Namibia
worin vorkommen:
Pötzleinsdorf, Barbuda, Barbados, Samoa, Tonga, Australien, Südafrika, USA, Johannesburg, Botsuana, Simbabwe, Singapur, Rom, Ostia Antica, Ostia, Nairobi, Windhoek, Pretoria, Gaborone, Etosha, Konzerthaus Wien, Brahms-Saal, Okaujuejo, Sambia, Mozambique, Halali, Namutoni, Bambatsi, Swakopmund, Angola, Monument Valley, Fingerklip, Verbrante Berg, Twyfelfontein, Khorixas, Braunschweig, Goanikontes, Walfisbay, Kuiseb-Pass, Sesriem, Sossusvlei, Maltahöhe, Lüderitz, Götzendorf, Ebergassing, Kiefersfelden, Kolmanskop, Keetmanshoop, Visrivier (Fish River), Grand Canion, Gondwana Nature Park, Ai Ais, Richtersveld Park, Onseepkans, Oranje, Augrabies Valle, Kakamas, Kimberley, Big Hole, Bloemfontein, Bryanston, Pretoria, Alois Luef, Louie Austen, Frank Sinatra, Dean Martin, Richard Strauss, Joseph Haydn, Pieter Willem Botha, Brigitte Zaczek, Konfuzius, Herreros, Ovambos, Friedrich Welwitsch, Jörg Haider, Jaroslav Hašek Swapo - marxistisch orientierte Befreiungsbewegung, ANC - African National Congress, SWATF - namibische Armee, SADF - südwestafrikanische Armee, 'Der brave Soldat Schwejk',
sowie eine Wüstenfee aus Braunschweig
Heinz Zaczek, mein Sängerknaben- und Black&White-Freund, derjenige, dessen Vater nach Weihnachten über den umgefallenen Christbaum ging, während Ladi die Dose mit den Figuren durchs Wohnzimmer schleuderte, nachdem Heinz seinen eigenen Schachzug auf der Blechdose mit „Yep“ kommentiert hatte, derselbe Heinz mit dem Werbeslogan ‘Schaurig, traurig, elindiglich’ und seiner Leidenschaft für High Fidelity, derselbe Heinz, mit dem ich immer, wenn wir uns treffen, Barack trinke, seit unserem ungarischen Tölltötoll-Abenteuer, Heinz also war einer der ersten meiner Freunde, der geheiratet hat. Er schnappte sich eine süße blonde Grazerin, schön und charmant, auch sie Sekretärin in einem Großindustriebüro in Wien. Für sie sind wir nachts über den Zaun zum neuen Donaupark geklettert, um Blumen zu stehlen, was sich gleich darauf als unnötig erwiesen hat, weil die Tore offenstanden. Ulli war eigentlich eine, die genau wusste, was sie will, nur bei Heinz scheint diese nützliche Begabung ausgesetzt zu haben. Beg your pardon. Heinz, der auch immer genau wusste, was er will, war sich auch bei Ulli hundertprozentig sicher. Sie heirateten in dem kleinen Kirchlein in Pötzleinsdorf. Ich glaube, sie waren damals schon entschlossen, auszuwandern.
Als Heinz noch solo war, hatten wir oft mit dem Aussteigen geliebäugelt. Loisl war auch dabei. Alois Luef verdiente etwas Geld mit Schauspielerei und als Tennislehrer. Er spielte auch Klavier abends in mancher Hotelbar und sang. Er konnte Frank Sinatra und Dean Martin meisterhaft imitieren. Ich kaufte Bücher über Südsee- und Karibikinseln wie Barbuda, Barbados, Samoa, Tonga. Wir bildeten uns wirklich ein, irgendwo dort ein außergewöhnliches Leben führen zu können. Loisl fuhr auf einem Einwandererticket nach Australien. Er nahm unseren ernst gemeinten Auftrag mit, in der Umgebung nach Möglichkeiten zu suchen, wo wir unsere Pläne verwirklichen konnten. Lange blieb Loisl nicht in Australien. Er kam ohne die erwarteten Auswandertipps zurück auf einem Linienschiff. Die Passage beglich er mit Auftritten als Barpianist und –sänger. Im Lauf der Zeit und nach weiteren abenteuerlichen Wendungen würde Loisl eine mittlere Karriere unter dem Künstlernamen Louie Austen machen.
Wenn das mit dem Loisl nicht klappt, dann mach ich’s halt mit der Ulli, wird Heinz gedacht haben und wanderte mit ihr aus nach Südafrika. Ulli hatte bald wieder eine Anstellung in der Chefetage eines großen internationalen Konzerns mit deutschem Stammhaus. Es war nicht Elin, soviel kann ich verraten. Die Afrikaaner, also die weißen Südafrikaner, sind stolz auf ihre Abstammung, Nationalität und Sprache, Afrikaans. Sicher können sie alle Englisch, aber wenn man mit ihnen Geschäfte machen will, ist man ohne Afrikaans ziemlich aufgeschmissen. Heinz erinnert sich an seinen anfänglichen Stehsatz: „Sorry, ek kan nie speaken Afrikaans, aber ek probeer.“ Dabei lächelte er so gewinnend, dass er mit seinem Charme auch den härtesten Nationalisten herumkriegte. Und binnen Kurzem war er auch sprachlich ein echter Afrikaaner. Heinz reiste viel, vor allem in Südafrika, aber auch in die USA. Nach Europa kamen die Beiden gelegentlich, wenn Heinz bestimmte Firmen hier zu besuchen hatte. Heinz handelte nur die allerbesten und allerteuersten Produkte, was seine Sache nicht leichter machte. Der Kreis zahlungskräftiger Interessenten war viel kleiner. Geräte, wie er sie verkaufte, hätte ich mir niemals leisten können. Ich machte mir aber auch nicht so viel daraus. Mir war immer die künstlerische Qualität wichtiger als die technische. Trotz vieler Hochs und Tiefs schaffte er es, als anerkannter Spezialist in der Branche bekannt zu werden. Heinz und Ulli bewohnten jetzt einen Bungalow nahe Johannesburg. Ulli hielt mit uns Kontakt, indem sie in gelegentlichen Briefen über ihre Reisen in die schönsten Naturreservate Südafrikas, Botsuanas und Simbabwes berichtete. Eines Tages flatterte der Vorschlag herein, die Beiden auf einer touristischen Reise drei Wochen durch Namibia zu begleiten. Anlass: Heinz wird heuer vierzig. Heinz‘ ganze Familie würde dabei sein, das heißt, seine über alles geliebte Mutter, seine beiden Schwestern, der Freund der einen Schwester, ein Freund aus Singapur und, wenn wir wollten, wir beide. Das war ein Angebot, das wir nicht ausschlagen konnten. Wir strapazierten unsere Finanzen, um die Flüge zu bezahlen und waren schon unterwegs.
3. August Der Hinflug geht über Rom. Wir haben einige Stunden bis zum Weiterflug und beschließen, einen Linienbus zu nehmen und Ostia Antica zu besuchen. Hinsichtlich des Zeitpunkts der Rückfahrt orientieren wir uns an der Fahrzeit nach Ostia. Das bricht uns fast das Genick, denn unser Bus steckt fest im Stau. Wir sind verzweifelt. Wenn wir den Abflug verpassen, ist nicht nur die Reise hin, sondern auch das schöne Geld. Wie alles Verfahrene in Italien sich im letzten Moment auflöst, so auch dieser Stau. Während wir durch die Abflughallen rennen wie die Verrückten, hören wir „Ultima chiamata…“, letzter Aufruf, und schaffen es mit Müh und Not, in den Zubringerbus zu hechten, als sich dessen Türen schon schließen.
4. August
Nach Johannesburg mit einer Zwischenlandung in Nairobi. Die Zwischenlandung dient nur dem Auftanken. Niemand darf das Flugzeug verlassen. Es ist mitten in der Nacht. Aus den Fenstern sehen wir, wie Schwarze die notwendigen Tätigkeiten in spärlichem Scheinwerferlicht verrichten. Hinter ihnen bewaffnete Wachposten. Mir ist klar, dass das Betanken eines vollbesetzten Flugzeugs nicht ungefährlich ist. Bisher habe ich immer nur gehört, dass die Passagiere beim Tankvorgang nicht an Bord bleiben dürfen. Dann der Flug immer weiter nach Süden über afrikanisches Land. Sonnenaufgang, nicht allmählich wie bei Richard Strauss, nein, schlagartig wie bei Joseph Haydn. Der Blick hinunter auf die wechselnden Vegetationszonen. Das unrealistische Gefühl, einzelne Tiere ausmachen zu können.
Landung in Johannesburg, über Wolkenkratzer hinweg. Abgeflogen aus heißem Sommer, gelandet im Winter. Aber in was für einem! Es ist sonnig und lau. Wir nehmen den Bus in die Stadt, haben dort ein Zimmer gebucht. Unser Reisegrüppchen befindet sich schon in Windhoek. Sind schon vor ein paar Tagen mit Heinz‘ BMW und einem gemieteten Camper dorthin gereist. Nach dem Einchecken Spaziergang durch die modernen Straßen. Schwarz und Weiß kunterbunt gemischt, hier im Zentrum in eher ausgeglichenem Verhältnis, dazu Inder. Alles schaut gelassen und friedlich aus. In Wirklichkeit findet in dem Land ein Ringen um die Macht statt zwischen den Weißen, die sie haben, und der schwarzen Mehrheit, die sie will. Präsident Botha bietet dem inhaftierten Mandela die Freilassung zu bestimmten Bedingungen an. Botha versucht damit, den Druck der Freiheit Fordernden zu vermindern. Doch Mandela lehnt ab. Es fliegen Handgranaten, explodieren Minen, Sabotage, Attentate und Morde sind an der Tagesordnung. Von alldem ist hier im Zentrum Johannesburgs nichts zu spüren. Bei Annamaria macht sich ein Gerstenkorn bemerkbar. Müde vom langen Flug gehen wir zeitig zu Bett. Unser Anschlussflug nach Windhoek ist schon um sieben Uhr früh.
5. August Der Morgen ist wieder sonnig, aber überhaupt nicht lau. Ein eisiges Lüftchen begleitet uns zu Fuß übers Vorfeld hinüber zum wartenden Flugzeug. Zwei Stunden später fallen wir Heinz und Ulli in die Arme, Heinz‘ Mutter und Schwestern. Ich öffne die mitgebrachte Flasche Barack. Mit dem Freund der Schwester muss es während der Autofahrt hierher Zoff gegeben haben. Er zieht es vor, die Namibiareise nicht mitzumachen. Tom wird uns vorgestellt, ein schmaler, lustiger Asiate aus Singapur. Bei einem Drink stellt Heinz uns sein Reiseprogramm vor und gibt uns einige Sicherheitshinweise. Beispielsweise sollen wir keinesfalls anhalten, falls wir in der Wildnis auf ein stehendes Fahrzeug treffen, auch wenn es den Anschein einer Panne hat. Oft werden Überfälle so eingeleitet. Auch politisch ist noch viel Unruhe in Namibia. Zwar hat Südafrika seinen Generaladministrator abgezogen, der bis dahin in Namibia allein herrschte, und eine Südafrika genehme Übergangsregierung eingesetzt, doch müssen alle Gesetze von einem Vertreter Pretorias gegengezeichnet werden. Die namibische Unabhängigkeitsbewegung Swapo verhält sich zwar momentan ruhig, das hat in der Vergangenheit aber auch schon ganz anders ausgesehen. Derzeit liegen die Probleme eher zwischen Südafrika und Botsuana. Erst vor Kurzem hat Südafrika die Hauptstadt Botsuanas, Gaborone, mit Raketen, Granaten und Maschinengewehren beschossen, um Planungs- und Ausbildungsstätten des ANC (African National Congress) zu zerstören, der südafrikanischen Befreiungsbewegung. Heinz‘ Mutter und Brigitte, seine ältere Schwester werden in seinem feinen BMW mitfahren. Marion, die Jüngere, Annamaria und ich im Camper. Tom und ich werden uns als Fahrer abwechseln. Heinz fährt voran, wir folgen. Auch in Namibia herrscht Linksverkehr. Na ja, auf viel Gegenverkehr werden wir nicht treffen. Das heißt nicht, dass wir das Linksausweichen ganz vergessen dürfen. Unser Rechtslenker wird uns daran erinnern. Und schon kann’s losgehen.
6. August
Erste Etappe, zum Etosha Nationalpark. Die Straße ist überwiegend schnurgerade, asphaltiert und staufrei, wenn man von unseren beiden Fahrzeugen hintereinander absieht und das nicht als zähflüssigen Kolonnenverkehr missinterpretierten möchte. Ich glaube, auf den 450 Kilometern begegnen wir nicht mehr als zwanzig anderen Fahrzeugen, hauptsächlich noch nahe Windhoek, meistens Land Rover und dergleichen. Rechts und links der Straße Steppe, Steppe, soweit man schauen kann braune Steppe. Braun allerdings in vielen unterschiedlichen Schattierungen von fast weiß über golden und rötlich bis schokoladen. In weiten Abständen hie und da vereinzelte Bäume, manche abgestorben. Hat Heinz‘ Mutter vielleicht japanische Wurzeln? Sie fotografiert so gerne. Obwohl Heinz sich weigert, die Strecke in Zwanzig-Meter-Etappen zu absolvieren, sind die Fotopausen doch ziemlich häufig. Es gibt so viele interessante Motive, sei es eine einsame gelbe Blüte im Sand oder eine Antilopenherde in einiger Entfernung.
Brigitte, die ältere von Heinz‘ Schwestern, großgewachsen, vielleicht um besser mit den langen Hälsen ihrer Lauten und Theorben zurechtzukommen, sehr kultiviert, ist Konzertvirtuosin mit solchen Instrumenten und Gitarre. Sie hat 1963 im Konzerthaus in Wien debütiert und ist seither als Solistin und in Ensembles wie auch als Begleiterin in der ganzen Welt unterwegs. Für sie ist diese Kontinentalreise eine von vielen, für Annamaria und mich hingegen die erste (und einzige). Ich erinnere mich an eines der frühen Konzerte mit Brigitte im Brahms-Saal. Heinz hatte mir die Karte für einen ganz hervorragenden Platz in der ersten Reihe geschenkt. Das hätte ihre Karriere fast zum raschen vorzeitigen Ende gebracht. Ich war natürlich ganz im Bann der schönen Barockmusik und der schönen Künstlerin, die Heinz‘ Schwester war. Später erzählte mir Brigitte, ich habe sie die ganze Zeit derart angestarrt, dass sie fast aus dem Konzept gekommen wäre. Diese Brigitte sitzt jetzt in dem BMW dort vorne, um mit uns durch Namibia zu reisen.
Ihre jüngere Schwester, Marion, fährt meistens mit uns im Camper. Marion ist Dolmetscherin für Englisch, Französisch und ich glaube noch ein paar Sprachen. Für die Unido in Wien macht sie das simultan. Sie ist kleiner als Brigitte und etwas füllig. Sie hat einen Erdölterrier. Ich habe mich lange gefragt, was für ein Hund das sein mag, bis ich begriff, es ist ein Airedale. Wenn es heiß wird im Van, macht ihr das zu schaffen. Während der Fahrt liest sie meistens. Krimis in Englisch. Sie ist sehr selbstbewusst. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie ihren Bekannten, sollte er sich danebenbenommen haben, so behandelt hat, dass er die Flucht ergriff.
Tom aus Singapur ist immer gut gelaunt. Er weiß, wo’s langgeht. Konfuzius sagt es ihm. Und in seinem hellen Sopran sagt Tom es uns. „Confucius say, two beer is better than one beer, hahaha.“ Das geht so den ganzen Tag. Was immer er macht, Confucius rechtfertigt alles. Verkehrsschilder kündigen eine Eisenbahnkreuzung an. Die Straße ist immer schnurgerade. Ausgerechnet vor dieser Kreuzung macht sie ein paar Kurven, weil die Bahntrasse etwas tiefer in einem Graben liegt. Deshalb ist die Bahnstrecke auch nicht einzusehen. Aus demselben Grund ist auch Heinz‘ BMW unseren Blicken entschwunden. Der ist schon die Kurven jenseits des Grabens hinaufgesaust. Ich täusche mich in der Erwartung, dass Tom jetzt von seinen Sechzig runtergeht, um anzuhalten, sollte ein Zug kommen. Irrtum! Tom hält das Tempo bei. „Confucius say, no train, hahaha.“ Gottseidank hat Confucius recht. Beim Rumpeln über die Schienen habe ich das Gefühl, jetzt ist die Hinterachse weg. Das dürfte Confucius nicht gesagt haben. Toms Kommentar: „Bad road, indeed.“
Wie man sieht, bin ich mit dem Fahren sehr beschäftigt, auch wenn Tom am Steuer ist. Annamaria lässt sich auf der Sitzbank in Längsrichtung durchschütteln. Wenn die Straße auch asphaltiert ist, glatt ist sie nicht. Bei achtzig rumpelt es ganz gehörig in dem Van. Mein Pazzerl hat den Vorhang gegen die Sonne gezogen und presst ein feuchtes Taschentuch auf ihr Gerstenkorn. Das ist inzwischen unangenehm groß geworden und schmerzt. Wir hätten es in Windhoek behandeln lassen sollen, aber das hätte den ganzen Reiseplan durcheinandergebracht. Annamaria meinte, so schlimm würde es nicht werden. Wurde es aber zunehmend. Medizinische Einrichtungen würden sich in den kommenden Tagen keine anbieten. Auch nicht in Okaukuejo, das wir am späten Nachmittag erreichen. Ist auch besser so, denn außerhalb größerer Wohngebiete herrscht in Namibia bei Dunkelheit Fahrverbot.
Okaukuejo liegt am südlichen Rand der Etosha-Pfanne. Das ist ein ausgetrockneter Seeboden, hundertzwanzig Kilometer lang und fünfzig breit, auf tausend Meter Seehöhe. Die riesige Pfanne schimmert wegen des Kalk- und Salzgehalts des Bodens weiß. Die ganze Gegend ist Nationalpark. Ulli hat für die ganze Gruppe Zimmer im Camp reserviert, auch für uns Camperbesatzung. Das Camp steht unmittelbar an einem Wasserloch, eines der wenigen weit und breit, daher ist es für die Tiere im Umkreis ein unvermeidlicher Anziehungspunkt. Früher oder später kommt hier jedes Tier vorbei. Man setzt sich einfach auf die einladende Terrasse des Restaurants und schaut sich die verschiedenen Gäste an. Elefanten, Giraffen, Antilopen, Hyänen, Strauße, Zebras kommen trinken. Nashörner und Großkatzen haben gerade keinen Durst. In der Familie Zaczek sind sie alle zoologische Enthusiasten. Heinz und Ulli machen jedes Jahr weite Reisen durchs südliche Afrika, die hauptsächlich dem Tiere beobachten gewidmet sind. Dazu gibt es hier reichlich Gelegenheit, sei es in Südafrika, Botswana, Simbabwe, Sambia oder Mozambique. Heuer eben Namibia. Aber auch die Fotoapparate der weiteren drei Damen kommen nicht zur Ruhe bis die Verschlüsse heiß laufen. Annamaria und ich bestaunen die Tiere auch, aber uns fesselt mehr das Gesamtbild des fremden Landes. Das Camp bietet eine Anzahl gemauerte Feuerstellen an, die zum Grillen eingerichtet und mit reichlich Brennholz ausgestattet sind. Braai nennt man hier das Grillen. Im Zuge unserer Reise werden wir abends noch oft Braai machen. Heute üben wir schon einmal.
7. August Heute machen wir erstmals Bekanntschaft mit dem ab jetzt vorherrschenden Straßentyp, den Sandpisten. Der Toyota schwimmt im Sand wie ein Motorboot. Ich frage mich, ob dieses Vehikel mit den Hinterrädern lenkt. Heinz‘ BMW hält die Spur sicherlich besser, aber der Wagen tut mir leid. Dem Heinz auch. Der Sand macht vor keiner Ritze halt und ich fürchte er wird sie auch nie wieder verlassen. Der BMW ist Heinz‘ Ein und Alles. Ans Steuer darf nur Ulli. Und ich, weil er seit Töltötoll weiß, wie ich fahre. Es ist eine hohe Ehre für mich. Dass Heinz jetzt seinem geliebten besten Stück den Sand antut, kann nur seiner großen Zuneigung zu uns allen gedankt sein. In den Sandpisten gibt es Spurrillen. Wie im winterlichen Schnee muss man aufpassen, nicht in zwei parallele Rillen zu geraten, die zu weit auseinanderliegen. Sonst kann es leicht sein, dass sich die Landschaft rundum zu drehen beginnt wie ein Ringelspiel. Querrillen gibt es auch. Sie machen die Piste zur Waschrumpel. Die Abstände der Wellen sind unterschiedlich. Für jeden Typus gibt es eine ganz bestimmte Geschwindigkeit, bei der das unerträgliche Rumpeln in ein sattes Brummen mit weniger Erschütterung übergeht. Es bedarf einigen Gefühls, das Tempo mit dem Gaspedal entsprechend zu dosieren. Nicht nur den BMW erobert der Sand, stärker noch den Van. Jetzt hält auch Marion ein Taschentuch vors Gesicht. Zwischen unseren Zähnen knirscht unsichtbares mikroskopisches Geröll. Dazu kommt die Hitze in dem schlecht zu durchlüftenden Van.
Wir rumpeln am südlichen Rand der Pfanne entlang über Halali zum Fort Namutoni. Das liegt an der äußerst südöstlichen Ecke. Ende des 19. Jahrhunderts von der deutschen Kolonialverwaltung errichtet beherbergte es Polizei- und Militäreinheiten. 1904 wurden die Truppen fast vollständig abgezogen. Sie sollten den Kampf gegen die Hereros weiter unten im Süden unterstützen. Nur sieben Mann blieben zurück. Unerwartet attackierten die Ovambo das Fort.
Den Herren Grossmann, Lassmann, Lemke, Lier, Basendowski, Becker und Hartmann gelang es, den Angriff tagsüber abzuwehren und nachts zu einem anderen, hundert Kilometer entfernten Lager zu flüchten. Tags darauf zerstörten die Ovambo das Fort, doch die Deutschen eroberten es zurück und bauten es wieder auf. Mit der Errichtung des Nationalparks widmete man es der Beherbergung der Touristen wie beispielsweise der Zaczeks und der Richters und Tom Tabascos. Tabasco nenne ich Tom, weil Confucius say, „Essen ohne Lots of Tabasco schmeckt gar nicht.“ und Tom hört auf Konfuzius.
8. August Noch eine Nacht an der Pfanne. Halali liegt ziemlich genau in der Mitte zwischen Okaukuejo und Namutoni. An der Wasserstelle hier soll man ziemlich sicher Elefanten antreffen. Stimmt ja auch.
Der August hier entspricht meteorologisch etwa unserem Februar. Wohl sind die Nächte bitter kalt, aber tagsüber wird es heiß wie bei uns im Hochsommer. Allerdings sind die Tage kurz. Die Sonne geht auf zur rechten Hand, also ist der Osten rechts, und sie zieht ihre Bahn von rechts nach links! Und wo sie mittags im Zenit steht, dort ist Nord! Frappierend!
Abends Braai, danach Schach mit Heinz. Grappa ist leider aus. Die Figuren auf einer Blechdose. Yep!
9. August Etosha ist der nördlichste Bereich unserer Reise. Von Halali aus geht es wieder in Richtung Süd. Wir erreichen Bambatsi. Die Guest Farm liegt auf einer Geländestufe, von der aus man einen weiten Blick über die Steppe genießt. Auf der Terrasse kommen wir ins Gespräch mit einem weiteren Gast. Auf Deutsch stellt er sich vor als der Bäcker von Swakopmund. Die Kleinstadt an der Küste liegt auf unserer künftigen Reiseroute. Er ist hier mit seiner Frau auf Besuch. Sie sind verwandt mit den Betreibern der Lodge. Der Enddreißiger erzählt über das Problem, das ihn und seine Frau am meisten beschäftigt. Ihr Sohn, achtzehn, ist einberufen in die SWATF. Für zwei Jahre. Die SWATF ist die namibische Armee, in der auf südafrikanische Initiative die frühere südwestafrikanische SADF aufging. Ob die SWATF überhaupt Einberufungen befehlen kann, ist strittig. Der Prozess eines Verweigerers ist im Laufen und wird voraussichtlich noch Jahre dauern. Wehrdienstverweigerungen sind keine Einzelfälle. Früher hat man sie stillschweigend geduldet. Seit mit Angola und der SWAPO ein heftiger Brandherd entstanden ist, nimmt man den Militärdienst ernst. Auf Wehrdienstverweigerung stehen bis zu sechs Jahre Haft. Ob Bäcker und Bäckerin ihren Sohn wiedersehen werden, ist nicht garantiert. Es sind schon acht junge Männer, die in der letzten Zeit vom Wehrdienst nicht nach Swakopmund heimgekehrt sind. Niemand kann wissen, wie die Lage sich entwickeln wird. Die SWAPO ist marxistisch, die Südafrikaner Nationalisten mit Apartheid. Die Alternativen sind einrücken, verweigern, auswandern oder untertauchen. Keine berauschenden Möglichkeiten für einen Achtzehnjährigen, noch weniger für seine Eltern. In mir regt sich der Verdacht, der Swakopmunder Bäcker könne hier sein, um Möglichkeiten für das Untertauchen seines Sohnes bei den Verwandten in der Steppe einzufädeln.
Das Braai zieht sich weit in die Nacht hinein. Von dem Geländerücken schauen wir in die Nacht. Absolutes Schwarz. Nirgends auch nur das kleinste Lichtpünktchen zu sehen. Dafür sind die Sterne am Nachthimmel näher als irgendwo je zuvor. Sie sind wirklich näher, denn abgesehen von der Küste bewegen wir uns in Namibia kaum unterhalb 1200 Meter Seehöhe. Das Kreuz des Südens habe ich mir als eindrucksvolle Figur am Firmament vorgestellt. Es sind aber nur ein paar helle Sterne, die eng beisammen liegen. Fröstelnd schlüpfen wir unter die Decken auf unseren Feldbetten.
Von Bambatsi in südlicher Richtung. Die Steppe verwandelt sich immer mehr in Wüste. Die Vegetation wird spärlicher, Sträucher und Bäume seltener. Landstufen erheben sich lang und steil aus der Ebene. Von der Erosion ausgesparte Überbleibsel der einstigen Erdoberfläche ragen empor, man glaubt sich im Monument Valley.
Hinter einer unübersichtlichen Kuppe überrascht uns Heinz‘ BMW. Er steht. Tom hat Mühe nicht aufzufahren. Drüben auf der anderen Pistenseite steht ein Range Rover. Um diesen herum einige Schwarze in Jeans und bunten T-Shirts. Gefährlich schauen sie nicht aus, aber mir fällt sofort Heinz‘ Warnung ein, in solchen Fällen nicht anzuhalten. Jetzt palavert Heinz mit den Schwarzen. Anscheinend ist ihnen der Treibstoff ausgegangen. Tankstellen sind in dieser Gegend dünn gesät, nämlich nur in größeren Ansiedlungen vorhanden. Man muss also schon sorgfältig ausrechnen, ob man die paar hundert Kilometer bis zur nächsten Tankmöglichkeit schafft. Oder ein paar volle Kanister mitführen. Die Schwarzen haben keinen. Wir auch nicht. Eigentlich ziemlich unvorsichtig, kommt mir vor. Fazit: Derselbe Mann, der uns in Windhoek empfohlen hat, in ähnlichen Situationen nicht anzuhalten, kniet jetzt vor dem BMW. In dessen Tanköffnung hat er einen Kunststoffschlauch gesteckt. an dem er saugt. Nach einigen Versuchen und angeekeltem Spucken rinnt Diesel aus dem Schlauch in eine Zwei-Liter-Coca Cola-Flasche. Sobald sie voll ist, leert sie der Schwarze in seinen Range Rover. Das wiederholt sich jetzt etliche Male. Ich frage mich, wieso Heinz nicht den Schwarzen saugen lässt. Aber das ist Heinz: Er kennt die Gefahr, doch wenn’s darauf ankommt, ist ihm das wurscht. Ob Weißer oder Schwarzer oder Gelber oder Roter. Er kniet im Sand und saugt. Wir bleiben noch, bis klar ist, dass der Rover auch anspringt. Es ist nicht selbstverständlich bei einem Diesel. Luft könnte in die Kraftstoffleitung gelangt sein. Der Motor des Geländewagens röhrt auf. Alles bestens. Die Schwarzen schauen happy aus, als sie in ihrer eigenen Staubwolke verschwinden. Heinz bläst seinen Schlauch aus und rollt ihn ein. Da die Schwarzen weg sind, trauen sich seine Mutter und Marion aus dem BMW. Die ganze Zeit haben sie nicht so sehr auf die Schwarzen geschaut wie auf die Pflanzenbüschel, die zuhauf in der Gegend umherstehen. Mit Fotoapparaten bewaffnet stürzen sie ins Gelände. Sie haben erkannt, dass die unscheinbaren Büsche Welwitschien sind, Wüstenpflanzen, die vom österreichischen Botaniker Friedrich Welwitsch entdeckt worden waren. Sie können hunderte Jahre alt werden. Tom: „Confucius say, eatable, with lots of Tabasco.“
Diese Nacht verbringen wir in Khorixas zusammen mit zwei anderen Reisegruppen. Bei ein paar späten Drinks tauschen wir Reiseerfahrungen aus. Ein junges Paar aus Braunschweig ist dabei. Sie sind mit einem blauen Cortina unterwegs. Das Gerede interessiert mich wenig. Ich schaue in ein unglaubliches Sternenzelt. Meine Gedanken sind beherrscht von den wundervollen Eindrücken der letzten Tage.
11. August Wenn unsere Edeltruppe morgens abfahrbereit ist, sind die anderen Gruppen längst unterwegs. Von Khorixas südlich am Verbrante Berg vorbei, dann südwestlich durch die Wüste bis zur Atlantikküste. Swakopmund.
Wie immer ist nach kalter Nacht die Hitze drückend. Der Himmel stahlblau ohne den geringsten Anflug eines Wölkchens. Die Luft oszilliert. Am Horizont erscheinen Wasserflächen und Wälder. Luftspiegelungen. Zwanzig Kilometer vor der Küste entdecken wir am Horizont vor uns einen dunklen Streifen. Was mag das sein? Je weiter wir uns nähern, desto markanter wird der Streifen und ist jetzt schon ein breites Band. Undefinierbar. Wir kommen noch näher und das Band wird zur Wand. Eine Wand, auf die wir, der Piste folgend, unaufhaltsam zusteuern. Schon baut die Wand sich auf zum unüberwindlichen Hindernis, vom Wüstensand bis zum Zenit. Wir fragen uns, was das werden soll, da sind wir schon gegen die dunkelgraue Wand gefahren, in sie hineingerast. Ich bin überrascht, dass uns das kolossale Hindernis nicht zerschmettert, als wir dagegen stoßen. Blindheit umfängt uns. Die Piste ist kaum noch zu erkennen. Aus ist’s mit dem angenehmen, erschütterungsschonenden Tempo. Tom Tabasco muss auf zwanzig Km/h reduzieren. Der BMW vor uns verschwunden. Wir rumpeln in einem undurchdringlichen Dunkelgrau dahin, langsam, aber mit gefühlten hundertzwanzig. Confucius say, eighty or twenty, no difference. Nach und nach wird uns klar, wir sind in einer Nebelwand gefangen. Unserem Zeitgefühl nach fehlen uns wenige Kilometer bis zur Küste, nach Swakopmund. Und wir erkennen langsam, wir befinden uns in dem Nebelstreifen, der von der Küste gute zehn Kilometer ins Wüstenland reicht. Wie ein unerwarteter Blitz rasen die Scheinwerferlichter eines entgegengekommenen Fahrzeugs an uns vorbei. Sicheres Kennzeichen, dass wir einer menschlichen Siedlung näherkommen. Gleich darauf passieren wir ein unscheinbares Schild mit der Aufschrift ‘Swakopmund’. Unser Hotel dort zu finden ist kein Problem, nicht einmal im dichten Nebel. Die rot-weiß-rote Basis des Leuchtturms ist unser Wegweiser, seine Spitze verschluckt der Nebel. Es sieht aus wie Venedig im Dezember. Die Palmen wirken fehl am Platz. Der Boden ist sehr feucht. Es kann kaum mehr als zehn Grad haben. Wir frieren.
Zum Abendessen gibt’s Kingklip. Ein aalartiger, überaus wohlschmeckender Speisefisch, der hauptsächlich an Namibias Atlantikküste vorkommt.
2. August
Heute Abend werden wir ein zweites Mal in Swakopmund nächtigen. Der Nebel ist verschwunden. Annamarias Gerstenkorn hat sich von allein geöffnet. Die Qual ist vorüber. Vielleicht hat die feuchte Nebelluft geholfen? Ab jetzt kommen nur noch echte Sandkörner ins Auge. Die Sonne wärmt schon wieder kräftig. Tagsüber wollen wir einen Ausflug zu einigen Sehenswürdigkeiten im Umland machen. Zuvor müssen wir das tun, was hierzulande unerlässlich ist, wenn man sich in einer größeren Ansiedlung befindet: Tanken. Die Tankstelle besteht aus einer Bude, vor der sich im Freien zwei altertümliche Pumpen befinden. Ein langer, dünner Schwarzer kommt aus der Bude, als wir vorfahren. Ich gehe das Tankschloss aufsperren, sage dabei dem Schwarzen „Good morning“. Seine Antwort macht mich platt: „Tach, ick soll det Ding wohl vollmachen?“ Gutes Deutsch hätte mich weniger überrascht. Aber dieser urige Berliner Dialekt?
Der Swakop ist ein zumeist trockener Flusslauf von 460 Kilometer Länge, der die Namib von Ost nach West durchquert und bei Swakopmund in den Atlantik mündet. Etwa 35 Kilometer flussaufwärts, mitten in der Wüste, befindet sich eine Oase, Goanikontes genannt. Das ist unser erstes Ziel.