13 Meinen Segen hat er

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Meinen Segen hat er

worin vorkommen:   Thomas Mann, August Strindberg, Henrik Ibsen,  Knut Hamsun, Sigrid Undset,  Boccaccio, Eva, Die Csárdásfürstin,  Der Graf von Luxemburg,  Die Großherzogin von  Gerolstein, Die lustige Witwe, Orpheus in der Unterwelt, Polenblut,  La Rondine, Die schöne Galathée, Die schöne 
Helena, Der Bettelstudent, Die Fledermaus, Eine Nacht in Venedig, Der Vogelhändler, Waldmeister, Ein Walzertraum, Der Zigeunerbaron, Wiener Blut, sowie eines Parzifals sorgloser Mut, eines Titurels Bangen und einer Herzeloyde Angst

Maria will es ihm nicht erlauben. Es fällt ihr schwer, sich von ihm zu lösen. Angst hat sie um ihn. Ist ja erst fünfzehn. Ich bin schon fünfzehn, sagt der Junge.


Fünfzehn. Als ich fünfzehn war, da brach zum ersten Mal in meinem Leben alles um mich zusammen. Berlin. Der erste Weltkrieg war verloren, nachdem unsere Väter so wie die Lehrer lange vom glorreichen Sieg unseres Kaisers geredet, das Vaterland als unser höchstes Gut vermittelt hatten. Und jetzt? Der Kaiser, schmachvoll abgedankt, Revolution wütete. Für meine Eltern gab es keine Hoffnung, ihr Erspartes, das sie nicht ganz freiwillig in Kriegsanleihen gesteckt hatten, je wiederzusehen. Hätte auch nichts geholfen angesichts der ausbrechenden Hyperinflation. Der Krieg verdreckt alles, Städte, Land und Menschen, bis ins Innerste. Städte und Land kann man wieder herausputzen. Das Innere der Menschen nicht. Der Kriegsdreck hat sie bereit dazu gemacht zu akzeptieren, dass im Umgang miteinander neuerlich Gewalt angewendet wird.


Ich hatte noch ein Jahr Schule vor mir bis zur Mittleren Reife. Es war unser dunkelstes Schuljahr. Der Abschluss ohne jeden Glanz. Mein Vater Bankangestellter. Die Bank hat ihn als unabkömmlich gemeldet, er hat daher keinen Kriegsdienst leisten müssen. Das dürfte ihn vor den moralischen Verwerfungen durch Krieg und Untergang einigermaßen bewahrt haben. Bei uns daheim wurde viel gelesen, vor allem die Klassiker. Der Vater besprach mit mir die moralischen Lehren, die sich aus den Werken ziehen ließen und ich konnte beobachten, wie er diese Lehren im Umgang mit der Familie und im Bekanntenkreis umsetzte.


Seine Bank stellte mich als Volontär ein. Es gab nur ein geringfügiges Taschengeld als Entlohnung, aber man konnte das Bankgeschäft erlernen und es bestand Aussicht sich hochzuarbeiten. Die Bank interessierte mich gar nicht. Ich befand mich in einem Freundeskreis, die meisten Lesefreaks. Die Klassiker wurden uns in der Schule vorgesetzt. In der Freizeit verschlangen wir die modernen Schriftsteller. Modern, das waren vor allem Thomas Mann, August Strindberg, Henrik Ibsen, Knut Hamsun und Sigrid Undset. Sie alle wiesen uns Jungen Wege aus dem Chaos in die neue Zeit. Wir frequentierten die Theater und Musiktheater, ich speziell Operetten und Kabarett. Boccaccio, Die Csárdásfürstin, Eva, Der Graf von Luxemburg, Die Großherzogin von Gerolstein, Die lustige Witwe, Orpheus in der Unterwelt, Polenblut, La rondine, Die schöne Galathée, Die schöne Helena, das ist nur eine Auswahl der wichtigsten Operetten, die ich nicht bloß ansah, sondern autodidaktisch bis in die Details studierte. Der Bettelstudent, Die Fledermaus, Eine Nacht in Venedig, Der Vogelhändler, Waldmeister, Ein Walzertraum, Der Zigeunerbaron, Wiener Blut weckten darüber hinaus meine Zuneigung zu Wien und Österreich. Das sollte später eine entscheidende Rolle in meinem Leben spielen. Seit meiner Knabenzeit hatte ich Klavierunterricht genommen. Jetzt spielte ich die Musiknummern der Operetten aus der Erinnerung nach. Für Noten gab es kein Geld. In den Theatern gingen wir auf Stehplatz. Es gab verständnisvolle Platzanweiser und einige wirksame Tricks um hinein zu kommen.


Man sieht, auf welche Weise ich sozialisiert wurde. Ich habe stets versucht, dieses Erbe an meinen Sohn weiterzugeben. Der Erfolg war bescheiden. Ich kann nicht bestreiten, dass er einiges davon mitbekommen hat, aber er ist kein Künstler. Fußball ist ihm wichtiger. Mit seinen Tricks kam er nicht ins Theater, aber auf Vorstadtfußballplätze. Wenn zwei Künstler ein Kind haben, heißt das noch lange nicht, dass das Kind die Talente erben muss. Und Rainers Mutter ist zwar für ein paar Jahre Operettensoubrette gewesen, so ein Wiener Mädel halt, süß und kapriziös, talentiert auch, ja, aber Künstlerin? Nein.


Der größere Schatz, den ich ihm mitzugeben versucht habe, ist die menschliche Herzensbildung, die Folge meiner eigenen Sozialisierung ist. Auch da hat es bei Rainer lange Zeit nicht so blendend ausgesehen. Ich habe aber das Gefühl, dass in den letzten Jahren, meinen letzten Jahren, die Saat doch noch aufgegangen ist und eine neue Pflanze wachsen kann.


Na ja, seinen Schulnoten zufolge hätte er 's auch nicht verdient. Aber wer weiß, vielleicht entwickelt der Träumer ja etwas mehr Selbständigkeit, wenn er ein paar Wochen auf sich allein gestellt ist. Immerhin muss er im Herbst keine Nachprüfung machen. Seinem Englisch wird 's auch nicht schaden, wenn er den Sommer über nach England trampt. Nur dumm, dass er allein fahren will. Die zwei jungen Engländer, mit denen er sich das Jahr zuvor in Österreich angefreundet hat, waren ja unbedingt seriöse Jungs. Ist er einmal in England angekommen, werden sie schon aufpassen auf ihn. Meinen Segen hat er.


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