Die Nachmittage und Abende auf den Downs gingen weiter so wie die gelegentlichen Ausflüge in den Country Club. An Wochenenden machte Mr. Steveleigh mit der ganzen Familie Ausfahrten nach Bath, Salisbury, Brighton, Southhampton oder Bournemouth. Im betagten aber gediegenen Wolseley (wie musikalisch das Getriebe surrte!) saß ich auf duftendem Leder neben Margaret, die es manchmal duldete, wenn ich ihre Hand hielt, dann aber wieder – ich hatte keine Ahnung, wovon es abhing – mich anzischte: „Keep your hands to your own!“
Um meine britische Freundin zu beeindrucken, erklärte ich mich zur österreichischen Sportlerhoffnung. Das geschah nicht vorsätzlich, sondern passierte mir ganz spontan, als es im Gespräch um Sport ging. Margaret fragte mich, welche Sportart. Seltsam, das Nächstliegende fiel mir nicht ein. Von Fußball hatte ich ja eine gewisse Ahnung. Vom Rudern nicht die geringste. Trotzdem sagte ich Rudern. Na ja, gerudert hatte ich schon, eine Runde auf dem Schlossteich in Laxenburg. Damit war das Thema ein für alle Mal erledigt. Mein schmächtiges Oberkörperl und die schmalen Burscherloberarme entlarvten mich als Angeber.
Ich fühlte mich bemüßigt, etwas über das Salatwaschen mit Gillian hinaus für die Allgemeinheit beizutragen und kam auf die Idee, den Steveleighs Wiener Schnitzel zu bereiten. Mrs. Steveleigh gab mir das Geld für das Fleisch. Ich erinnerte mich, dass ein richtiges Wiener Schnitzel nicht vom Schwein kam und kaufte also Rindfleisch, keine Ahnung was für eines. ‚Fleischschlögel‘ konnte ich nicht übersetzen, also fuchtelte ich so lange mit den Händen, bis Mrs. Steveleigh erriet: „Oh, a meat tenderizer!“ Es gab aber keinen und so verwendete ich einen Hammer. Das Panieren ist recht gut gelungen, nicht nur des Fleisches, auch der Küche. Nur waren die Schnitzel sehr, sehr schwarz, als ich sie aus der Pfanne nahm. Das konnte man in dem schwarzen Rauch aber ohnehin nicht gut sehen. Trotzdem war das Fleisch hart wie Schuhsohlen, aber die Steveleighs haben sie schweigend gekaut ohne zu murren. Zum Glück hat meine Oma beim Gegenbesuch der Steveleighs in Wien das Jahr darauf die Wiener Küche rehabilitieren können.
Ich lud Margaret ins Kino ein zu ‚West Side Story‘. Den Film hatte ich schon früher gesehen und bete seither und bis heute Bernstein an. Jedoch Margaret’s Kommentar „A movie for those who like brawling and killing“ ließ mich ratlos zurück und von diesem Augenblick an war ich mir meiner Liebe nicht mehr so sicher. Ganz zerbrechen sollte unsere Bekanntschaft längere Zeit später. Ich pflegte etliche Brieffreundschaften mit jungen Leuten in Finnland und England. Auch ein Mädchen in Bristol war darunter. Ich schrieb ihr über meinen Englandurlaub und über Margaret und ich, der Reifste von ganz überall, sprach dabei Margaret geistige Reife ab. Pech nur, dass die Brieffreundin eine Schulkollegin Margarets war und sich natürlich sofort mit ihr über meinen Brief austauschte. Wenig später erhielt ich einen fuchsteufelswilden Brief von Margaret, der meine Bristolepisode unwürdig und endgültig beendete. Ich habe von den Steveleighs nie ein Wort darüber gehört, dennoch fürchtete ich, dass ich in den Augen jedenfalls der Eltern ein junger Deutscher gewesen bin, Sohn der Feinde also, die noch vor kurzer Zeit mit aller Brutalität gegen sie gekämpft hatten. Dieser Schmiss schmerzte mich noch lange und immer wieder und auch heute noch, weil ich mich nicht nur selber damit disqualifiziert, sondern wahrscheinlich auch ein Stereotyp bekräftigt habe.
Die Tage beginnen, kürzer zu werden, sogar in Bristol, also mache ich mich auf den Heimweg. Um noch eins draufzusetzen, wähle ich eine Route über die Schweiz, obgleich das Bargeld knapp geworden ist. Für die letzten Rappen kaufe ich einen Laib Brot und, damit es nicht trocken sei, eine Tube Senf. Damit würde ich mich bis nach Wien durchschlagen. Ein sehr günstiger ‚Lift‘ bringt mich nach Salzburg. Es ist schon Nacht, als ich an der Autobahn aussteige. An der Autobahn liegt auch die nächste Jugendherberge, allerdings etliche Kilometer entfernt. Also wandere ich in diese Richtung. Es ist eine klare und laue Sommernacht, silbrig glänzen Gaisberg und Untersberg unter einem runden Vollmond. Nach einer Viertelstunde beginne ich mich zu wundern. Das Licht wird immer dünner, eine unwirkliche Stimmung ergreift die nächtliche Landschaft und mich. Ein zufälliger Blick zum Mond und, ich glaube es kaum, dem fehlt ein gutes Stück! Dass ich von Mondesfinsternissen schon gehört habe, verhindert, dass mir das Herz in die Hose fällt, aber das völlig überraschende Phänomen sorgt dennoch für prickelnde Erregung. Ich stelle mir vor, welche Wirkung so ein Naturschauspiel auf ahnungslose Primitive gehabt haben mag, die dafür keine astronomische Erklärung hatten. Auf die weitere Suche nach der Jugendherberge verzichte ich, die ist ja ohnedies sicherlich schon zugesperrt, sondern setze mich an einen Busch und beobachte den Verlauf des Ereignisses. Dabei bin ich wohl eingeschlafen, denn das Nächste, das ich erinnere, ist eine riesige rote Sonne über dem östlichen Horizont.