29 Toskana

Toscana und Umbrien

worin vorkommen: der Cisa-Pass, Fosdinovo, Malaspina-Burg, Luni, Carrara, Pisa, Lucca, Wien, Nizza, Pistoia, Prato, Florenz, Palazzo Vecchio, Fiesole, Siena, der Chianti, San Gimignano, Certaldo, Arezzo, Cortona, Umbrien, Perugia, Lago Trasimeno, Castiglione del Lago, Assisi, Francesco und Chiara., Montepulciano, Pienza, San Quirico d'Orcia, Montalcino, Castelnuovo d'Albate, Orvieto, Lago di Bolsena, Montefalco, Clitunno, Gubbio, Todi, der Graf von Luxemburg, Franz Lehár, Dante Alighieri, die 'Divina Commedia', Leonardo da Vinci, Donatello, Benvenuto Cellini, Luca della Robbia, Baccio Bandinelli, Giovanni Pisano, Jacopo della Quercia, Nicolò Paganini, Giacomo Puccini, die Fürstin von Lucca, Elisa Bonaparte-Baciocchi, Napoleon Bonaparte, Richard Strauss, Giuseppe Verdi, Richard Wagner, Filippo Brunelleschi, Giorgio Vasari, 'Der Jüngste Tag'', Giotto di Bondone, Salimbeni, die Sansedoni, die Buonsignori, Lorenzo Ghiberti, Giovanni Boccaccio, 'Il Decamerone', Franceso Petrarca, Guido Monaco (Guido d'Arezzo), Cristoforo Vannucci ('Perugino'), Raffael, Pinturicchio, Lo Spagna, Asrorre Baglioni, Oddi, Franceso und Chiara d'Assisi,  sowie eine unvergessliche Klettertour

„Dieses widerliche Monstrum senkt sein Maul in das Wasser des Flusses Arno und trägt den Namen ‚Florenz‘ …

… Sie ist eine Natter, die ihren Rachen gegen die Zitzen der eigenen Mutter wendet. Sie ist das kranke Schaf, das mit seiner Pest die ganze Herde seines Herrn ansteckt. Sie ist die widernatürliche Myrrha, die sich danach sehnt, von ihrem eigenen Vater umarmt zu werden …

… Geschrieben an den Quellen des Flusses Arno, an dem die stinkende Füchsin sitzt, den Jägern hohnlachend in ihrer Höhle …“

Mit diesen Ausschnitten aus einem Brief beginnt ein Abschnitt meines Berichts über unsere Reise in die Toskana und nach Umbrien, die wir im Juni 1976 unternahmen. Den Bericht habe ich in den Monaten nach der Reise für uns selbst zur Erinnerung verfasst und reich mit Bildern und Wahlpropaganda versehen (1976 gab es in Italien Parlamentswahlen). Dieser Reisebericht ist wie so vieles in meinem Leben unvollendet geblieben, doch scheint er manches über den Dreißigjährigen auszusagen; der ich damals gewesen bin. Daher habe ich mich entschlossen, kurze Teile daraus in diesen Text aufzunehmen.

Sattelfeste Kenner werden wissen, wer den Brief an den Grafen von Luxemburg geschrieben hat. Nicht mich vorschnell auslachen! Die Sache hat mit Lehar nichts zu tun. Heinrich VII., der spätere römisch-deutsche Kaiser, war Graf von Luxemburg und Laroche. Der Verfasser niemand geringerer als Dante Alighieri.

 “Nel mezzo del cammin di nostra vita…” In der Mitte seiner Lebenswanderung befindet sich Dante, als er, einer der Prioren von Florenz, von seinen politischen Gegnern aus der Stadt verbannt wird, einer der unterlegenen Unterstützer des Kaisers im Kampf gegen den Papst. In Wahrheit ging es nie um den Kampf zwischen den Systemen, sondern um das uralte Gerangel um die Macht. In der Mitte seines Lebensweges befindet sich auch der Wanderer in Dantes ‘Commedia’, die seit Boccaccio die Qualifizierung ‘Divina’ trägt. In der Mitte unserer Reise steht dieses widerliche Monstrum, die stinkende Füchsin; das wunderbare Florenz. Getränkt mit dem Blut ganzer Geschlechter, genährt von den feinsten Künsten aller Genres blüht diese einzigartig schöne Blume, unvergänglich blühend, in einer der schönsten Landschaften der Welt. Den Misthaufen der Geschichte ignorieren wir.

Über den Cisa-Pass und Fosdinovo (Malaspina-Burg, die dem verbannten Dante Unterschlupf gewährte) treten wir ein in die Toskana. Luni, der einstige Hafen, heute ein paar Kilometer im Landesinneren, versunken in den Resten seiner römischen Vergangenheit. Carrara, dessen Abhänge heute wie in römischen Zeiten das Material liefert zur Täfelung protziger Konzernzentralen wie zum Herausschälen der wundervollsten Skulpturen durch Da Vinci, Donatello, Cellini, Della Robbia, Bandinelli, Pisano, Della Quercia, um nur bei einigen der toskanischen Meister zu bleiben.

Pisa mit seiner wundervollen Piazza dei Miracoli.

Lucca, die gelassene Schönheit. Es gibt Pollo alla Cacciatora. Schmeckt wie Paganini. Dazu ein roter Wein, in dem viel Puccini steckt. Kein Wunder, denn Paganinis Schicksal ist wie jenes Puccinis eng mit Lucca verbunden. Hier bezaubert der junge Nicolò die Fürstin von Lucca, Elisa Bonaparte-Baciocchi, die Schwester Napoleons. 1808 verschwindet Paganini aus Lucca. Die nächsten zwanzig Jahre seines Lebens liegen in ungeklärtem Dunkel. Plötzlich, 1829, taucht er in Wien in einem Konzert auf. Sein Erfolg ist phänomenal und begleitet ihn um die ganze Welt, bis er 1840 in Nizza stirbt. Kehlkopfkrebs. An der gleichen Krankheit stirbt 1924 in Brüssel Giacomo Puccini, der in Lucca 1858 zur Welt kam. Mit seiner packenden Musik zeigte er, dass der Verismus kein Wassertrieb war, sondern ein tragfähiger Ast, der in schon wieder neue Richtungen wies. Seinen gegenpoligen Zeitgenossen Richard Strauss lehnte Puccini ab, so wie vor ihm schon Giuseppe Verdi Richard Wagner. Er oder ich, hieß es damals, und das war wohl das Kleinste an ihnen, denn die Zeit stellt diese vier Großen einträchtig nebeneinander.

Pistoia.


Prato. Lautsprecherwagen plärren durch die Gassen, werben für Parteien bei den kommenden Wahlen. Unterwegs zur Burg der Stauffenkaiser bemerken wir, wie plötzlich von überall her Menschen sich zu einer Masse zusammenrotten. Wir weichen aus und besichtigen die Reste der Burg. Übriggeblieben ist eine Art Ringmauer mit schwerem Portal. Als wir durch dieses Portal wieder ins Freie treten, sehen wir Panzerwagen und Wasserwerfer auffahren. Polizei rückt heran, gerüstet für den Straßennahkampf mit Visierhelmen, Schlagstöcken und Schilden, wie sie ähnlich die Stauffer vor fünfhundert Jahren benutzt haben mögen. Megaphone dröhnen. Viel Lärm um nichts. Alles löst sich in Ruhe auf.

Endlich Florenz. Brunelleschis unglaubliche Kuppel. Der Aufstieg ist wie das Bauwerk selbst ein einzigartiges Abenteuer. Wir steigen zunächst über eine breite vierkantige Treppe im Inneren der Nordseite mehrere Stockwerke hinauf. Von Zeit zu Zeit lassen Fenster den Ausblick auf die Stadt zu, wir finden uns schon hoch über den umliegenden Dächern und stellen fest, dass wir in einem der angebauten Seitenteile höhersteigen. Schließlich gelangen wir in eine größere Kammer, aber Annamarias Hoffnung, wir seien schon ganz oben, wird enttäuscht. Wir steigen von nun an in einer engen Wendeltreppe weiter hinauf. Bei Gegenverkehr kommt es zu Problemen. Ein Amerikaner mit karierten Shorts kommt herunter. Um den Hals trägt er außer dem Fotoapparat ein plärrendes Kleinkind, das sich ängstlich an seinen Daddy klammert. Auch an jeder Hand führt er einen seiner Nachkommen. „Not so fast, Mike! – Tommy, mind your step! – Mind! Your! Step!“ mahnt er in höchster Erregung seine Expeditionscrew. „Mike! Miiike! Watch ooout!!!“

Am obersten Ende der Wendeltreppe gelangen wir unvermittelt durch eine enge und niedrige Öffnung an eine steinerne Balustrade. Das geschieht so unerwartet, dass man vor der bisher ungeahnten Weite der Kuppel,  in der man sich plötzlich wiederfindet, zutiefst erschrickt. Wir benötigen einige lange Augenblicke, bis wir uns nach dieser Überraschung wieder gefasst haben. Wir befinden uns auf dem höchstens achtzig Zentimeter breiten Umgang, der die Tambourwand innen umläuft und sich im Mittelschiff in der Höhe des Bogenansatzes und über die Basiswand fortsetzt, sodass man einen ununterbrochenen Rundgang beschreiben könnte, wenn nicht Barrieren dem hinderten. Vor uns breitet sich auf den acht Kuppelfeldern das ungeheure Geschlinge von Vasaris ‘Jüngstem Tag’ aus, von hier aus unüberschaubar, unerklärbar. Dort, gegenüber, findet sich der drohend klaffende Mauerriss wieder, den wir schon gestern von unten bemerkt hatten. 

Jetzt erst wagen wir den Blick nach unten zu senken und – unwillkürlich halten wir uns an der Balustrade fest – wir glauben unweigerlich zu stürzen. Meter um Meter fallen wir mit diesem entsetzlichen Blick, viele Meter, es dauert allzu lange, bis wir mit ihm auftreffen auf dem Bodenmosaik tief unten. Diesen furchtbaren Fall erlebt man unweigerlich beim ersten senkrechten Blick in die Tiefe. Die Wölbungen des Kuppelfeldes über dem Verängstigten stoßen ihn von dem waghalsigen Vorsprung des allzu schmalen Umgangs und die dreidimensionale geometrische Rose auf dem Boden unten, welche von hier oben erst ihre magische Wirkung entfaltet, zieht, saugt, schlürft ihn hinab in ihr innerstes Zentrum.

Erleichtert, doch nicht gestürzt zu sein, bemerken wir genau gegenüber unserem Standpunkt eine entsprechende zweite Öffnung in der Tambourwand und wir verstehen, dass unser Aufstieg sich dort fortsetzen soll. Der Umgang bringt uns entlang den östlichen Tambourfeldern zu jenem Ausstieg aus dem atemberaubenden Innenraum der Kuppel. Es ist gleichzeitig der Einstieg in die Anatomie eines Wunderwerks. Enge Treppen führen nun weiter hinan, sie folgen in ihrem Verlauf der anfangs noch leichten Biegung jedes Segments der oktogonalen Grundform. Ab und zu ermöglicht ein Guckloch den Blick nach draußen. Einmal erscheint der Palazzo Vecchio, dann wieder die Berge von Fiesole in der Ferne. Wir merken daran, es geht rundum. Nach und nach nimmt der Abstand der Mauern, zwischen denen wir wandeln, zu; jedenfalls ist er jeweils in Stufenhöhe geringer als in Kopfhöhe und mit jedem Treppenabschnitt verstärkt sich diese Erscheinung. Schließlich verstehen wir: Wir bewegen uns zwischen den beiden Kuppelschalen, der äußeren und der inneren. An den Formationen der Steinblöcke kann man dort, wo verschiedene Lagen aneinanderstoßen, die Verzahnung der Kuppelfelder ineinander beobachten, es entsteht eine Art verzerrtes Fischgrätmuster. Ab und zu führt der Weg an dicken Eichenstämmen, nein, Eichenblöcken vorüber. Sie machen in unserer Vorstellung die Mühen und Gefahren deutlich, mit denen sie und die anderen Baumaterialien heraufgeschafft werden mussten. Die Längen der einzelnen Kuppelfelder nehmen nun merkbar ab, während die Wölbung der äußeren Schale sich deutlich von der inneren entfernt. Schließlich ist der Punkt erreicht, von dem aus die Treppe nicht mehr horizontal rundum führt, sondern der Wölbung der inneren Kuppelschale folgend vertikal hinauf, dem Scheitelpunkt entgegen. Tageslicht dringt durch eine Öffnung. Noch wenige Stufen und wir stehen im freien Äther an einem der schönsten Punkte der Erde. Auf alles andere blicken wir von hier aus hinunter, selbst Giottos Campanile zeigt uns seine Dachziegel. Die Laterne auf dem Scheitel der Kuppel überrascht durch ihre Maße. So zierlich sie von unten gesehen wirkt, hier wächst sie in die Höhe wie ein stattliches Gotteshaus. Eine Kirche auf dem Kuppeldach. 

Fiesole. Aus einem Nonnenkloster schwärmen die Schwestern aus, besteigen Kleinbusse und Personenwagen, schwingen sich auf Vespas, laufen zu Fuß davon, helfen, kranke Mitschwestern zu Fahrzeugen zu tragen. Heute ist Wahlsonntag. Es gilt, die Kommunisten, von denen es in jenem schönen Tal dort unten, in dieser reichen Perle der Toskana nur so wimmelt, in die Schranken zu weisen. Totale Mobilmachung der konservativen Kräfte.

Siena. Während wir durch die Chianti gondelten, wurde in den Wahllokalen eine heiße Schlacht geschlagen. Alles wartet jetzt gespannt auf die Resultate. In welche Richtung wird die Stimme des Volkes sprechen?

Es ist ziemlich finster geworden. Die Fernsehgeräte werfen ein unruhig flimmerndes Licht auf die Piazza. Zwei Ecken weiter gibt es wieder eine Menschenansammlung. Junge Leute (Studenten?) haben eine Hauswand mit Packpapier plakatiert. Entsprechend den einlangenden Meldungen stecken sie Zettelchen mit Nadeln in vorgezeichnete Kästchen, verteilen Stimmen, Prozente, Mandate auf die lange Liste der Parteien in den vielen Wahlkreisen. Die Gesichter in der Menge sind ruhig und ernst. Man diskutiert in gemessenem Ton. Viele dieser Leute hier haben kommunistisch gewählt. Wir befinden uns in einer der Hochburgen der kommunistischen Toskana.

21. Juni

Dieser Tag gehört ganz der stolzen Stadt Siena. Wir wandern, bald bergan, bald bergab durch enge Gassen zwischen streng blickenden Palazzi mit schwerem Gitterwerk vor den Fenstern. Versunken oder verstreut sind die alten Geschlechter, die Salimbeni, Sansedoni, Buonsignori und Piccolomini, und doch beherbergt mancher der alten Paläste heute wie damals den alten Machthaber: das Geld. In manchen Herrschaftssitz ist eine Bank eingezogen, allen voran die Monte dei Paschi di Siena. Doch neben den neumodischen Leuchtschriften findet man allenthalben noch die alten Familienwappen, vor allem die Bienenkörbe der Piccolomini.

Plötzlich stehen wir auf einem sonderbaren Parkplatz. Er ist umfasst von mittelalterlichen Hausfassaden an der einen Seite und von einer gotischen Kirchenschiffmauer von himmelstürmender Höhe auf der anderen. Das Sonderbare ist: Zahlreiche Kragsteine und Bogenansätze, die Laufgänge und überhaupt die ganze architektonische Anlage erwecken den Eindruck, dies sei nicht die Außenmauer, sondern die Innenwand eines gigantischen Doms. Wir reiben unsere Augen, schlagen sie wieder auf, aber das Bild bleibt: Alle die Hunderten Autos parken im Innern des Doms, dessen Dach bei irgendeiner Katastrophe abhandengekommen sein muss. Ja, selbst die mehrstöckigen Häuser, die den Parkplatz auf der anderen Seite begrenzen, scheinen ihre Dächer dem Innern des beschädigten Gotteshauses anzuvertrauen.

Unsere Augen haben uns nicht getäuscht. Diese dem Parkplatz zugewandte Dommauer war tatsächlich als Innenwand geplant. Als Innenwand eines mächtigen, die ganze Hügelkrone besetzenden Längsschiffs. Der großartige Bau, den wir heute als Sienas gigantischen Dom bewundern, ist in Wahrheit ‘nur’ das Querschiff jenes geplanten Weltwunders, dessen Ausführung eine grausame Pestepidemie 1348 vereitelte. …

… Wir betreten die Taufkirche und wieder einmal wird uns eindrucksvoll bestätigt, dass es nicht tote Museen sind, die wir durcheilen, sondern Stätten einer lebendigen Kultur. In der Taufkiche San Giovanni unter dem Dom wird gerade getauft. Nicht etwa hält der Pate ein Wickelkind in seinen Armen, nein dieser Täufling wäre ihm auf die Dauer zu schwer. Getauft wird die neben ihm stehende schöne junge Frau von vielleicht zwanzig Jahren. In fließendem weißem Kleid betet die neue Christin vor Jacopo della Quercias dunklen Bronzebildwerken, unter seiner Statue Johannes des Täufers empfängt ihr hochgestecktes bronzenes Haar das reinigende Weihwasser aus des Priesters Goldkännchen. Zu Füßen der Statuen von fünf Aposteln, an denen Ghiberti und Donatello mitgearbeitet haben, nimmt die Kniende das Sakrament entgegen, senkt die Benetzte den andächtigen Blick auf Jacopos Relief am Sockel des Brunnens. Wohl hat die Zeremonie eine eingehende Besichtigung verhindert, doch stärker wird der rührende Eindruck unserer Zeugenschaft bei der Bekehrung der schönen Heidin bleiben. … 

San Gimignano. Wieviel haben wir nicht schon gehört von den kriegerischen Gepflogenheiten in den alten Zeiten, Unterjochung, Befreiung, neuerliche Unterwerfung. San Gimignano, mit seinen stolzen Wehranlagen prädestiniert fürs Mitstreiten in den Städtefehden, zeigt uns aber, dass es mit etwas gutem Willen und ein bisschen Schläue auch anders ging. Des ewigen Kampfes innerhalb der eigenen Mauern müde wollte man nicht auch noch im Kampf gegen Fremde bluten. Also siegelte man ein unbeschriebenes Pergament und schickte es nach Florenz. Kampf- und bedingungslose Unterwerfung. Die Florentiner aber siegelten ein anderes leeres Blatt und sandten es nach San Gimignano zurück. Dessen Bürger sollten sich ihre Unterwerfungsurkunde selber gestalten, ganz so wie sie es für richtig hielten.

Volterra.

Certaldo. Giovanni Boccaccio, Decamerone. … Und unsere moderne Kunst? Wo ist die Perfektion der Verhältnisse der Antike, wo die beseelte Schönheit der Renaissance? Was hat die kalte, chaotische Gegenstandslosigkeit der Moderne mit diesen Idealen zu tun? Vielleicht das, dass sie bewusst oder unbewusst die Lehre zieht aus dem Vergangenen, in die Zukunft projiziert und dort nur das Nichts finden kann. Ein Nichts, das uns Lebende schon bis obenhin anfüllt. Wo wir uns nach allen Erfahrungen der Vergangenheit nicht gegen uns selbst bewähren, dort kann bei den technischen Möglichkeiten, die uns Heutigen gegebenen sind, nur das Nichts, die absolute Gegenstandslosigkeit folgen. …

Arezzo. Francesco Petrarca. Guido Monaco (auch Guido d’Arezzo), Erfinder der Notenschrift.

Zum Kännchen Kaffe ein weiches Ei,

so frühstückt ganz Berlin.

Der Buttersemmerln gibt es zwei,             

ein Schalerl Gold, in Wien. 

In London nimmt man Porridge ein 

Und eine Cup o‘ Tea. 

In Zürich hat’s ein Käsli fein                           

Und ein Glas Milch für Sie.


Was ich in Arezzo hatte?

Nichts als im Stehn ein Caffé Latte. 


Aretini - cervelli fini

Padovani - gran dottori
Veneziani -gran signori
Vicentini - mangia gatti

Veronesi - tutti matti

Cortona. … Neben Ehrfurcht gebietenden Eingangstoren der Palazzi finden sich immer wieder kleine, niedrige Türchen, scheinbar für zwergenhafte Dienstboten gebaut. Tatsächlich sind es Totentüren. Der verstorbene Hausherr verließ sein Haus nicht durch das Hauptportal, sondern durch solche unscheinbare Öffnung. …

Lago Trasimeno. Castiglione del Lago.

Perugia. Cristoforo Vannucci (‘Perugino’), Lehrer Raffaels, Pinturicchios und Lo Spagnas. Die Hochzeit der Baglioni. … Neun blutige Jahre bekämpften die Oddi die herrschenden Baglioni. Dann das Jahr 1500. Astorre Baglioni beabsichtigt eine Römerin zu ehelichen. Bei der Hochzeitstafel ein Anschlag auf den Bräutigam und wie einst an Etzels Hof hebt im Palazzo und in den Straßen sogleich ein Gemetzel an, das selbst in jener bluttriefenden Zeit beispiellos ist. Am Abend türmen sich auf der Piazza die Leichen. Die rivalisierenden Geschlechter haben einander aufgerieben, an einem einzigen Tag. Zur Sühne wird der blutbesudelte Dom mit Wein ausgewaschen. …

Hier bricht mein Reisebericht ab. Wir besuchten aber auch noch Assisi (Francesco und Chiara (!), Montepulciano, Pienza, San Quirico d’Orcia, Montalcino, Castelnuovo d’Abbate, Orvieto (!), Lago di Bolsena, Montefalco, Clitunno, Gubbio, Todi, und viele mehr.

Auf der ganzen Reise war es überwiegend sehr heiß. Sie war überdies überschattet von meiner Pollenallergie, die stärker als je in Österreich auftrat. Ich war die ganze Zeit damit beschäftigt, die Wasserfälle von Sekret von der Nase zu wischen. Das Brennen in den Augen war erträglicher nur wenn ich sie schloss, was aber dem Zweck der Reise widersprach. Die unerquicklichen Symptome legten sich auf meine Stimmung. Ich war oft gereizt, besonders wenn noch Müdigkeit mitspielte. Meine Gereiztheit übertrug sich auf Annamaria und so kam es, dass wir auf dieser Reise erstmals in all den Jahren manchmal der Liebe entbehrten. Zurück in Wien unterzog ich mich Untersuchungen, die, wenngleich nicht eindeutig, eine Allergie gegen Roggenpollen ergaben. Ich ging dreimal die Woche ins (alte) Allgemeine Krankenhaus zur Injektionstherapie, doch war keine wesentliche Besserung festzustellen. Nach zwei Jahren Therapie gab ich sie auf. Die Symptome zu ertragen war bequemer.

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