beschäftigt mit Tanzen und Lachen und Knallkörpern, die sie aus den Fenstern in den Garten werfen. Einer zündet einen Knaller und will ihn ins Freie werfen, aber er ist schon zu betrunken, um zu bemerken, dass das Fenster geschlossen ist. Der Knaller zischt bedrohlich auf dem Fußboden. Stefan öffnet das Fenster, greift nach dem Knaller und wirft ihn hinaus, keine Sekunde zu früh. Diese ganze Aufregung ist gut für etwa drei Hände voll Pistazien. Beiderseits. Links die vollen, rechts die leeren Schalen. Wohin bloß damit?


Selbst wenn man meine junge Liebe zu den Pistazien bemerkt hätte, und ich bin sicher, man hat, man hätte mir sicher verziehen, und ich bin sicher man hat, denn ich bin, ohne es zu bemerken, der junge Octavio in dieser Gesellschaft. Man mag mich, wohl weil ich ihnen allen zu jung erscheine, um ernst genommen zu werden. Barleigh ist da, aber weder Ponthoff noch Katelbach. Sie hat ein Plüschtier dabei, einen kleinen Koala mit lederner Nase. Auch dieses Accessoire erregt mein Entzücken. Bereitwillig überlässt Brandon mir den Koala zur Aufsicht und ich füttere ihn mit Pistazien. Er beschwert sich nicht, dass ich die Pistazien alle selber esse, ist nur interessiert an Eukalyptus. Barleigh ist hingerissen von meiner Hingabe an den Koala. Wäre es nicht so gegen jede Vernunft gewesen, wer weiß, ob sich die Unnahbare nicht vergessen hätte können? Am Ende schenkt sie mir das Maskottchen. Hätten sie es gewusst, sie hätten mich gemeinsam ermordet, Ponthoff und Katelbach.


Außerdem ist da noch Heide Witti, Rental Agent. Sie stammt aus Salzburg, ist allein in Wien und ungebunden. Trotz ihres trockenen Tons hatten wir uns schon zuvor angefreundet. Hier auf dieser tollen Silvesterparty, alles andere als trocken, gewinnt ihre Sprödigkeit an Anmut und so kommen wir uns näher wie von selbst. Wir fragen uns nicht, ob die Gesellschaft es unpassend finde, wenn wir hier ungeniert knutschen, oder ob das Auswirkungen in der Firma haben würde. Ich verliere auch keinen Gedanken daran, welche Auswirkungen es auf meine Beziehung mit meiner Freundin Maria Lipp haben würde, die nicht auf dieser Party ist.


Auf welche Weise die Lipps und die Praders in mein Leben getreten sind, erinnere ich nicht. Vielleicht war Maria für kurze Zeit Rental Agent. Oskar Lipp, äußerlich ein grobschlächtiger Bursche, jedoch von feinem, aristokratischem Gehabe, wohnhaft bei den Eltern im obersten Stock des feudalen Wohnhauses in der Reichsratsstraße unmittelbar neben dem Rathaus. Seine Schwester Maria, das kleine Fräulein, das lebhafte Springinkerl, Stupsnäschen im runden Gesicht, immer gut gelaunt, fürsorglich, praktisch, entschlossen und anschmiegsam. Ihre Schwester Alice ist schon verheiratet mit Franz Prader, einem freundlichen jungen Mann. Zusammen pflegen sie eine glucksende Babysprache und diese kindliche Art pflegt auch Maria. Mit diesen Dreien hat man das ständige Gefühl, im Kindergarten zu sein. Das stört mich nicht besonders, denn, wenngleich im Grunde ernsteren Charakters, bin ich doch auch oft und gerne zum Blödeln aufgelegt. Unsere infantilen Umgangsformen hindern Maria nicht daran, sich und mich mit der größten Selbstverständlichkeit als Paar zu sehen. Dagegen habe ich nichts einzuwenden, im Gegenteil. Ich bin ziemlich verliebt in dieses sprudelnde Wesen.


Im Frühjahr und Sommer sind wir zwei oder dreimal zu viert, Maria, Alice, Franz und ich für zwei Tage nach Nasswald bei Schwarzau im Gebirge gefahren. Die einsame Natur unterhalb der Rax hat uns alle tief beeindruckt. Wir haben da, wo das Klostertal ins Höllental mündet, in einem Landgasthof übernachtet. Zum ersten Mal mit einem lieben Mädchen in einem Fremdenzimmer übernachten, ich meine nicht zum ersten Mal mit diesem Mädchen, nein, überhaupt mit einem Mädchen zum ersten Mal in einem Fremdenzimmer. Schön ist die Welt... Am Morgen beim Frühstück zu viert auf der Terrasse im Sonnenschein, bin ich mir allerdings etwas spießig vorgekommen.


Diese Straßen an der Rax war ich schon früher einmal entlang gefahren. Es war Winter und ich war noch nicht bei Hertz, also Autos waren noch Mangelware. Da lernte ich die Tochter eines Fleischhauers kennen. Das Faszinierende an ihr war, ihr Vater hatte einen Ford 17M und ich durfte damit seine Tochter ausführen. Wir fuhren über Hainfeld hinunter Richtung Rax. Im Gebirge begann es zu schneien und die Straßen waren bald schneebedeckt, daher musste ich die Rosse zügeln und höllisch aufpassen im Höllental. Auch hatten wir nur einen Nachmittag und die Strecke, die ich gewählt hatte, war etwas lang dafür, schon bei normalen Straßenverhältnissen. Die Fleischhauerstochter hatte sich wohl vorgestellt, dass wir irgendwo anhalten und uns näher kommen würden, aber für mich gab's nur eins, Autofahren. In Gloggnitz ging der Schnee in Regen über und ich konnte flott nach Wien zurück fahren, damit sich der Fleischhauer nicht allzu sehr um sein Auto ängstigen musste. Es war die erste und letzte Ausfahrt seiner Tochter mit mir.


Auf Einladung eines der Car Jockeys, der aus Wildalpen stammt, haben Maria, Alice, Franz und ich dort mit ihm Wochenenden verbracht. Die Gegend ist noch verlassener als Schwarzau. Ein Urwald, in dem seit Menschengedenken kein Baum gefällt, keine Waldarbeit getan war, ist dort gestanden, wie Gott ihn schuf. Wir haben bei der Mutter unseres Kollegen in einer urigen Holzkate genächtigt und das köstliche einfache Essen der einfachen Waldleute genossen. Was unseren Kollegen veranlasst haben mag, dieses Paradies zu verlassen, haben wir uns nicht vorstellen können. Er übrigens auch nicht. Doch wo die Romantik endet, gewinnt die Vorstellungskraft langsam Oberhand.


Wie ich schon sagte, mit Maria geht alles wie selbstverständlich voran. Von meinem ersten Gehalt bei Hertz hatte ich in dem Einrichtungsgeschäft gegenüber einen sehr schönen Couchtisch in massivem Teak gekauft und eine, wie ich fand, sehr dekorative Tischleuchte, ein milchiger Glaszylinder mit der Form des Kühlturms eines Atomkraftwerks auf einem Teaksockel. Den Couchtisch haben wir in das Wohn-Schlafzimmer meiner Eltern gestellt, die Lampe auf den gekachelten Ölofen der Oma. Dort erfreut sein mildes Licht nicht nur Oma. Die Leuchte hat auch eine praktische Funktion erhalten. Ich habe eine rote Birne eingeschraubt und Omas Zimmer wird ganz schummrig davon. Maria besucht mich immer wieder und wir halten uns in Omas Balkonzimmer auf. Die Märklin-Schienen habe ich nicht weggeräumt. Passen ja zu Marias kindlicher Art. Eisenbahn haben wir aber nicht gespielt. Rotlicht, das durch die Glastür schimmert, bedeutet 'Bitte, nicht stören!'


Ein Dauerzustand kann das nicht sein. Ich finde eine kleine Dachwohnung in der Speckbachergasse. Von einem kleinen Bad aus kann ich hinüber schauen über Innenhöfe und Dächer zum Turm der Alt Ottakringer Kirche. Durch die großen schrägen Kippfenster in den Dachwänden der beiden anderen kleinen Räume schaue ich auf die Sterne, meistens von der auf dem Boden liegenden Matratze aus, zusammen mit Maria. Seit Schnee die Fenster bedeckt, ändern wir das Programm leicht ab, es geht auch ohne Sterne.


Die Car Control habe ich schon erwähnt. Sie soll nicht nur wissen, wo jedes einzelne Fahrzeug sich zurzeit befindet, sondern auch die gesetzliche Verpflichtung jedes Fahrzeughalters erfüllen, der Behörde jederzeit die gewünschte 'Lenkerauskunft' zu erteilen. Bei den gegebenen Zuständen ist das undenkbar. Manchmal lässt man jemanden aushilfs- oder probeweise daran herumbasteln, aber letztlich hat sich nichts Wesentliches geändert, weil die fortlaufenden Änderungen nicht erlauben, den Rückstand aufzuholen. Es steht fest, dass sich das ändern muss und der Country Manager hat mich für diesen Job ausgewählt. Ab sofort werde ich also die lebendige Station beim Stephansdom verlassen, um in ein finsteres Hinterhofbüro am Laurenzerberg einzuziehen, dem österreichischen Head Quarter. Vor allem müssen die unzähligen Stapel wild durcheinander lagernder Kopien von Mietverträgen und anderen Belegen für Fahrzeugbewegungen sortiert werden nach Fahrzeugen und temporär, wobei natürlich täglich neue hinzukommen. Eine wahre Sisyphusaufgabe. Hätte ich damals geahnt, wie mühelos die Flotte mit der heutigen Computertechnik überschaut werden kann, ich hätte mir Zeit gelassen, bis die IT auf dem Markt eingezogen wäre. So aber verbringe ich Stunden, Tage und Wochen mit dem Sortieren von Zetteln, die meisten schwer lesbar, weil das Kohlepapier der Formularsätze mit sieben Durchschlägen die Handkraxeleien der Rental Agents nur blass erahnen lässt. Um die Ergebnisse der Arbeit sichtbar zu machen, sortiere ich auch an Wochenenden und bis spät in die Nächte, manchmal nächtige ich auf dem Kunststoffsofa des Country Managers, um gleich am nächsten Morgen weiter zu machen. Nach etlichen Monaten komme ich nun langsam auf einen grünen Zweig, aber man darf keinen Tag trödeln, sonst beginnt das Chaos von neuem. Das Grauen packt mich, stelle ich mir vor, wie das nach einem Urlaub aussehen wird. Die Arbeit in der Station hatte es mit sich gebracht, dass man Firmenwagen in den kurzen Zeiten zwischen den Diensten privat verwendete, wobei es sich fast immer um Über- oder Zustellungsfahrten handelte, die eben durch die Dienstpause unterbrochen waren. Kreitner hatte das ohne weiteres gebilligt, oft sogar angeordnet wegen der Zeitersparnis. Wegen meiner derzeitigen Mammutarbeit und bestärkt durch den offiziellen Titel Car Control Manager fühle ich mich berechtigt, das auch weiterhin so handzuhaben. Dabei mache ich den Fehler, das Privileg nicht ausdrücklich vom Country Manager absegnen zu lassen, was er wohl getan hätte. So aber fühlt er sich, als er dahinter kommt, übergangen und schmeißt mich hochkantig hinaus. Fristlose Entlassung. 


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