35 Namibia

Namibia

worin vorkommen: Pötzleinsdorf, Barbuda, Barbados, Samoa, Tonga, Australien, Südafrika, USA, Johannesburg, Botsuana, Simbabwe, Singapur, Rom, Ostia Antica, Ostia, Nairobi, Windhoek, Pretoria, Gaborone, Etosha, Konzerthaus Wien, Brahms-Saal, Okaujuejo, Sambia, Mozambique, Halali, Namutoni, Bambatsi, Swakopmund, Angola, Monument Valley, Fingerklip, Verbrante Berg, Twyfelfontein, Khorixas, Braunschweig, Goanikontes, Walfisbay, Kuiseb-Pass, Sesriem, Sossusvlei, Maltahöhe, Lüderitz, Götzendorf, Ebergassing, Kiefersfelden, Kolmanskop, Keetmanshoop, Visrivier (Fish River), Grand Canion, Gondwana Nature Park, Ai Ais, Richtersveld Park, Onseepkans, Oranje, Augrabies Valle, Kakamas, Kimberley, Big Hole, Bloemfontein, Bryanston, Pretoria, Alois Luef, Louie Austen, Frank Sinatra, Dean Martin, Richard Strauss, Joseph Haydn, Pieter Willem Botha, Brigitte Zaczek, Konfuzius, Herreros, Ovambos, Friedrich Welwitsch, Jörg Haider, Jaroslav Hašek Swapo - marxistisch orientierte Befreiungsbewegung, ANC - African National Congress, SWATF - namibische Armee, SADF - südwestafrikanische Armee, 'Der brave Soldat Schwejk', sowie eine Wüstenfee aus Braunschweig

Heinz Zaczek, mein Sängerknaben- und Black&White-Freund, derjenige, dessen Vater nach Weihnachten über den umgefallenen Christbaum ging, während Ladi die Dose mit den Figuren durchs Wohnzimmer schleuderte, nachdem Heinz seinen eigenen Schachzug auf der Blechdose mit „Yep“ kommentiert hatte, derselbe Heinz mit dem Werbeslogan ‘Schaurig, traurig, elindiglich’ und seiner Leidenschaft für High Fidelity, derselbe Heinz, mit dem ich immer, wenn wir uns treffen, Barack trinke, seit unserem ungarischen Tölltötoll-Abenteuer, Heinz also war einer der ersten meiner Freunde, der geheiratet hat. Er schnappte sich eine süße blonde Grazerin, schön und charmant, auch sie Sekretärin in einem Großindustriebüro in Wien. Für sie sind wir nachts über den Zaun zum neuen Donaupark geklettert, um Blumen zu stehlen, was sich gleich darauf als unnötig erwiesen hat, weil die Tore offenstanden. Ulli war eigentlich eine, die genau wusste, was sie will, nur bei Heinz scheint diese nützliche Begabung ausgesetzt zu haben. Beg your pardon. Heinz, der auch immer genau wusste, was er will, war sich auch bei Ulli hundertprozentig sicher. Sie heirateten in dem kleinen Kirchlein in Pötzleinsdorf. Ich glaube, sie waren damals schon entschlossen, auszuwandern. 

Als Heinz noch solo war, hatten wir oft mit dem Aussteigen geliebäugelt. Loisl war auch dabei. Alois Luef verdiente etwas Geld mit Schauspielerei und als Tennislehrer. Er spielte auch Klavier abends in mancher Hotelbar und sang. Er konnte Frank Sinatra und Dean Martin meisterhaft imitieren. Ich kaufte Bücher über Südsee- und Karibikinseln wie Barbuda, Barbados, Samoa, Tonga. Wir bildeten uns wirklich ein, irgendwo dort ein außergewöhnliches Leben führen zu können. Loisl fuhr auf einem Einwandererticket nach Australien. Er nahm unseren ernst gemeinten Auftrag mit, in der Umgebung nach Möglichkeiten zu suchen, wo wir unsere Pläne verwirklichen konnten. Lange blieb Loisl nicht in Australien. Er kam ohne die erwarteten Auswandertipps zurück auf einem Linienschiff. Die Passage beglich er mit Auftritten als Barpianist und –sänger. Im Lauf der Zeit und nach weiteren abenteuerlichen Wendungen würde Loisl eine mittlere Karriere unter dem Künstlernamen Louie Austen machen.

Wenn das mit dem Loisl nicht klappt, dann mach ich’s halt mit der Ulli, wird Heinz gedacht haben und wanderte mit ihr aus nach Südafrika. Ulli hatte bald wieder eine Anstellung in der Chefetage eines großen internationalen Konzerns mit deutschem Stammhaus. Es war nicht Elin, soviel kann ich verraten. Die Afrikaaner, also die weißen Südafrikaner, sind stolz auf ihre Abstammung, Nationalität und Sprache, Afrikaans. Sicher können sie alle Englisch, aber wenn man mit ihnen Geschäfte machen will, ist man ohne Afrikaans ziemlich aufgeschmissen. Heinz erinnert sich an seinen anfänglichen Stehsatz: „Sorry, ek kan nie speaken Afrikaans, aber ek probeer.“ Dabei lächelte er so gewinnend, dass er mit seinem Charme auch den härtesten Nationalisten herumkriegte. Und binnen Kurzem war er auch sprachlich ein echter Afrikaaner. Heinz reiste viel, vor allem in Südafrika, aber auch in die USA. Nach Europa kamen die Beiden gelegentlich, wenn Heinz bestimmte Firmen hier zu besuchen hatte. Heinz handelte nur die allerbesten und allerteuersten Produkte, was seine Sache nicht leichter machte. Der Kreis zahlungskräftiger Interessenten war viel kleiner. Geräte, wie er sie verkaufte, hätte ich mir niemals leisten können. Ich machte mir aber auch nicht so viel daraus. Mir war immer die künstlerische Qualität wichtiger als die technische. Trotz vieler Hochs und Tiefs schaffte er es, als anerkannter Spezialist in der Branche bekannt zu werden. Heinz und Ulli bewohnten jetzt einen Bungalow nahe Johannesburg. Ulli hielt mit uns Kontakt, indem sie in gelegentlichen Briefen über ihre Reisen in die schönsten Naturreservate Südafrikas, Botsuanas und Simbabwes berichtete. Eines Tages flatterte der Vorschlag herein, die Beiden auf einer touristischen Reise drei Wochen durch Namibia zu begleiten. Anlass: Heinz wird heuer vierzig. Heinz‘ ganze Familie würde dabei sein, das heißt, seine über alles geliebte Mutter, seine beiden Schwestern, der Freund der einen Schwester, ein Freund aus Singapur und, wenn wir wollten, wir beide. Das war ein Angebot, das wir nicht ausschlagen konnten. Wir strapazierten unsere Finanzen, um die Flüge zu bezahlen und waren schon unterwegs.

3. August                 Der Hinflug geht über Rom. Wir haben einige Stunden bis zum Weiterflug und beschließen, einen Linienbus zu nehmen und Ostia Antica zu besuchen. Hinsichtlich des Zeitpunkts der Rückfahrt orientieren wir uns an der Fahrzeit nach Ostia. Das bricht uns fast das Genick, denn unser Bus steckt fest im Stau. Wir sind verzweifelt. Wenn wir den Abflug verpassen, ist nicht nur die Reise hin, sondern auch das schöne Geld. Wie alles Verfahrene in Italien sich im letzten Moment auflöst, so auch dieser Stau. Während wir durch die Abflughallen rennen wie die Verrückten, hören wir „Ultima chiamata…“, letzter Aufruf, und schaffen es mit Müh und Not, in den Zubringerbus zu hechten, als sich dessen Türen schon schließen.

4. August                 Nach Johannesburg mit einer Zwischenlandung in Nairobi. Die Zwischenlandung dient nur dem Auftanken. Niemand darf das Flugzeug verlassen. Es ist mitten in der Nacht. Aus den Fenstern sehen wir, wie Schwarze die notwendigen Tätigkeiten in spärlichem Scheinwerferlicht verrichten. Hinter ihnen bewaffnete Wachposten. Mir ist klar, dass das Betanken eines vollbesetzten Flugzeugs nicht ungefährlich ist. Bisher habe ich immer nur gehört, dass die Passagiere beim Tankvorgang nicht an Bord bleiben dürfen. Dann der Flug immer weiter nach Süden über afrikanisches Land. Sonnenaufgang, nicht allmählich wie bei Richard Strauss, nein, schlagartig wie bei Joseph Haydn. Der Blick hinunter auf die wechselnden Vegetationszonen. Das unrealistische Gefühl, einzelne Tiere ausmachen zu können.

Landung in Johannesburg, über Wolkenkratzer hinweg. Abgeflogen aus heißem Sommer, gelandet im Winter. Aber in was für einem! Es ist sonnig und lau. Wir nehmen den Bus in die Stadt, haben dort ein Zimmer gebucht. Unser Reisegrüppchen befindet sich schon in Windhoek. Sind schon vor ein paar Tagen mit Heinz‘ BMW und einem gemieteten Camper dorthin gereist. Nach dem Einchecken Spaziergang durch die modernen Straßen. Schwarz und Weiß kunterbunt gemischt, hier im Zentrum in eher ausgeglichenem Verhältnis, dazu Inder. Alles schaut gelassen und friedlich aus. In Wirklichkeit findet in dem Land ein Ringen um die Macht statt zwischen den Weißen, die sie haben, und der schwarzen Mehrheit, die sie will. Präsident Botha bietet dem inhaftierten Mandela die Freilassung zu bestimmten Bedingungen an. Botha versucht damit, den Druck der Freiheit Fordernden zu vermindern. Doch Mandela lehnt ab. Es fliegen Handgranaten, explodieren Minen, Sabotage, Attentate und Morde sind an der Tagesordnung. Von alldem ist hier im Zentrum Johannesburgs nichts zu spüren. Bei Annamaria macht sich ein Gerstenkorn bemerkbar. Müde vom langen Flug gehen wir zeitig zu Bett. Unser Anschlussflug nach Windhoek ist schon um sieben Uhr früh.

5. August                 Der Morgen ist wieder sonnig, aber überhaupt nicht lau. Ein eisiges Lüftchen begleitet uns zu Fuß übers Vorfeld hinüber zum wartenden Flugzeug. Zwei Stunden später fallen wir Heinz und Ulli in die Arme, Heinz‘ Mutter und Schwestern. Ich öffne die mitgebrachte Flasche Barack. Mit dem Freund der Schwester muss es während der Autofahrt hierher Zoff gegeben haben. Er zieht es vor, die Namibiareise nicht mitzumachen. Tom wird uns vorgestellt, ein schmaler, lustiger Asiate aus Singapur. Bei einem Drink stellt Heinz uns sein Reiseprogramm vor und gibt uns einige Sicherheitshinweise. Beispielsweise sollen wir keinesfalls anhalten, falls wir in der Wildnis auf ein stehendes Fahrzeug treffen, auch wenn es den Anschein einer Panne hat. Oft werden Überfälle so eingeleitet. Auch politisch ist noch viel Unruhe in Namibia. Zwar hat Südafrika seinen Generaladministrator abgezogen, der bis dahin in Namibia allein herrschte, und eine Südafrika genehme Übergangsregierung eingesetzt, doch müssen alle Gesetze von einem Vertreter Pretorias gegengezeichnet werden. Die namibische Unabhängigkeitsbewegung Swapo verhält sich zwar momentan ruhig, das hat in der Vergangenheit aber auch schon ganz anders ausgesehen. Derzeit liegen die Probleme eher zwischen Südafrika und Botsuana. Erst vor Kurzem hat Südafrika die Hauptstadt Botsuanas, Gaborone, mit Raketen, Granaten und Maschinengewehren beschossen, um Planungs- und Ausbildungsstätten des ANC (African National Congress) zu zerstören, der südafrikanischen Befreiungsbewegung. Heinz‘ Mutter und Brigitte, seine ältere Schwester werden in seinem feinen BMW mitfahren. Marion, die Jüngere, Annamaria und ich im Camper. Tom und ich werden uns als Fahrer abwechseln. Heinz fährt voran, wir folgen. Auch in Namibia herrscht Linksverkehr. Na ja, auf viel Gegenverkehr werden wir nicht treffen. Das heißt nicht, dass wir das Linksausweichen ganz vergessen dürfen. Unser Rechtslenker wird uns daran erinnern. Und schon kann’s losgehen.

6. August                 Erste Etappe, zum Etosha Nationalpark. Die Straße ist überwiegend schnurgerade, asphaltiert und staufrei, wenn man von unseren beiden Fahrzeugen hintereinander absieht und das nicht als zähflüssigen Kolonnenverkehr missinterpretierten möchte. Ich glaube, auf den 450 Kilometern begegnen wir nicht mehr als zwanzig anderen Fahrzeugen, hauptsächlich noch nahe Windhoek, meistens Land Rover und dergleichen. Rechts und links der Straße Steppe, Steppe, soweit man schauen kann braune Steppe. Braun allerdings in vielen unterschiedlichen Schattierungen von fast weiß über golden und rötlich bis schokoladen. In weiten Abständen hie und da vereinzelte Bäume, manche abgestorben. Hat Heinz‘ Mutter vielleicht japanische Wurzeln? Sie fotografiert so gerne. Obwohl Heinz sich weigert, die Strecke in Zwanzig-Meter-Etappen zu absolvieren, sind die Fotopausen doch ziemlich häufig. Es gibt so viele interessante Motive, sei es eine einsame gelbe Blüte im Sand oder eine Antilopenherde in einiger Entfernung. 

Brigitte, die ältere von Heinz‘ Schwestern, großgewachsen, vielleicht um besser mit den langen Hälsen ihrer Lauten und Theorben zurechtzukommen, sehr kultiviert, ist Konzertvirtuosin mit solchen Instrumenten und Gitarre. Sie hat 1963 im Konzerthaus in Wien debütiert und ist seither als Solistin und in Ensembles wie auch als Begleiterin in der ganzen Welt unterwegs. Für sie ist diese Kontinentalreise eine von vielen, für Annamaria und mich hingegen die erste (und einzige). Ich erinnere mich an eines der frühen Konzerte mit Brigitte im Brahms-Saal. Heinz hatte mir die Karte für einen ganz hervorragenden Platz in der ersten Reihe geschenkt. Das hätte ihre Karriere fast zum raschen vorzeitigen Ende gebracht. Ich war natürlich ganz im Bann der schönen Barockmusik und der schönen Künstlerin, die Heinz‘ Schwester war. Später erzählte mir Brigitte, ich habe sie die ganze Zeit derart angestarrt, dass sie fast aus dem Konzept gekommen wäre. Diese Brigitte sitzt jetzt in dem BMW dort vorne, um mit uns durch Namibia zu reisen.

Ihre jüngere Schwester, Marion, fährt meistens mit uns im Camper. Marion ist Dolmetscherin für Englisch, Französisch und ich glaube noch ein paar Sprachen. Für die Unido in Wien macht sie das simultan. Sie ist kleiner als Brigitte und etwas füllig. Sie hat einen Erdölterrier. Ich habe mich lange gefragt, was für ein Hund das sein mag, bis ich begriff, es ist ein Airedale. Wenn es heiß wird im Van, macht ihr das zu schaffen. Während der Fahrt liest sie meistens. Krimis in Englisch. Sie ist sehr selbstbewusst. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie ihren Bekannten, sollte er sich danebenbenommen haben, so behandelt hat, dass er die Flucht ergriff.

Tom aus Singapur ist immer gut gelaunt. Er weiß, wo’s langgeht. Konfuzius sagt es ihm. Und in seinem hellen Sopran sagt Tom es uns. „Confucius say, two beer is better than one beer, hahaha.“ Das geht so den ganzen Tag. Was immer er macht, Confucius rechtfertigt alles. Verkehrsschilder kündigen eine Eisenbahnkreuzung an. Die Straße ist immer schnurgerade. Ausgerechnet vor dieser Kreuzung macht sie ein paar Kurven, weil die Bahntrasse etwas tiefer in einem Graben liegt. Deshalb ist die Bahnstrecke auch nicht einzusehen. Aus demselben Grund ist auch Heinz‘ BMW unseren Blicken entschwunden. Der ist schon die Kurven jenseits des Grabens hinaufgesaust. Ich täusche mich in der Erwartung, dass Tom jetzt von seinen Sechzig runtergeht, um anzuhalten, sollte ein Zug kommen. Irrtum! Tom hält das Tempo bei. „Confucius say, no train, hahaha.“ Gottseidank hat Confucius recht. Beim Rumpeln über die Schienen habe ich das Gefühl, jetzt ist die Hinterachse weg. Das dürfte Confucius nicht gesagt haben. Toms Kommentar: „Bad road, indeed.“

Wie man sieht, bin ich mit dem Fahren sehr beschäftigt, auch wenn Tom am Steuer ist. Annamaria lässt sich auf der Sitzbank in Längsrichtung durchschütteln. Wenn die Straße auch asphaltiert ist, glatt ist sie nicht. Bei achtzig rumpelt es ganz gehörig in dem Van. Mein Pazzerl hat den Vorhang gegen die Sonne gezogen und presst ein feuchtes Taschentuch auf ihr Gerstenkorn. Das ist inzwischen unangenehm groß geworden und schmerzt. Wir hätten es in Windhoek behandeln lassen sollen, aber das hätte den ganzen Reiseplan durcheinandergebracht. Annamaria meinte, so schlimm würde es nicht werden. Wurde es aber zunehmend. Medizinische Einrichtungen würden sich in den kommenden Tagen keine anbieten. Auch nicht in Okaukuejo, das wir am späten Nachmittag erreichen. Ist auch besser so, denn außerhalb größerer Wohngebiete herrscht in Namibia bei Dunkelheit Fahrverbot.

Okaukuejo liegt am südlichen Rand der Etosha-Pfanne. Das ist ein ausgetrockneter Seeboden, hundertzwanzig Kilometer lang und fünfzig breit, auf tausend Meter Seehöhe. Die riesige Pfanne schimmert wegen des Kalk- und Salzgehalts des Bodens weiß. Die ganze Gegend ist Nationalpark. Ulli hat für die ganze Gruppe Zimmer im Camp reserviert, auch für uns Camperbesatzung. Das Camp steht unmittelbar an einem Wasserloch, eines der wenigen weit und breit, daher ist es für die Tiere im Umkreis ein unvermeidlicher Anziehungspunkt. Früher oder später kommt hier jedes Tier vorbei. Man setzt sich einfach auf die einladende Terrasse des Restaurants und schaut sich die verschiedenen Gäste an. Elefanten, Giraffen, Antilopen, Hyänen, Strauße, Zebras kommen trinken. Nashörner und Großkatzen haben gerade keinen Durst. In der Familie Zaczek sind sie alle zoologische Enthusiasten. Heinz und Ulli machen jedes Jahr weite Reisen durchs südliche Afrika, die hauptsächlich dem Tiere beobachten gewidmet sind. Dazu gibt es hier reichlich Gelegenheit, sei es in Südafrika, Botswana, Simbabwe, Sambia oder Mozambique. Heuer eben Namibia. Aber auch die Fotoapparate der weiteren drei Damen kommen nicht zur Ruhe bis die Verschlüsse heiß laufen. Annamaria und ich bestaunen die Tiere auch, aber uns fesselt mehr das Gesamtbild des fremden Landes. Das Camp bietet eine Anzahl gemauerte Feuerstellen an, die zum Grillen eingerichtet und mit reichlich Brennholz ausgestattet sind. Braai nennt man hier das Grillen. Im Zuge unserer Reise werden wir abends noch oft Braai machen. Heute üben wir schon einmal.

7. August                 Heute machen wir erstmals Bekanntschaft mit dem ab jetzt vorherrschenden Straßentyp, den Sandpisten. Der Toyota schwimmt im Sand wie ein Motorboot. Ich frage mich, ob dieses Vehikel mit den Hinterrädern lenkt. Heinz‘ BMW hält die Spur sicherlich besser, aber der Wagen tut mir leid. Dem Heinz auch. Der Sand macht vor keiner Ritze halt und ich fürchte er wird sie auch nie wieder verlassen. Der BMW ist Heinz‘ Ein und Alles. Ans Steuer darf nur Ulli. Und ich, weil er seit Töltötoll weiß, wie ich fahre. Es ist eine hohe Ehre für mich. Dass Heinz jetzt seinem geliebten besten Stück den Sand antut, kann nur seiner großen Zuneigung zu uns allen gedankt sein. In den Sandpisten gibt es Spurrillen. Wie im winterlichen Schnee muss man aufpassen, nicht in zwei parallele Rillen zu geraten, die zu weit auseinanderliegen. Sonst kann es leicht sein, dass sich die Landschaft rundum zu drehen beginnt wie ein Ringelspiel. Querrillen gibt es auch. Sie machen die Piste zur Waschrumpel. Die Abstände der Wellen sind unterschiedlich. Für jeden Typus gibt es eine ganz bestimmte Geschwindigkeit, bei der das unerträgliche Rumpeln in ein sattes Brummen mit weniger Erschütterung übergeht. Es bedarf einigen Gefühls, das Tempo mit dem Gaspedal entsprechend zu dosieren. Nicht nur den BMW erobert der Sand, stärker noch den Van. Jetzt hält auch Marion ein Taschentuch vors Gesicht. Zwischen unseren Zähnen knirscht unsichtbares mikroskopisches Geröll. Dazu kommt die Hitze in dem schlecht zu durchlüftenden Van.

 Wir rumpeln am südlichen Rand der Pfanne entlang über Halali zum Fort Namutoni. Das liegt an der äußerst südöstlichen Ecke. Ende des 19. Jahrhunderts von der deutschen Kolonialverwaltung errichtet beherbergte es Polizei- und Militäreinheiten. 1904 wurden die Truppen fast vollständig abgezogen. Sie sollten den Kampf gegen die Hereros weiter unten im Süden unterstützen. Nur sieben Mann blieben zurück. Unerwartet attackierten die Ovambo das Fort.

Den Herren Grossmann, Lassmann, Lemke, Lier, Basendowski, Becker und Hartmann gelang es, den Angriff tagsüber abzuwehren und nachts zu einem anderen, hundert Kilometer entfernten Lager zu flüchten. Tags darauf zerstörten die Ovambo das Fort, doch die Deutschen eroberten es zurück und bauten es wieder auf. Mit der Errichtung des Nationalparks widmete man es der Beherbergung der Touristen wie beispielsweise der Zaczeks und der Richters und Tom Tabascos. Tabasco nenne ich Tom, weil Confucius say, „Essen ohne Lots of Tabasco schmeckt gar nicht.“ und Tom hört auf Konfuzius.

8. August  Noch eine Nacht an der Pfanne. Halali liegt ziemlich genau in der Mitte zwischen Okaukuejo und Namutoni. An der Wasserstelle hier soll man ziemlich sicher Elefanten antreffen. Stimmt ja auch.

Der August hier entspricht meteorologisch etwa unserem Februar. Wohl sind die Nächte bitter kalt, aber tagsüber wird es heiß wie bei uns im Hochsommer. Allerdings sind die Tage kurz. Die Sonne geht auf zur rechten Hand, also ist der Osten rechts, und sie zieht ihre Bahn von rechts nach links! Und wo sie mittags im Zenit steht, dort ist Nord! Frappierend!


Abends Braai, danach Schach mit Heinz. Grappa ist leider aus. Die Figuren auf einer Blechdose. Yep!

9. August                 Etosha ist der nördlichste Bereich unserer Reise. Von Halali aus geht es wieder in Richtung Süd. Wir erreichen Bambatsi. Die Guest Farm liegt auf einer Geländestufe, von der aus man einen weiten Blick über die Steppe genießt. Auf der Terrasse kommen wir ins Gespräch mit einem weiteren Gast. Auf Deutsch stellt er sich vor als der Bäcker von Swakopmund. Die Kleinstadt an der Küste liegt auf unserer künftigen Reiseroute. Er ist hier mit seiner Frau auf Besuch. Sie sind verwandt mit den Betreibern der Lodge. Der Enddreißiger erzählt über das Problem, das ihn und seine Frau am meisten beschäftigt. Ihr Sohn, achtzehn, ist einberufen in die SWATF. Für zwei Jahre. Die SWATF ist die namibische Armee, in der auf südafrikanische Initiative die frühere südwestafrikanische SADF aufging. Ob die SWATF überhaupt Einberufungen befehlen kann, ist strittig. Der Prozess eines Verweigerers ist im Laufen und wird voraussichtlich noch Jahre dauern. Wehrdienstverweigerungen sind keine Einzelfälle. Früher hat man sie stillschweigend geduldet. Seit mit Angola und der SWAPO ein heftiger Brandherd entstanden ist, nimmt man den Militärdienst ernst. Auf Wehrdienstverweigerung stehen bis zu sechs Jahre Haft. Ob Bäcker und Bäckerin ihren Sohn wiedersehen werden, ist nicht garantiert. Es sind schon acht junge Männer, die in der letzten Zeit vom Wehrdienst nicht nach Swakopmund heimgekehrt sind. Niemand kann wissen, wie die Lage sich entwickeln wird. Die SWAPO ist marxistisch, die Südafrikaner Nationalisten mit Apartheid. Die Alternativen sind einrücken, verweigern, auswandern oder untertauchen. Keine berauschenden Möglichkeiten für einen Achtzehnjährigen, noch weniger für seine Eltern. In mir regt sich der Verdacht, der Swakopmunder Bäcker könne hier sein, um Möglichkeiten für das Untertauchen seines Sohnes bei den Verwandten in der Steppe einzufädeln.

Das Braai zieht sich weit in die Nacht hinein. Von dem Geländerücken schauen wir in die Nacht. Absolutes Schwarz. Nirgends auch nur das kleinste Lichtpünktchen zu sehen. Dafür sind die Sterne am Nachthimmel näher als irgendwo je zuvor. Sie sind wirklich näher, denn abgesehen von der Küste bewegen wir uns in Namibia kaum unterhalb 1200 Meter Seehöhe. Das Kreuz des Südens habe ich mir als eindrucksvolle Figur am Firmament vorgestellt. Es sind aber nur ein paar helle Sterne, die eng beisammen liegen. Fröstelnd schlüpfen wir unter die Decken auf unseren Feldbetten.

10. August

Von Bambatsi in südlicher Richtung. Die Steppe verwandelt sich immer mehr in Wüste. Die Vegetation wird spärlicher, Sträucher und Bäume seltener. Landstufen erheben sich lang und steil aus der Ebene. Von der Erosion ausgesparte Überbleibsel der einstigen Erdoberfläche ragen empor, man glaubt sich im Monument Valley.


Hinter einer unübersichtlichen Kuppe überrascht uns Heinz‘ BMW. Er steht. Tom hat Mühe nicht aufzufahren. Drüben auf der anderen Pistenseite steht ein Range Rover. Um diesen herum einige Schwarze in Jeans und bunten T-Shirts. Gefährlich schauen sie nicht aus, aber mir fällt sofort Heinz‘ Warnung ein, in solchen Fällen nicht anzuhalten. Jetzt palavert Heinz mit den Schwarzen. Anscheinend ist ihnen der Treibstoff ausgegangen. Tankstellen sind in dieser Gegend dünn gesät, nämlich nur in größeren Ansiedlungen vorhanden. Man muss also schon sorgfältig ausrechnen, ob man die paar hundert Kilometer bis zur nächsten Tankmöglichkeit schafft. Oder ein paar volle Kanister mitführen. Die Schwarzen haben keinen. Wir auch nicht. Eigentlich ziemlich unvorsichtig, kommt mir vor. Fazit: Derselbe Mann, der uns in Windhoek empfohlen hat, in ähnlichen Situationen nicht anzuhalten, kniet jetzt vor dem BMW. In dessen Tanköffnung hat er einen Kunststoffschlauch gesteckt. an dem er saugt. Nach einigen Versuchen und angeekeltem Spucken rinnt Diesel aus dem Schlauch in eine Zwei-Liter-Coca Cola-Flasche. Sobald sie voll ist, leert sie der Schwarze in seinen Range Rover. Das wiederholt sich jetzt etliche Male. Ich frage mich, wieso Heinz nicht den Schwarzen saugen lässt. Aber das ist Heinz: Er kennt die Gefahr, doch wenn’s darauf ankommt, ist ihm das wurscht. Ob Weißer oder Schwarzer oder Gelber oder Roter. Er kniet im Sand und saugt. Wir bleiben noch, bis klar ist, dass der Rover auch anspringt. Es ist nicht selbstverständlich bei einem Diesel. Luft könnte in die Kraftstoffleitung gelangt sein. Der Motor des Geländewagens röhrt auf. Alles bestens. Die Schwarzen schauen happy aus, als sie in ihrer eigenen Staubwolke verschwinden. Heinz bläst seinen Schlauch aus und rollt ihn ein. Da die Schwarzen weg sind, trauen sich seine Mutter und Marion aus dem BMW. Die ganze Zeit haben sie nicht so sehr auf die Schwarzen geschaut wie auf die Pflanzenbüschel, die zuhauf in der Gegend umherstehen. Mit Fotoapparaten bewaffnet stürzen sie ins Gelände. Sie haben erkannt, dass die unscheinbaren Büsche Welwitschien sind, Wüstenpflanzen, die vom österreichischen Botaniker Friedrich Welwitsch entdeckt worden waren. Sie können hunderte Jahre alt werden. Tom: „Confucius say, eatable, with lots of Tabasco.“



Diese Nacht verbringen wir in Khorixas zusammen mit zwei anderen Reisegruppen. Bei ein paar späten Drinks tauschen wir Reiseerfahrungen aus. Ein junges Paar aus Braunschweig ist dabei. Sie sind mit einem blauen Cortina unterwegs. Das Gerede interessiert mich wenig. Ich schaue in ein unglaubliches Sternenzelt. Meine Gedanken sind beherrscht von den wundervollen Eindrücken der letzten Tage.

11. August                Wenn unsere Edeltruppe morgens abfahrbereit ist, sind die anderen Gruppen längst unterwegs. Von Khorixas südlich am Verbrante Berg vorbei, dann südwestlich durch die Wüste bis zur Atlantikküste. Swakopmund.

Wie immer ist nach kalter Nacht die Hitze drückend. Der Himmel stahlblau ohne den geringsten Anflug eines Wölkchens. Die Luft oszilliert. Am Horizont erscheinen Wasserflächen und Wälder. Luftspiegelungen. Zwanzig Kilometer vor der Küste entdecken wir am Horizont vor uns einen dunklen Streifen. Was mag das sein? Je weiter wir uns nähern, desto markanter wird der Streifen und ist jetzt schon ein breites Band. Undefinierbar. Wir kommen noch näher und das Band wird zur Wand. Eine Wand, auf die wir, der Piste folgend, unaufhaltsam zusteuern. Schon baut die Wand sich auf zum unüberwindlichen Hindernis, vom Wüstensand bis zum Zenit. Wir fragen uns, was das werden soll, da sind wir schon gegen die dunkelgraue Wand gefahren, in sie hineingerast. Ich bin überrascht, dass uns das kolossale Hindernis nicht zerschmettert, als wir dagegen stoßen. Blindheit umfängt uns. Die Piste ist kaum noch zu erkennen. Aus ist’s mit dem angenehmen, erschütterungsschonenden Tempo. Tom Tabasco muss auf zwanzig Km/h reduzieren. Der BMW vor uns verschwunden. Wir rumpeln in einem undurchdringlichen Dunkelgrau dahin, langsam, aber mit gefühlten hundertzwanzig. Confucius say, eighty or twenty, no difference. Nach und nach wird uns klar, wir sind in einer Nebelwand gefangen. Unserem Zeitgefühl nach fehlen uns wenige Kilometer bis zur Küste, nach Swakopmund. Und wir erkennen langsam, wir befinden uns in dem Nebelstreifen, der von der Küste gute zehn Kilometer ins Wüstenland reicht. Wie ein unerwarteter Blitz rasen die Scheinwerferlichter eines entgegengekommenen Fahrzeugs an uns vorbei. Sicheres Kennzeichen, dass wir einer menschlichen Siedlung näherkommen. Gleich darauf passieren wir ein unscheinbares Schild mit der Aufschrift ‘Swakopmund’. Unser Hotel dort zu finden ist kein Problem, nicht einmal im dichten Nebel. Die rot-weiß-rote Basis des Leuchtturms ist unser Wegweiser, seine Spitze verschluckt der Nebel. Es sieht aus wie Venedig im Dezember. Die Palmen wirken fehl am Platz. Der Boden ist sehr feucht. Es kann kaum mehr als zehn Grad haben. Wir frieren.

Zum Abendessen gibt’s Kingklip. Ein aalartiger, überaus wohlschmeckender Speisefisch, der hauptsächlich an Namibias Atlantikküste vorkommt.

2. August               Heute Abend werden wir ein zweites Mal in Swakopmund nächtigen. Der Nebel ist verschwunden. Annamarias Gerstenkorn hat sich von allein geöffnet. Die Qual ist vorüber. Vielleicht hat die feuchte Nebelluft geholfen? Ab jetzt kommen nur noch echte Sandkörner ins Auge. Die Sonne wärmt schon wieder kräftig. Tagsüber wollen wir einen Ausflug zu einigen Sehenswürdigkeiten im Umland machen. Zuvor müssen wir das tun, was hierzulande unerlässlich ist, wenn man sich in einer größeren Ansiedlung befindet: Tanken. Die Tankstelle besteht aus einer Bude, vor der sich im Freien zwei altertümliche Pumpen befinden. Ein langer, dünner Schwarzer kommt aus der Bude, als wir vorfahren. Ich gehe das Tankschloss aufsperren, sage dabei dem Schwarzen „Good morning“. Seine Antwort macht mich platt: „Tach, ick soll det Ding wohl vollmachen?“ Gutes Deutsch hätte mich weniger überrascht. Aber dieser urige Berliner Dialekt?

Der Swakop ist ein zumeist trockener Flusslauf von 460 Kilometer Länge, der die Namib von Ost nach West durchquert und bei Swakopmund in den Atlantik mündet. Etwa 35 Kilometer flussaufwärts, mitten in der Wüste, befindet sich eine Oase, Goanikontes genannt. Das ist unser erstes Ziel.



Gleich nach dem Ortsende von Swakopmund steht dort, wo sie vor langer Zeit wegen Wassermangels stehengeblieben ist, eine Dampfmaschine mit mannshohen eisernen Antriebsrädern, also ein Dampftraktor, mit dem man früher angehängte Güterkarren durch die Wüste gezogen hat.  Confucius say, no Toyota. So primitive!




Um zur Oase Goanikontes zu gelangen, muss man sich durch ein Gebirge quälen, das von dunkelgrauem bis schwarzem Vulkangestein geprägt ist. Dieses Schicksal teilen wir mit dem Swakop, nur dass wir bedeutend schneller sind als er, der dazu ein paar Millionen Jahre gebraucht hat. Das Gebirge ist schroff und auf den ersten Blick völlig frei jeglicher Flora. Das täuscht, denn vielfältiges Leben gibt es auch hier. Das dazu nötige Wasser filtern Flechten aus dem häufigen Küstennebel. Die umherliegenden Steine weisen feine Rillen auf wie die Hautfalten eines alten Elefanten. Wind und Sand haben sie mit ihrem unablässigen Spiel ziseliert. Unwirtlich wirkt diese Gegend, so sehr, dass man sie auch ‘Mondlandschaft’ nennt.


Wir haben in der Nähe der Oase kein anderes Fahrzeug gesehen. Umso überraschter sind wir, als hinter den Bäumen eine Weiße hervortritt. Die kennen wir ja! Es ist die Braunschweigerin aus Khorixa. Sie heißt Brigitte und ist recht froh, uns hier anzutreffen. Sie hat mit ihrem Freund gestritten und der hat sie hier in der Oase einfach sitzen lassen. Wie man das vielleicht in Braunschweig im Theaterpark machen würde. Natürlich nehmen wir sie mit nach Swakopmund. Dafür verkürzt sie uns die staubige Fahrt mit ihrem melancholischen Mundharmonikaspiel. Ich hoffe, die Beiden werden sich versöhnen. Den blauen Cortina habe ich jedenfalls gesehen in Swakopmund. Confucius say, one day rain, next day sun. Just wait.


13. August               Es ist kühler geworden. Der Himmel milchig blau. Man verträgt lange Hose und Pulli. Hinunter zur Walvisbaai. Gleich danach reichen die Dünen bis an den Ozean. Der ist heute ruhig. Die Wellen sind nicht höher als einen Meter. Übermütig wie die Hunde tollen wir durch den Sand. Die dreißig Meter hinauf auf den Kamm der Düne, wieder hinunter zum Ufer, durch den Sand pflügend, stolpernd, rollend. Confucius say, water or sand, wave is wave. Am Strand das Aas einer Pelzrobbe.

Weiter zuerst östlich über den Kuiseb-Pass, dann wieder südlich auf die Sandwüste zu. Fürs Nachtquartier müssen wir heute selber sorgen. Es gibt in Sesriem nichts Feudaleres als einen Campingplatz. Wir stellen das Zelt neben dem Camper auf. Der Toyota gehört diese Nacht exklusiv den Damen. Das Zelt den Männern. In der hereinbrechenden Dämmerung das Braai. Dann nachts, lucevan le stelle…

14. August               Die Nacht im Zigeunerlager ist nicht unangenehm gewesen. Eine gewisse Menge Whisky hat dazu beigetragen. Confucius say, two Whisky is better than one Whisky, even without Tabasco. Dafür fällt das Frühstück dürftig aus. Nur Bier. Eines! Entgegen Konfuzius‘ Weisheit, nur ein Bier.


Über die schrecklichste Rumpelpiste der ganzen Reise nochmals zu den Dünen, diesmal bei Sossusvlei. Gemsbok und Strauße gesichtet. Landschaftlich ist dies vielleicht die schönste Etappe.



Dieselbe Rumpelpiste retour nach Sesriem. Heinz‘ BMW beginnt Wasser zu verlieren. 






Sofort kommen furchtbare Phantasien in mir auf.

Kein Wunder angesichts solcher Ausblicke:

Am endlosen Ende solcher Pisten erreichen wir Maltahöhe. Das hat mit der von uns vor Kurzem besuchten Mittelmeerinsel gar nichts zu tun. Auch nicht mit dem bekannten Tal in Kärnten mit dem gigantischen Staudamm. Wahrscheinlich müsste man hier auf der Maltahöhe hunderttausend Jahre Wasser sammeln, um auf die Menge des Stausees der Talsperre zu kommen. Der Kommandeur einer deutschen Polizeistation benannte den Ort mit dem Vornamen seiner Frau. Ein nettes Landhotel mit feinem Essen bildet den luxuriösen Kontrast zum Zigeunerlager der letzten Nacht. Meine Kleptomanie lässt mich nicht vom Essen aufstehen, ohne ein Souvenir mitgehen zu lassen: einen der Untersetzer mit Wappen und Aufschrift ‘Maltahöhe’. Zuhause werden alle ans Maltatal denken. An Namibia bestimmt keiner. Confucius say, wer nichts stiehlt, muss alles zahlen. 


Und wen trifft man an der Bar des kleinen Landhotels? Sepp aus Kiefersfelden. In seiner Begleitung Brigitte aus Braunschweig. Blauen Cortina sehe ich keinen am Parkplatz.

15. August               Heute haben wir eine lange Etappe vor uns. Nach Lüderitz sind es 370 Kilometer. Aber: Es gibt wieder Asphaltstraße. Stürmisch ist es geworden. Der Sand weht über die Straße wie im Jänner der Schnee zwischen Götzendorf und Ebergassing. 

16. August                Der Sturm hat noch zugelegt. Wir besuchen eine aufgelassene Ansiedlung nahe Lüderitz, Kolmanskop. Anfang des 20. Jahrhunderts fand man hier zufällig Diamanten, was natürlich einen Run von Glücksrittern auslöste, vor allem von Deutschen. Das Land stand ja unter deutscher Protektion. Heute ist Kolmanskop ein Geisterdorf zwischen wandernden Sanddünen. Die niedrigeren Baracken sind fast schon verschluckt vom Sand, aber sie liegen so schon lange Zeit, was darauf schließen lässt, dass es den launenhaften Wüstenwinden gefällt, das schon Zugedeckte auch wieder freizugeben. Wie das funktioniert, erleben wir anschaulich, denn der Sturm bläst uns das Baumaterial der Dünen ins Gesicht, als solle es uns schmirgeln. Überraschend die Architektur mancher der Häuser: gemauerte Steinbauten, teils mehrstöckig, die seit 1900 genauso in jeder deutschen Kleinstadt stehen könnten. Die Mine wurde in den Dreißigerjahren aufgelassen. Die meisten Siedler sind weitergezogen in den Süden, wo neue Diamantenfelder lockten. Sie werden nicht ungern gegangen sein, denn Kolmanskop bot absolut nichts von dem, was Menschen zum Siedeln brauchen: keine Erde, um etwas anzubauen, vor allem aber kein Wasser. Alles musste von weither durch die Wüste herangeschafft werden. Trotzdem entstanden ein Elektrizitätswerk, Krankenhaus, Schule, ein Theatersaal, ein Turnsaal und natürlich eine Kegelbahn. Solange Diamantenfunde manche Einwohner reich gemacht haben, wurden luxuriöse Gegenstände herangeschafft, aber bei der Abreise reichten die Mittel wohl nur noch, das mitzunehmen was ins Handgepäck passte. Die Häuser und vieles in ihnen wurden der Wüste überlassen.

Der letzte Einwohner hat Kolmanskop vor fünfundzwanzig Jahren verlassen. Trotzdem sind von den Einrichtungsgegenständen noch einige vorhanden. Im Turnsaal könnte man noch turnen an den Wandstangen und über einen Sprungbock. Die Kegelbahn ist noch voll funktionsfähig. Vor einem Haus liegt eine leere (!) Emailbadewanne im Sand. Eines wird augenfällig in Kolmanskop: was die Deutschen außer den Gegenständen noch mitgebracht hatten: ihre deutsche Lebensart. Das kann man ganz natürlich finden. Migranten nehmen immer ihre Lebensart mit. Man sollte sich daher nicht so sehr wundern, dass auch die Migranten, die heute zu uns kommen, ihre Lebensart mit im Gepäck haben.

Am Nachmittag machen wir von Lüderitz aus einen Segelturn. Der Skipper hat alle Hände voll zu tun, um (allein) die Zwölf-Meter-Jacht durch die steife Brise zu manövrieren. Angesichts des starken Winds ist das Meer ziemlich ruhig. Das Schiff schießt durch das türkise Wasser, als hätte es dreihundert PS. Hoch über uns ziehen zwei Kormorane. Hier auf Delfine zu treffen ist wohl kein großer Zufall und dennoch spannend. Am Abend bei der Seezunge den Gamperl Franz aus Ternitz zu treffen hingegen schon. Also Zufall. Spannend nicht unbedingt. 



17. August  -  Unsere Reiserichtung dreht auf Ost. Es geht nach Keetmanshoop. Kurz davor amüsieren wir uns im Kokerboomwald. Der Boden ist grob felsig, das liebt der Kokerboom. Abgestorbene Stämme liegen zahlreich umher. Sie kommen mir gerade recht, um meine gigantische Kraft zu demonstrieren. (Unter uns gesagt, die sind unglaublich leicht! Wir haben es nicht abgewogen, aber ich bezweifle, dass dieses Stück mehr als 15 Kilo wiegt.) 

18. August               Heute erreicht unsere Expedition den Visrivier (Fish River). Mit 650 Kilometer ist er der längste Fluss Namibias. Auf eine Länge von 160 Kilometer bildet er den gewaltigsten Canyon Afrikas. Bis zu 550 Meter tief hat der Fluss sich in den Boden gegraben. Der hält seit einer halben Milliarde Jahre ordentlich dagegen und zwingt den Wasserlauf, Mäander zu bilden, die ihm Ähnlichkeit mit dem Grand Canyon verleihen.

An einer Aussichtsstelle, vermutlich dem beliebtesten Fotomotiv des Canyons, machen wir Rast. Wir sind zurzeit die einzigen Besucher. Die Weite, insbesondere aber die Stille lassen uns den Atem anhalten. Niemand redet. Schweigend lassen wir die Blicke schweifen. Etwas Außergewöhnliches liegt hier in der Luft. Etwas Heiliges.

Nach zwanzig Minuten ist es vorbei mit der Stille. Eine ganze Schar schwarzer amselähnlicher Vögel schwirrt ein, wohl in der berechtigten Hoffnung etwas zum Fressen zu erobern. Sie machen dabei ziemlichen Radau und so lösen sich auch uns wieder die Zungen.

Mit Respektabstand folgen wir den Pisten entlang dem Visrivier weiter nach Süden durch den Gondwana Nature Park nach Ai Ais. Da haben wir die Grenze zu Südafrika schon fast erreicht. Der Ai Ais-Park umgibt heiße Schwefelquellen. Die werden Spa-touristisch genutzt. Jenseits der Grenze schließt ein weiterer Natur-Park an. Seit meiner Anwesenheit dort wird er Richtersveld-Park genannt. Glaube ich. Confucius say, wer nichts weiß, muss alles glauben.








Das Ai Ais-Ressort am Fish River ähnelt einer sehr weitläufigen Oase. Wir beziehen ein Appartement, bestehend aus mehreren Zimmern, Küche und Bad. Annamaria kocht. Was wohl? Na klar, Spaghetti. Tom jammert. Tabasco ist fast aus.

19. August                Ab Ai Ais ist wieder Ost unsere bevorzugte Reiserichtung. Zu Mittag erreichen wir bei Onseepkans den Oranje und überqueren ihn. Drüben ist Südafrika. Doedoe, Namibia! Unser Ziel sind die Augrabies Valle bei Kakamas. Wenn man Valle nicht mit V spricht wie das italienische „valle“, sondern mit F, etwa wie Villach, wird klar, dass hier etwas runterfällt. Es ist das Wasser des Oranje, das hier 56 Meter in die Tiefe stürzt. Die Schlucht, die der Fluss gegraben hat, ist bis zu 200 Meter tief und 18 Kilometer lang.

21. August               Nach den Strapazen des Reisetages bleiben wir heute in Kimberley, der seinerzeitigen Hochburg des südafrikanischen Diamantabbaus. Vom benachbarten Museum aus werfen wir einen Blick auf das Big Hole. Es ist wirklich big, etwa fünfhundert Meter im Durchmesser. Die Diamanten wurden im Tagbau geschürft. Man konnte sich einen Claim kaufen wie im Wilden Westen. Zuletzt war das Loch tausend Meter tief, jetzt ist es mit Wasser gefüllt, die Wasseroberfläche liegt jetzt 175 Meter unter dem oberen Rand.

22. August               Und noch ein 500-Kilometer-Tag: über Bloemfontein nach Johannesburg. In Bloemfontein merken wir, dass unser Camper rechts hinten einen Platten hat. Da wir in der lebhaften Straße den Radwechsel nicht vornehmen können, ohne den Verkehr zu blockieren, entschließen wir uns, in eine zufällig vorhandene Tiefgarage einzufahren. Tom Tabasco kurvt zügig durch die Einfahrt. Rummms! Die Höhe war nicht ausreichend. Tom fährt weiter als wäre nichts geschehen. Zu niedrig war nur der Einfahrtsbereich. In der Halle haben wir noch fünfzehn Zentimeter bis zur Decke. Das Dach des Campers liegt aber jetzt auch gut zehn Zentimeter tiefer. Das werden wir erst später feststellen. Denn jetzt sehen wir rein gar nichts mehr. Wasser strömt über die Windschutzscheibe wie der Oranje über die Augrabies. Eine Alarmsirene hört nicht auf zu heulen. Tom erhält von Confucius die Anweisung, den Scheibenwischer einzuschalten. Die plötzlich in wilder Panik davonrennenden Menschen können wir trotzdem nicht sehen. Zuviel Wasser. Unser Rendezvous mit der Architektur hat die Sprinkleranlage ausgelöst. Aussteigen erscheint uns wenig sinnvoll. Abgesehen von diesem lokalen Ausreißer ist das Klima in Südafrika warm und trocken, also haben wir auch keinen Schirm mit. Als gelernter Schadenreferent rechne ich schon einmal grob aus, wie tief die Versicherung in die Tasche greifen wird müssen. Der Schaden am Portal, dazu die Unmengen hierzulande wertvolles Wasser. Hätte ich den Schaden zu regulieren, ich würde der Garage die Ersparnis für einmal Auswaschen entgegenrechnen. Verdienstentgang, weil eine ganze Weile niemand einfahren konnte. Die höheren Parkkosten, weil so Mancher eine Weile nicht ausfahren konnte, wären indirekter Vermögensschaden, müssten bei uns nicht ersetzt werden, aber in Bloemfontein, wer weiß? Hoffentlich ertrinkt keiner in dem See da draußen. Das wäre zweifellos zu decken. Und die Kleidung und Accessoires, wenn sie von dem Wasser beschädigt werden, auch. Gottseidank rennen die heute noch nicht mit Handys herum. Aber wenn da ein paar schöne Kabrios parken? Ob da die Versicherungssumme reichen wird? Wenn nicht, ist der Eigentümer des Campers dran. Der Regress gegen uns ist garantiert. Hallo, Mitverschulden! Ist eine Fahrlässigkeit, das Dach offen zu lassen, selbst in der Garage. Und überhaupt, war ja nicht unsere Schuld, dass der Reifenschaden aufgetreten ist. Das war ein glattes technisches Versagen des Campers. Ohne den Platten wäre Tom nie und nimmer in die Garage gefahren. Gut, dass das in Südafrika passiert ist. Fahrten ins Ausland müssen deklariert werden. Ich bin mir nicht sicher, ob Heinz das gemacht hat. Andererseits, in ganz Namibia, abgesehen von Windhoek habe ich keine einzige Tiefgarage gesehen. Zuviel Platz überall. Den Schaden am Camper wird der Vermieter uns üppig verrechnen. Ich gelange zur Überzeugung, das soll Tom regeln. Zusammen mit Confucius wird er das schon hinkriegen.

Das alles überlege ich in den zehn Minuten, die der Scheibenwischer wischt. Jetzt plötzlich hört es auf zu schütten. Ein Weißer nähert sich uns. Ich hätte damit gerechnet, dass eine umständliche Prozedur losgehen würde. Nichts dergleichen. Er notiert das Kennzeichen auf einem Stück Papier. Das war’s. Auf dem nassen Boden beginnen wir das Rad zu wechseln. Es ist nicht ganz einfach, weil wir den Wagen nicht so sehr anheben können wie nötig. Die Garagendecke verhindert es. „Tom, fahr noch einmal herein“, schlage ich vor, „wir brauchen noch ein paar Zentimeter weniger.“

Wenigstens haben wir Gesprächsstoff für die restlichen vierhundert Kilometer nach Johannesburg. Auch wenn wir versuchen, das Thema Bloemfontein Valle zu vermeiden, schon aus Rücksichtnahme auf den verdatterten Tom, es kommt doch immer wieder aufs Tapet, während ich den nun etwas windschlüpfrigeren weil niedrigeren Camper Johannesburg entgegentreibe. Die anderen Themen betreffen die Höhepunkte der zu Ende gehenden Reise, die unvergesslichen Eindrücke in der Steppe, in der Wüste, in der Mondlandschaft. Wir haben gemeinsam das Fort Namutoni gegen die Ovambo verteidigt, ich allein mich gegen Heinz‘ gefinkelte Schachzüge unter dem Kreuz des Südens, das mir vielleicht deshalb so unscheinbar vorgekommen ist, weil es fast untergeht in dem Meer so großer, so naher, so heller Sterne, wir haben die Sonne und den Mond von rechts nach links ziehen gesehen, haben Toms Eierrouladen mit Lots of Tabasco überlebt, sind von keiner Sandviper gebissen worden, während wir über die Dünen tollten, haben in der Oase Goanikontes Oliven von der Palme gepflückt, haben erlebt, wie ein Braunschweiger seine Braunschweigerin in die Wüste geschickt hat, wo wir sie gerettet haben, sonst hätte sie sich nicht dem Kiefersfeldener ausliefern können, haben einen ziemlich teuren BMW unverkäuflich gemacht, weil wir seinen Zylinderkopf statt mit Wasser mit Sand gekühlt haben, der atemberaubende Blick weit hinein in die Stille des Visrivier Canyons hat sich uns unvergesslich eingeprägt, und dann lästern wir schon wieder darüber, wie schlecht die Scheibenwischer von Toyota sind, die nicht einmal die paar Tropfen aus einer Sprinkleranlage wegputzen. Das Vehikel werden wir morgen dem Vermieter zurückgeben mit 4600 Kilometer mehr auf dem Tacho, dafür etwas geringerer Gesamthöhe. Ich bin schon gespannt, mit welcher konfuzianischen Weisheit Tom dabei aufwarten wird.

Unser Heimflug ist für den 1. September gebucht. Wir dürfen noch eine Woche bei Heinz und Ulli in Bryanston/Johannesburg verbringen. Heinz hat es geschafft, seine HiFi-Import-Firma auf sehr hohem Niveau zu stabilisieren. Das Geschäftslokal samt Büro befindet sich nahe Johannesburgs Zentrum. Den Betrieb haben wir nicht gesehen. Heinz hat zwei Angestellte, einen Weißen und einen Schwarzen, die den Laden am Laufen halten, wenn er selbst auf Reisen ist, geschäftlich, oder mit Ulli in einem Naturreservat, oder mit uns in der Wüste. Trotz guter Geschäftslage kommt es immer wieder zu unvorhergesehenen und bedrohlichen Situationen. Ein Einbruch etwa in das Lager, der Diebstahl sündteurer Ware, die Feuerwehr, die einen Brand oberhalb der Geschäftsräume löschen muss, der Schaden durch das Löschwasser. Wenn du ohne viel Kapital einen Betrieb aufbauen willst, kannst du dich nicht gegen alles und jedes versichern. Dazu gab es politische Sanktionen, die eingefahrene Handelsbeziehungen plötzlich zum Erliegen brachten, und was weiß ich noch alles. Mensch, ärgere dich nicht. In solchen Situationen kam die nötige Sicherheit von Ulli. Und Heinz begann wieder einmal solange zu würfeln, bis ein Sechser ihm den Anfang einer neuen Runde erlaubte. Heinz und Ulli wohnen wie weiße Unternehmer in Südafrika im Allgemeinen leben. Ein für unsere Begriffe sehr großes Anwesen etwas außerhalb Johannesburgs mit Swimming-Pool, zwölf mal fünf Meter, und Kunststoffbelag auf dem Tennisplatz. Ein weitläufiger Bungalow auf dem parkähnlichen Grundstück, etwas abseits davon ein etwas kleineres Haus für Dienstboten. Eine schwarze Hausangestellte ist ständig da. Sie ist Mitte dreißig, mittelgroß, sehr rundlich, schwarzes, halbärmeliges, einreihiges Kostüm mit weißem Kragen, der Rock reicht unters Knie. Das Haar ist zu einem runden Kranz geflochten, an den Handgelenken schlabbern goldfarbene Armketten. Als hätte man Scarlett ihre ‘Mammy’ abgeworben. Neben ihrer Muttersprache spricht sie ein sehr einfaches Englisch, ich weiß nicht, ob auch Afrikaans. Ich weiß auch nicht, ob sie Kinder hat. Manche ihrer Geschwister sind in anderen Haushalten beschäftigt, die anderen Verwandten hausen in einem Township. Dorthin fährt sie mit dem Bus etwa jedes zweite Wochenende auf Besuch, oder sie fährt zu einer Schwester in einen anderen Haushalt und darf dort übers Wochenende bleiben. Umgekehrt bekommt auch sie Wochenendbesuch von den Schwestern hier bei den Zaczeks. Zwei ständige Mitbewohner gibt es noch. Sie sind Ullis absolute Lieblinge. Zwei schwarze Dobermänner, oder so ähnlich, schlank, elegant, lebhaft. Abgesehen von ihrer Funktion als wunderschöne bewegte Skulpturen und als Kinderersatz geben sie dem Anwesen auch einen gewissen Schutz. Ein solcher wird mit der Zeit immer wichtiger und mancher Nachbar hat seinen Besitz bereits mit allen möglichen Verteidigungssystemen ausgestattet.

Das Wetter ist jetzt schon frühsommerlich für südafrikanische Verhältnisse, nach unseren Gewohnheiten kann man auch sagen, hochsommerlich. Wir genießen die letzten Tage unbeschwert mit Schach, Lesen und Tennis. Annamaria bekommt ein paar Lektionen von mir. Leider auch eine schöne Beule, als ich neben ihr stehend die Rückhandbewegung erkläre. Tom reist ab nach Singapur. Wir haben ein letztes gemeinsames Abendessen beim Chinesen. Pekingente. Die Tabascoflasche beim Chinesen ist riesig. Tom, wir werden immer wieder gern an dich zurückdenken. Konfuzius wird sich auch bei uns einbürgern und mit ihm wirst du in Gedanken bei uns sein. Confucius say, run to the drome and finally come home!

Wir besuchen ein Touristenspektakel, wo eine größere Gruppe vorgeblich Eingeborener Tänze zu verschiedenen Anlässen (wie Hochzeit, Krieg, Begräbnis, Sieg) vorführt. Ich glaube, es handelt sich um Folklore der Zulus.


Wir besuchen Pretoria, die nahe Hauptstadt. Aufregender aber ist am Tag vor unserer Abreise unsere Teilnahme an dem Hochzeitsfest, zu der Freunde Ulli und Heinz eingeladen haben. Es ist ein Farmer in der Umgebung Johannesburgs. Die Farm muss riesig sein. Abgesehen von einem landwirtschaftlichen Betrieb ist das Landgut Ansiedlung einer nicht geringen Anzahl Bediensteter samt ihren Kindern, die ebendort zur Schule gehen. Sämtliche Kosten trägt der Farmer.



Abschiedsabend bei Heinz und Ulli mit einem befreundeten Paar. Heinz hat Lobster auf Wiener Art gekocht: Lobster paniert wie Wiener Schnitzel.



Wir beginnen ein Fernschach. Heinz: e2 - e4.



Die schönen Tage von Aranjuez sind nun zu Ende. Danke Heinz, danke Ulli für eines der außergewöhnlichsten Erlebnisse unserer Tage. Wir wünschen euch Afrikaanern das Allerbeste. 


3. September       An Heinz und Ulli


Leseprobe aus dem Paperback „Sand zwischen den Zähnen“ von Rainer von Götzendorf, erschienen bei Quasimodo, Gramatneusiedl/Bryanston 1985, 11½ Seiten, ATS 36,80 / 17,45 Rand.

 

'Tom Tabasco trat hart ins Gaspedal. Unser Beichtstuhl bockte durch die Gegend wie ein frisch gefangener Hengst. In seinem Innern vibrierte es wie unter einem Dutzend Presslufthämmer. Meine Leber schlang sich verzweifelt um den Magen, aber dieser Vorgang spielte sich knapp unterhalb des Adamsapfels ab. Lasagna drückte sich einen feuchten Waschlappen aufs Auge, der wegen des bewegten Innenlebens unseres Vans auch mir ständig den Hals wusch. Selbst Unido-Mau legte ihren Schmöker weg (‚Unter einer Schaufel Sand‘) und riskierte einen vollen Blick nach draußen, wo eben ein Wegweiser vorbeiflog: Lüderitz 345.


'Vor uns kämpfte Rock Lobster sich durch die Dünen. Verbissen suchte sein rechtes Auge die Spur des geringsten Widerstands, während das linke die Nadel im roten Feld fixierte, die die Wassertemperatur anzeigte. Hinter uns würde die Namib zu blühen beginnen dank Rocks Radiatorleak. ‚Würdest du bitte anhalten‘, bat die Lady im Fond. ‘Diese Dünen! Schwung und Farbe sind hier so schön. Ich muss ein Foto haben!‘ Und Pythie, die Schöne, verwünschte auch diesen Tag.'

               

               d-7 – d5. Yep!

               

               Womit eigentlich alles gesagt wäre, außer…

 

Rückflug recht angenehm, Wetter bei der Ankunft herbstlich kühl. Am liebsten hätten wir gleich kehrtgemacht. Nicht nur um in euren Frühling zurückzukehren, sondern auch um den katastrophalen Entwicklungen in unserer häuslichen Sphäre zu entfleuchen hervorgerufen durch einige haarsträubende Aktionen meiner lieben Mutter. Chaos auch im Büro. Alles muss nach und nach entwirrt werden.


In den Nachrichten über Südafrika lauter Halbwahrheiten, tendenziös. Oft gehen mir die selber gesammelten Eindrücke durch den Kopf. Dein Freund John, der soignierte Sir, der mich fragte, ob Ihr die Schwarzen nicht gut genug behandeltet. Was sollte ich antworten? Ich hatte keine Situation erlebt, in der irgendein Schwarzer schlecht behandelt worden wäre. Selbst Sheila hatte ihren knappen Befehlen an den Schwarzen, der Pferdefutter heranschaffen sollte, immer nach knapper Pause ein langgezogenes ‚Please‘ hinzugefügt. (Tat sie ’s für uns?) Die schwarzen Kinder, die auf der Farm eine eigene Privatschule haben, ist das etwa keine gute Behandlung?

             

Da war aber auch manches markige Wort von Walter, von Sonja, aber auch vom österreichischen Koch in Kimberley oder dem Bäcker von Swakopmund. Sprüche, wie ich sie neuerdings zuhause von dem frechen Jungspund namens Jörg Haider vernehme. Das sollte zu denken geben.


Durch Zufall waren wir an unserem Abschiedsabend auf den Zerfall der österreichischen Monarchie zu reden gekommen (auf dem Umweg über den italienischen ‚Verrat‘). Seltsames Gefühl zuerst, dieses Thema am untersten Zipfel des Schwarzen Kontinents. Es hat mich aber nicht losgelassen. In der Nacht ist mir dann eingefallen, warum. Weil, so seltsam es klingen mag, Eure heutige Situation unserer damaligen ähnelt.


Wie Eure Afrikaaner haben damals die Österreicher sich einige Stufen über die Anderen rundum gestellt. Dabei haben sie sich auf Gott berufen. Allgemein hielt man die Völker der Erbländer für faul, blöd, schmutzig und kriminell. Lernte man einen davon näher kennen, der fleißig, schlau, sauber und korrekt war, das war sicher eine seltene Ausnahme. Die Vorurteile saßen tief. Sie haben sich zum Teil bis heute gehalten. Der Böhm, der Tschusch. Nur der Operette und dem Fußball darf der Ungar es danken, dass er eine Stufe höher steht in der Gunst des Österreichers. Er ist sozusagen der Übergang vom Tschuschen zum Menschen, also auch nicht für ganz voll zu nehmen. In dieser Überzeugung entwickelte das alte Österreich sein damals fortschrittliches Schulsystem, das im Grundkonzept bis heute fortbesteht und sich erst seit den letzten Jahrzehnten zögerlich erneuert. Es war ein System, das zwischen Bildung (für die Privilegierten) und Ausbildung (für den großen Rest) unterschied. Ja, die eingeführte Schulpflicht war allgemein, man gab auch für die Unterprivilegierten das schöne Steuergeld aus, das doch zum geringsten Teil von ihnen selbst stammte. So stellte man seine fortschrittlich christlich-humanen Werte weithin ins Licht. Diese Schulen aber dienten nicht ihrer Bildung. Sie dienten ihrer Ausbildung zur Befähigung zu den von den Kulturmenschen im Zeitalter der technischen Revolution immer dringender benötigten manuellen Dienstleistungen, natürlich auch zu untergeordneten militärischen Dienstleistungen, die bitte mit dem gebotenen Eifer auszuführen waren. Zu solcher Schulung gehörte auch die Seelsorge im Sinne des christlichen Glaubens. Ebenso wenig wie der Staat war die Kirche an der Bildung der Menschen interessiert. Glauben sollten sie, nicht wissen. Confucius say, wer nichts weiß, muss alles glauben. Bildung würde nur Skepsis und Opposition fördern.


 Nach meiner Einschätzung begünstigte gerade diese unmenschliche und unchristliche Selbstüberschätzung die nationalen Strömungen in den Erbländern. Daran konnte auch halbherziges Nachgeben in Nebensächlichkeiten nichts ändern, als der Monarch unter Druck geriet. Umso weniger, als die Nachgiebigkeit sich abwechselte mit grober Repression, auch gegen Reformer im Inneren (Rudolf von Habsburg!). Die Gewährung von nationalen Parlamenten änderte nichts an der geringschätzigen Meinung über die Menschen dieser Länder. Man soll nicht glauben, die Menschen wären dafür nicht empfindlich gewesen. (Jaroslav Hasek, ‚Der brave Soldat Schwejk‘). Die Einen reagierten darauf mit dem Versuch, sich im Leitvolk zu assimilieren. In Anderen wuchs der Wunsch nach Trennung, wie es überall dort geschieht, wo Menschen andere Menschen als solche zweiter Klasse behandeln. Der Zerfall ist vorprogrammiert, wenn man den Unmündigen ihre Selbstwerdung verweigert.


Gute Behandlung? Auch seinen Hund behandelt man im Allgemeinen nicht schlecht. Es geht nicht um Schulung, nicht um ‚Please‘, nicht einmal um ausgewogenen demokratischen Machtanteil. Ich glaube, es geht einfach darum, in den ungeschliffenen Bewohnern Eures Landes den schwächeren Bruder zu sehen, den Menschen, der geschliffen sich als Diamant entpuppen könnte; den Menschen zu sehen, nicht das ungeschickte, unwillige, unberechenbare, immer fordernde Haustier. Werft ihnen nicht ihren Mangel an Intelligenz vor, sondern gewährt ihnen neben Ausbildung auch Bildung. Helft ihnen zur Selbstfindung, indem Ihr ‚Du‘ zu ihnen sagt (und meint) anstatt ‚die‘.


Ob dafür eine Chance besteht? Wohl kaum. Wenn wir in ruhigen Zeiten aus der historischen Erfahrung nicht gelernt haben, dass unsere Großväter irrten, und heute vermutlich denselben Fehler nochmals (ein wievieltes Mal?) begehen würden und begehen, wie solltet Ihr in unruhigen Zeiten und unter Druck, also unter Gegebenheiten, die der Entzweiung förderlicher sind als der Einigung, die Kraft aufbringen zur kollektiven Besinnung? Nein, unter diesen Gegebenheiten wird jeder von den Vielen nur versuchen, für sich zu retten, was zu retten ist. Alles wird so gehen wie tausendmal zuvor. Ihr werdet die politische Macht neu aufteilen auf die eine Weise oder eine andere. Für Euch werden die Veränderungen auszuhalten sein. Die Schwarzen werden aushalten müssen, dass sich für sie wenig ändern wird. Auch in fünfzig Jahren noch wird auf allen Nachtkasteln Eurer Hotels die Bibel liegen. Und es wird Einzelnen vorbehalten bleiben, in ihrer begrenzten Umgebung und ganz im Stillen, den alten Versuch zu wiederholen. Irgendwo in der Steppe wird ein Weißer niederknien vor einigen Schwarzen und durch einen Plastikschlauch Treibstoff, der ihnen fehlt, aus seinem Autotank saugen.


Verzeiht, liebe Freunde, Ihr könnt all das natürlich schon nicht mehr hören. Aber ich musste das aufarbeiten, was mich vor, während und nach unserer Reise beschäftigt hat.


Dass ich diesen Brief an Heinz‘ Geburtstag schreibe, versüßt mir die Arbeit daran. Unsere herzlichen Glückwünsche! Das Schicksal möge Dich am besten gar nicht, aber wenn es schon sein muss, dann sachte und auf keinen Fall in die Goschn haun. Confucius say, ich wünsche Dir ein ganz kleines Unglück! - Sowas wie Barack ist aus, vielleicht? Nein, viel zu hart.


               Schwimmt Ihr im Pool? Ich bin gespannt auf Deinen nächsten Zug. S b1 – c3, stimmt’s? Yep!“

 

Nach dem gemeinsamen Reiseabenteuer hat die Frequenz unserer Zusammentreffen abgenommen. Ich weiß nicht, ob es daran lag, dass wir Heinz mit den Kosten für die Reparaturen der beiden Autos im Regen stehen haben lassen, dem einzigen Regen, der jährlich Südafrika heimsucht. Oder lag es an dem dummen Brief, den ich geschrieben habe? Mit Heinz‘ Mutter hatte ich gar keinen Kontakt mehr, ebenso wenig mit Brigitte und Marion. Heinz ist um 2010 in Südafrika gestorben. Ich habe Ulli geschrieben, aber keine Antwort erhalten. Ich glaube nicht, dass sie nach Österreich zurückgekehrt ist. Ihr ganzes Leben spielte sich in Johannesburg ab, wo es ja inzwischen einen stattlichen Freundeskreis gab. Für Ulli wäre es eine zweite Emigration geworden.

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