worin vorkommen: Neustadt im Schwarzwald, Klaus Kinsky, Dietrich Fischer-Dieskau, ein Verwechslungsschwank
Das Bubengymnasium ist ganz das Meine nicht (was eigentlich wäre das gewesen?) und daher nimmt in meinen Überlegungen der Gedanke an einen vorzeitigen Austritt (schon wieder!) breiteren Raum ein. Mit 17 schreibe ich einen Bewerbungsbrief an die Konzertdirektion Landgraf (wenn dem Leser der Name nicht bekannt vorkommt, springe er zurück zum Kapitel Wiener Sängerknabe, (Tournee durch Deutschland). Diese Agentur in Neustadt im Schwarzwald betreute neben vielen anderen Künstlern auch die Wiener Sängerknaben auf Tourneen in Deutschland. Herr Landgraf würde sich bestimmt noch an den Buben erinnern, den er in seinem 300er mitgenommen hatte. Vielleicht kann er doch einen Volontär brauchen? Tatsächlich lädt Landgraf mich nach Neustadt ein, Bahnfahrt und Übernachtung auf seine Rechnung.
Ich reise mit einem alten Pappkoffer per Bahn. Auf dem Gang, der an den Abteilen vorbeiführt, beginnt eine junge deutsche Dame mit mir zu plaudern, aber ich bin eher kurz angebunden. Wohin ich reise? Neustadt im Schwarzwald. Zu Verwandten? Nein, geschäftlich. Das macht mächtig Eindruck. Sie heißt Sonja Brinkmann und für ein, zwei Jahre würden wir einen regen Briefwechsel pflegen.
Das Büro Landgrafs ist durchdrungen von der Atmosphäre edler und berühmter Künstlerinnen und Künstler, deren Porträts, teils mit autographen Widmungen, alle Wände bedecken. Während ich auf Landgraf warte, betrachte ich einige davon, manche kommen mir bekannt vor, aber letztlich kann ich niemanden identifizieren. In meinem Gespräch mit Landgraf bin ich wieder eher einsilbig, frage schließlich aber doch, auf eines der Porträts deutend: “Den Klaus Kinsky vertreten Sie also auch?” Hinter Landgrafs Brille blitzt kurz etwas zwischen Entsetzen und Verzweiflung auf, bevor er mir offenbart, es handle sich um Dietrich Fischer-Dieskau.
Höflich fährt er mich zum Bahnhof. Ich bin schon im Begriff, in den Zug einzusteigen, als Landgraf gerannt kommt, um mir meinen Pappkoffer nachzubringen. Seine Absage wird später per Post kommen.
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