M - Hohenthurn

Hohenthurn

worin vorkommen: Rivolto, das Gailtal, der Dobratsch, Oberschütt, Achomitz, Feistritz an der Gail, Thörl, der Mangart, die Julischen Alpen, das Gasthaus Kuglitsch, der Tschigele-Hof, Venezia, Udine, die Feistritzer Alm, der Oisternig, der Kapin, Italien, Slowenien, das Dreiländereck, die Karnischen Alpen, der Mittagskogel, der Malestiger Mittagskogel, der Monte Lussari. die Kölnbreinsperre, Draschitz, Wiener Walzer, Salzburger Nachtmusik, Concerti Grossi, Oberkrainer Blasmusik, sowie das Telefonieren im Paradies

Das übliche Programm unserer Österreichtage war bald um einen ständigen Tagesordnungspunkt länger: Standortsuche. Langfristig kam die Miniwohnung in Maria Gail dafür nicht infrage. Das war ein nettes Provisorium, nicht mehr. Wir durchforsteten Zeitungsinserate und blieben vor den Auslagen von Immobilienbüros stehen, um die Angebote zu studieren. Einige Objekte, die uns interessant vorkamen, besichtigten wir. In der Preisklasse, die wir für leistbar hielten, standen überwiegend Ruinen im Angebot. Zwar hatten wir reichlich Erfahrung im Renovieren. Vor Kurzem in Rivolto hatten wir noch reichlich Zeit dafür gehabt. Die fehlte uns mittlerweile ganz und gar. Jede Stunde, die wir nicht unbedingt zum Schlafen benötigten, investierten wir in unsere Arbeit. Jedes Objekt hatte irgendeinen Haken. Zu groß, zu klein, ein lauter Verkehrsweg, eine benachbarte Disko, eine Starkstromleitung über dem Dach. Wir änderten unsere Pläne, hörten auf, ein fertiges Domizil zu suchen. Ein schönes Grundstück und ein Haus darauf zu bauen, war die neue Idee. Das Gebäude würde genau unseren Vorstellungen entsprechen. Und wir brauchten nicht das ganze Geld sofort, sondern nach und nach, dem Baufortschritt entsprechend. Dazu würde eine vom Land gewährte Neubauförderung die Finanzierung erleichtern. Ein Grundstück im Gailtal stand zum Verkauf. Ein wunderschöner Platz am Ende einer winzigen Ortschaft am Waldrand unterhalb des Dobratschs. Romantisch. Viel zu teuer. Außerdem, der Ort hieß Oberschütt. Wir stellten uns die Gesichter unserer Geschäftspartner vor angesichts einer Adresse in Obershit.


Ein Auftrag führte uns nach Achomitz nahe Feistritz an der Gail. Ein junger Mann aus diesem Ort hatte unseren italienischen Kunden auf der Schipiste gerammt und verletzt. Es ging darum festzustellen, ob der Achomitzer versichert wäre. Wenn nicht, würde er selber für den Schaden geradestehen müssen. Wir kamen aus Italien und passierten die Grenze bei Thörl. Bei der Shell-Tankstelle bogen wir links ab Richtung Feistritz. Nach wenigen hundert Metern gibt die Landstraße den Blick frei auf einen gegenüberliegenden Hügel. Der Anblick hatte es in sich. Auf dem grünen Kamm vor der eindrucksvollen Kulisse des Dobratschs badete eine kleine Ortschaft mit mittelalterlicher Wehrkirche im Sonnenlicht.

„Schau dir das an“, sagte ich zu Soile. „Unser Traumplatz!“


„Da verkauft sicher niemand einen Grund“, zweifelte Soile. „Wär‘ ja blöd.“


„Ein Traum! Und so nah an Italien!“

Wir erledigten die Sache in Achomitz. Auf dem Rückweg bogen wir in die schmale Straße ab, hinein in die kleine Ortschaft. Es ging bergauf, vorbei an einem Gasthaus und weiter den Hügel hinan. Die Dorfstraße führte an der Kirche vorbei und umrundete den ganzen Ort. Traumhafte Bilder boten sich uns. Bäuerliche Gehöfte und hübsche neuere und ältere Landhäuser, hin und wieder sehr alte. Weiden und Wald und gepflegte Gärten. Über allem lag stiller Friede. Im Norden der Dobratsch, im Süden ein wuchtiger Felsgigant, der Mangart, der imposante Eckstein einer bizarren Bergkette, die zu den Julischen Alpen gehört. Wie die Berge hießen, wussten wir noch nicht. Auf der Ortstafel stand ‚Hohenthurn‘. Wir fanden, das klang aristokratisch genug für unsere Partner.


Ich halte vor dem Gasthaus Kuglitsch. Abgesehen von einem Natursteinehandel unten an der Landstraße scheint es der einzige Geschäftsbetrieb im Ort zu sein. Schräg gegenüber steht das Gerätehaus der Freiwilligen Feuerwehr. Das Wirtshaus scheint schon bessere Zeiten gesehen zu haben. Auf der Koppel daneben grasen verspielte Ponys. Durch die Eingangstür betritt man den Korridor. Er ist schmutzig und angeräumt mit Klumpert. Ein Huhn liegt auf einem Bierfass. Ist es durstig oder wachsam? Legt es ein Ei? Dahinter setzt sich das Chaos im Hinterhof fort. Man sieht es durch die offene Tür. Zum Gastzimmer geht es durch eine Tür nach rechts. Die klobige Schank und die schweren Gästetische entsprechen einem typischen Landgasthaus von 1940 oder 1950. Die Wände sind bis in Kopfhöhe hellbraun holzgetäfelt. Es sind keine Gäste anwesend. Wir setzen uns an einen Tisch und warten. Nach einer Weile betritt eine kleine Frau in bäuerlicher Kleidung die Stube. Sie schaut uns erstaunt an. Ich bestelle zwei Kaffee und frage, ob es etwas zu essen gibt. Kärntner Würstel, sagt die Wirtin. Gut, wir werden Kärntner Würstel essen. Die Wirtin lässt die Kaffee aus einer modernen Maschine herunter und serviert uns die Tassen auf einem Tablett. Kalte Milch in einem Kännchen. Wir stellen fest, sie ist stark erkältet. Unterwegs zu uns hustet sie ihre Bakterientröpfchen in unsere Tassen. Dann verschwindet sie durch die Tür, die wohl zur Küche führt. Sie kommt gleich wieder zurück mit zwei Desserttellern, zwei Papierservietten und einem Körbchen mit geschnittenem Schwarzbrot und stellt uns niesend alles hin. Sie geht wieder in die Küche und kommt ebenso rasch zurück mit zwei Paar dicken schwarzen Würstel und einem Emailtopf. Vor unseren Augen nimmt sie die Würstel in die Hand, greift mit den Fingern der anderen in den Topf. Die Finger kommen mit Schmalz bedeckt aus dem Topf und beschmieren damit die Würstel. Sobald sie reichlich beschmalzt sind, legt sie uns die Würstel auf die Teller. Mahlzeit!


Ich frage die Wirtin, ob hier jemand Baugrund verkaufe.


„ja, ja“, sagt sie.


„Ja, wer denn?”


„Na, da drüben.“ Sie deutet auf den alten Hof gegenüber.


Wir essen die harten Würstel fertig, ich zahle und wir eilen zum Tschigele. Durch den engen Durchlass zwischen dem Gasthaus und dem Tschigele-Hof quetscht sich die Dorfstraße den Hügel hinauf. An der südlichen Schmalseite des Hofs ist hinter einem Holzzaun ein Gemüsegärtchen angelegt. An ihm vorbei betreten wir über eine geschotterte Zufahrt den Innenhof. Vom Wohntrakt des Hauses weg erstrecken sich im rechten Winkel mehrere Wirtschaftsgebäude. Auf Tierhaltung deutet nichts hin. Doch! Ein weißer Retrievermischling läuft frei umher. Er nähert sich uns bellend, aber freundlich mit dem kurzen Schwanz wedelnd. Trotzdem wird das kein Spaß werden, wenn er an uns hochspringt. Den älteren Mann, der auf der Bank neben dem Haustor sitzt, scheint das zu amüsieren. Er macht keine Anstalten einzuschreiten. Sitzt nur da und grinst. Gerade als der Hund an uns hochspringen will, kommt eine ältere Frau aus dem Haus und verhindert das durch energische Zurufe. Sie ist klein und zart. Die Stimme aber energisch. „Manki! Manki!“ Der Mann bleibt sitzen und grinst.


Ich stelle uns vor.


„Dorn“, antwortet die Frau.


„Oh, ich dachte Tschigele?“


„Tschigele ist unser Vulgo-Nam‘. Wir heißen Dorn, aber der Hof ist seit Jahrhunderten Tschigele.“


Ich erkläre ihr, dass die Wirtin gemeint habe, es gebe hier einen Baugrund zu kaufen.


„Ja mei, das macht der Sohn. Aber der ist net da. Ist in der Arbeit. Wird erst am Wochenend heimkommen.“


Ich frage, wo denn der Grund wäre. Sie deutet uns mitzukommen und stapft in ihren zu großen Pantoffeln voran an den Schuppen vorbei auf die Obstbäume zu, die auf der Wiese stehen. Wir hinterher. Manki einmal voraus, dann wieder hinterher. Wo die Scheunen aufhören, hat man Sicht den Hügel hinauf. Es sind freie Wiesenflächen, die anfangs sanfter, weiter oben ziemlich steil ansteigen. Ganz oben grenzen sie an Nachbargründe, die durch einen Drahtzaun getrennt sind. Drüben stehen Obstbäume in Wiesen. Dahinter die Hofseiten verschlafener Bauernhäuser. Das ist der Oberort mit der Kirche.


Frau Dorn deutet auf die Wiese. „Dort oben sind drei Baugründe nebeneinander. Rechts daneben ist einer schon bebaut.“ Ein neues zweistöckiges Landhaus steht dort inmitten eines Grundstücks, aus dessen Gefälle man ebene Flächen strukturiert hat. „Um die tausend Quadratmeter haben die Gründe. Der ganz links außen ist kleiner. Der ist schon vergeben an meine Tochter. Es gibt eine Zufahrt. Wegen dem Wasen sieht man sie net von da. Ihr könnts aber rauffahren und von der Näh schaun. Gleich hinter der Kurven geht der Weg links nein.“


Wieviel so ein Grund kosten mag, frage ich Frau Dorn.


„Ja mei, das müssts mit meinem Sohn ausmachen. Da red i nix drein. Kommts halt nochamal vorbei am Sonntag.”

Wir versprechen das und machen uns auf den Weg zum Zufahrtsweg. In steiler U-Kurve zweigt der geschotterte Weg von der asphaltierten Ortsstraße nach links ab. Vorbei am Obergeschoß eines kleineren Landhäuschens auf der linken Seite, dessen ebenerdiger Teil zur Ortsstraße gewandt ist, und auf der rechten Seite an dem imposanten neuen Landhaus führt der Weg durch die weite Wiese. Auf der linken Seite ist nur ein schmaler ebener Streifen vor dem Hang hinunter zum Tschigele. Rechts den Südhang hinan steigen die Wiesen auf. Aus vorerst sachter Neigung gehen sie nach oben hin in ein beträchtliches Gefälle über. Am Beispiel des benachbarten Landhauses sehen wir, wie das Untergeschoß wohl tief in den Hang hineingegraben werden muss. Die oberen Etagen an der Vorderseite ragen hoch auf, darüber noch das riesige Krüppelwalmdach. Alle Fenster und Balkone sind prächtig geschmückt mit roten und weißen Blumen. Der Weg endet am westlichsten Grundstück, jenem, das offenbar Dorns Tochter gehört. Jenseits davon ist weites Weideland, darauf verstreut gleichgültig wiederkäuende Rinder. Auf einer ausgeschobenen Umkehrfläche stellen wir unseren Wagen ab, um die Baugründe aus der Nähe zu erforschen. Das Gras ist nicht besonders hoch, jemand muss es vor nicht allzu langer Zeit gemäht haben. Über die Wiese, also über die Baugründe, verläuft ein Fußpfad den Hang diagonal schneidend in Richtung zur Kirche hinauf. Der untere Teil des Steigs kommt aus dem Nichts, das heißt aus der Stützmauer, die das Grundstück mit dem neuen Landhaus begrenzt. Offenbar haben die Erbauer es über dem Steig errichtet. Wenigstens dürfte es keine Probleme mit allfälligen Wegerechten geben, denke ich. Die Grundstücke sind vermessen. Die blauen Metallmarken sind im Gras gerade noch zu erkennen. Auch Wasseranschlüsse zu jedem der Grundstücke sind vorhanden. Strom offenbar noch nicht. Wir steigen die Wiese hinauf. Nahe am Zaun müssen wir achtgeben nicht abzurutschen. Eichene Pfosten aus Eisenbahnschwellen dienen als Steher für den Maschendrahtzaun. Später werde ich feststellen, dass dieses Material in der ganzen Gegend für die verschiedensten Zwecke sehr gebräuchlich ist und offenbar lange Zeit in reichlichem Maß verfügbar gewesen sein muss. Nun, Villach ist ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt. In der ganzen Region ist gefühlt jeder Zweite ein Eisenbahner. Wo immer Bahntrassen erneuert wurden, fielen die alten Schwellen an. Ich weiß nicht, ob die Bahn immer einverstanden war mit dem Abtransport, unter der Hand, wie ich vermute. Überall, wo die Eisenbahnschwellen ins Auge springen, kannst du sie im Vorübergehen singen hören, Wiener Walzer, Salzburger Nachtmusiken, Concerti Grossi aus Venezia, Oberkrainer Blasmusik. Heitere Musik aus groben Klötzen, die so unverwüstlich sind wie ihre luftige Seele.


Allerliebste Überraschung: In den Obstgärten hinter dem Maschendrahtzaun flaniert eine Anzahl Esel. Sie fressen Äpfel vom Boden und bemühen sich auf den Hinterbeinen stehend, die noch jungfräulichen Früchte von den Ästen zu pflücken.


Hohenthurn passt hervorragend in unsere Strategie. Nur zwei Kilometer zur Autobahn, zehn zur italienischen Grenze, hundert nach Udine, machbar in einer Stunde. Das Tollste aber ist der Ausblick. Im Norden den Dobratsch kann man nur von ganz oben am Zaun sehen. Weiter unten, wo einmal ein Haus stehen könnte, lugt nur seine Radioantenne über den Hügelrand. Doch das Halbrund von West bis nach Südost ist atemberaubend. Im Westen hat Donatello die Idealform einer weiblichen Brust an den Himmel modelliert. In ihre unterste Rundung schmiegen sich die Hütten der Feistritzer Alm an den Oisternig. Von dort zieht sich der bewaldete Rücken des Kapin die italienische Grenze entlang hinüber nach Thörl, dem Törl nach Italien, durch das immer der Wind bläst, wenn einer es offenstehen lässt. Von der dortigen Wallfahrtskirche guckt der schlanke Spitz des Turms über den Wald. Anschließend die grotesken Felsformationen der Julischen, die in den majestätischen Steinkegel des Mangart münden. An seiner Spitze treffen einander Italien und Slowenien. Mehr im Vordergrund wieder ruhen weniger hohe bewaldete Berge, die weiterhin die italienische Grenze bilden, bis hinüber zum Dreiländereck zwischen Österreich, Italien und Slowenien. Ihre Formen erinnern an ein schlafendes Weib. Da der Unterleib mit dem behaarten Venushügel. Davon ausstrahlend angewinkelte Oberschenkel. Auf der Erhebung knapp östlich der Knie die Bergstation des Lifts. Die Schneisen der Schiabfahrt rinnen kurvig zu Tal. Und weiter nach Osten zu der Beginn der langen Kette der Karnischen Alpen, der nun die slowenische Grenze folgt. Der Mittagskogel bleibt leider hinter dem Malestiger Mittagskogel verborgen. Knapp verborgen hinter dem Kapin bleibt auch der bekannte Wallfahrtsort hoch oben, Monte Lussari. Fast zu schön ist dieser Platz, um wahr zu sein. Eine Ansichtskarte davon würde man für kitschig halten. Kein Zweifel. Hier und nirgends sonst soll unser Haus stehen.



Die Erkältung hat es in sich. Lange haben wir nicht darüber nachgedacht, wo wir sie aufgeschnappt haben. Wenn sie der Eintrittspreis ist in dieses Paradies, dann zahlen wir ihn mit links.

***

Peter Dorn passt überhaupt nicht zu seiner zierlichen Mutter. Ein Riesenkerl, furchterregend in Gestalt, Ausdrucksweise und Gehabe. Für uns frisch gfangte Kärntner ist sein Dialekt kaum zu deuten. Was macht das schon. Er will uns einen Baugrund verkaufen und wir wollen diesen Traumgrund kaufen. In seinem Hof stehend an der Stelle, von wo aus seine Mutter uns die verkäuflichen Gründe gezeigt hat, erzählt er uns, wie er in den Siebzigern als Bauarbeiter bei der Errichtung des Staudamms für die Kölnbreinsperre gearbeitet hat. Schwerstarbeit im Hochgebirge, zumal in den Wintern. Die Baustelle konnte man nur für den freien Tag (Einzahl ist angemessen) verlassen. Einen härteren Job hat es in Österreich damals nicht gegeben. Passt ihm perfekt zu Figur und Habitus. Jetzt ist er für einen großen Metallbaubetrieb die ganze Woche in halb Österreich unterwegs. Der Vater ist alt und krank. Die Mutter stemmt die ganze Last. Der Sohn am Wochenende, was die Mutter nicht geschafft hat. Ursprünglich ein bäuerlicher Kleinbetrieb haben die Dorns jetzt kein Vieh mehr und keine Verwendung für die ausgedehnten Weideflächen. Also verpachten sie einen Teil an einen Hörndlbauern in der Ortschaft. Andere Flächen sind schon in Bauland umgewidmet und stehen zum Verkauf. Bauernsterben live.


Peter merkt unser Kaufinteresse und bittet uns ins Haus. In der gemütlichen Bauernküche sitzen wir um den Tisch mit Peter, seinen Eltern und seiner Schwester Hanni. Auf einem Plan bezeichnen wir das Grundstück, für das wir uns interessieren. Es ist das vorletzte vor der Weide. Das letzte wäre uns lieber, dann hätten wir keinen Nachbarn nach Westen hin. Das gehört schon der Hanni. Sie wird aber nicht bald bauen, hat es nur als Vorsorge für einen ihrer Söhne genommen. Sie wohnt mit den beiden kleinen Kindern, ihrem Mann und seiner Mutter in einem Gehöft im nahen Draschitz. Hanni ist ein adrettes dunkelhaariges Dirndl in mittleren Jahren. Sie bemüht sich hochdeutsch zu reden, kann aber nicht verhindern, dass der Dialekt durchschlägt. „Wissen S‘ was“, hört man immer wieder. Dabei ist ein kleiner Sprachfehler unüberhörbar. Hanni muss tief Luft holen, bevor sie bestimmte Wörter hervorbringen kann. Wir erfahren, dass sie in der Wechselstube des ÖAMTC an der Grenze gearbeitet hat, dann bei der hierorts auf beiden Seiten der Grenze eingesessenen Spedition Treu, in Italien Tre-u gesprochen. Momentan ist sie ohne Arbeit, weil mit dem EU-Beitritt vor ein paar Jahren fast alle Grenzformalitäten im Warenverkehr obsolet geworden sind. Sie spricht natürlich italienisch, sagt sie. Wir haben schon mit dem Gedanken gespielt, eine Bürokraft zu beschäftigen, besser gesagt, uns von jemandem bei unserer Arbeit helfen zu lassen. Allerdings, meine Bedenken sind groß. Die Belastungen eines kleinen Betriebs können enorm werden, wenn man die Rechte einer Angestellten bedenkt, die im Fall einer neuen Mutterschaft oder einer langen Krankheit schlagend werden. Was, wenn sich herausstellt, dass die Bedienstete den Betrieb nur ausnutzen will? Andererseits, Hanni wirkt ehrlich, vernünftig und hat schon zwei Kinder. Ich erkläre, was wir machen und dass wir hier in Hohenthurn nicht nur wohnen, sondern auch eine Betriebsstätte einrichten wollen. Wenn Hanni es wolle, würden wir es gerne mit ihr als Angestellter versuchen. „Wissen S‘ was, probiern m-ma ‘s.“ So wird ein Immobiliengeschäft im Nu zur arbeitsmarktfördernden Affäre mit gemischten Gefühlen bei allen Beteiligten.


Der Kaufpreis ist uns recht, der Kauf wird fixiert per Prankenschlag (wenn der jetzt zudrückt, ist nichts von meiner Hand noch zu gebrauchen), die Probeanstellung per Händchendruck und herzlicher Umarmung.


So geht’s, wenn wir einkaufen gehen. Nur ein paar fehlende Sachen holen aus dem Supermarkt und herauskommen mit einer Ladung für die ganze Woche. Oder einen Baugrund kaufen und zurückkommen mit dreien. Die Überlegung, dass wir den schmalen Streifen südlich der Straße für Parkplätze oder eine Garage brauchen könnten. Und wenn wir schon dabei sind, nehmen wir gleich auch die Wiese zwischen unserem Baugrund und dem bereits stehenden Haus dazu. Verhindert vorläufig, dass ein Nachbar uns zu nahe an den Pelz rückt. Und … man kann ja nie wissen.


Ein Kärntner Landesgesetz bestimmt, dass wir innerhalb zehn Jahren ein Wohngebäude errichten müssen, bei sonstiger Konventionalstrafe. Die Bestimmung soll der Bodenspekulation vorbeugen. Auf dem einen Grundstück wollen wir ohnehin bauen. Was das andere betrifft, wird man sehen. Zehn Jahre sind eine Ewigkeit, wenn man an ihrem Anfang steht. Das mit der Wohnbauförderung stellt sich schließlich als Flop heraus. Ich müsste ein paar Jahre in Kärnten gelebt haben, um ihrer würdig zu sein. Durchfahren gilt nicht. Wenn ich zurückdenke, fällt mir keine einzige Gelegenheit ein, in der ich irgendwelche erwähnenswerte Leistungen von meinem Staat in Anspruch genommen hätte. Im Gegenteil. Abgesehen von der Primärschule und zwei Jahren Oberstufe hat der Staat nicht einmal Schulkosten für mich aufbringen müssen. Die Unterstufe haben die Wiener Sängerknaben finanziert und auf die restlichen zwei Jahre Oberstufe habe ich aus Ungeduld verzichtet. Bis heute keine nennenswerten Gesundheitskosten. Gedient habe ich ihm immer brav. Zwölf Monate Wehrdienst und über dreißig Jahre Steuern geblutet. Da könnte er doch einmal ein bisschen fördern, finde ich. Andererseits ist es mir schon recht so, wie es ist. Es erspart mir, diesem Staat für irgendetwas dankbar sein zu müssen. Wenn ich Dankbarkeit empfinde, dann gegenüber jenen Individuen, die uns kulturell bereichert haben und bereichern. Künstlern, Wissenschaftlern, Wohltätern. Die haben aber mit dem Staat nichts zu tun. Er hat sie oft genug behindert und behindert sie zunehmend. Die netten Leut‘ aus dem Volk? Ich beobachte seit längerer Zeit, wie viele nette Leut‘ ihre scheinheiligen Skrupel ablegen und nichts mehr dabei finden, ihre Sympathie für Chauvinismus zur Schau zu stellen. Ganz besonders hier in Kärnten. Ihre braunen Kärntneranzüge haben sie ohnehin nie abgelegt. Jetzt gibt Jörg Haider jedem Kärntner mehrmals jährlich die Hand und nicht selten ist ein Geldschein drin. Den hat zuvor der Staat ihnen abgenommen. Da macht es den netten Leut‘ nichts aus, wenn Haider wettert gegen Künstler und gegen die EU und gegen den kommenden Euro und gegen die ausländischen Schmarotzer und gegen die slowenische Minderheit und gegen zweisprachige Ortstafeln und wenn er Österreich eine ideologische Missgeburt nennt und der Beschäftigungspolitik des Dritten Reichs nachtrauert. Nein, danke, liebe Leut‘ vom Staat, wir werden es auch ohne euch schaffen.

Share by: