Turku, 12.12.1988
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Now I just want to send you the photo I told
you about… Do you recognize the dress?
Zweiter Abschnitt
worin vorkommen: Helsinki, Savonlinna, Glyndebourne, New York, Locara, Verona; Bozen, Eisenstadt, Graz, Klagenfurt, Tarvis, Pontebbe, Udine, Venedig, Padua, Vicenza, Mailand, Bergamo, Aosta, Genua, Wien, Chioggia, Pellestrina, Uusikaupunki. Turku, Tarvasjoki, Schladming, Riva del Garda, Malcesine, der Gardasee, Riccione, Rom, Venedig, Graz, Florenz, Lucca, Siena, Spittal an der Drau, Istanbul, Zypern, Bruck an der Mur, Klagenfurt, Osttirol, Lienz, Villach, die Drau, England, Berlin, Fortezza, das Hotel Ranieri in der Via XX Settembre in Rom, das Park Hotel in Graz, New York, die Staatsoper Wien, der Marco Polo Airport, der Champs Elisees, die Kanarischen Inseln, Robert Schumann, Hamlet, Anton Bruckner, Mohammed, die Wiener Sängerknaben, Jean Sibelius, die Valse Triste, Rakastava, Wolfgang A. Mozart, La Bohème, Don Giovanni, Carmen, Carlos Kleiber, Neujahrskonzerte der Wiener Philharmoniker, Herbert von Karajan, Claudio Abbado, Lorin Maazel, Willi Boskovsky. Hamlet, die Baltic Sea, Denmark, Finnland, Peter I: Tschaikovsky, Melanie Sonnenberg, Johann S. Bach, Louis Quatorze, John Lennon, Fidel Castro, Gaius J. Caesar, Marcus J. Brutus, Gaius Octavius (Augustus), Cleopatra VII. Philopator, sowie eine Liebe auf Papier
In der Österreichischen Post- und Telegraphenverwaltung gibt es eine Abteilung für Interne Ermittlungen, kurz IntErm. Mit ihren siebzig Mitarbeitern zählt sie nicht zu den kleinsten Abteilungen der ‚Post‘, dennoch tritt sie öffentlich kaum je in Erscheinung, ja, ist weitgehend unbekannt. Die IntErm ist in der Post so etwas wie das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) in der Republik Österreich. Wenn nicht gerade einen Innenminister der Hafer sticht und er das ganze Amt auf den Kopf stellt, nimmt kein Mensch Notiz von dessen Existenz. Das IntErm beschäftigt sich mit allem, was der Post auf den Kopf fallen könnte, und macht sich Gedanken über diskrete Abhilfe. Es untersteht und berichtet dem Büro des Herrn Generaldirektors direkt. Diesem unterstehen auch direkt die IntErm-Mitarbeiter in den Bundesländer-Zentralen. Seitens ihrer örtlichen Kollegen werden sie deshalb mit großem Argwohn betrachtet, auch weil keiner genau weiß, was die eigentlich machen, wieviel sie wofür verdienen und ob sie nicht das eigene Haus ausspionieren sollen. Ein Verdacht, den man nicht als völlig unbegründet abtun kann. Im Gegensatz zur IntErm ist die Beschwerdeabteilung intern und in der Öffentlichkeit bestens bekannt, denn Beschwerden gibt es zuhauf. Die Beschwerdeabteilung ist die schärfste Widersacherin der IntErm, deren Arbeit eigentlich zu einer möglichst kleinen Anzahl von Beschwerden führen sollte.
Im Frühjahr 1989 wurden die vier Mitarbeiter von IntErm Graz um vier Kollegen aus der Zentrale in Wien verstärkt. Völlig gegenläufig zum allgemeinen Trend hat man in der Statistik einen enormen Anstieg im Portoabsatz sowie in der Stückzahl der ausgehenden Briefpost ins Ausland festgestellt. Nicht nur das, auch die eingehende ausländische Briefpost ist in Graz signifikant angestiegen. Was das erste Problem betraf, so könnte man es einfach erfreut zur Kenntnis nehmen, führte es doch zu einem schönen Umsatzplus, oder genauer zur Verminderung des allgemeinen Umsatzrückgangs. Die paar Armbewegungen zum Abstempeln der Briefmarken, das kümmerte weder die Direktion noch die IntErm. Die Erfahrung zeigt aber, dass ein mysteriöses positives Phänomen sich sehr rasch als Bumerang herausstellen kann, sodass rasche Aufklärung kein Fehler ist. Und dann die eingehenden Briefe! Die mussten alle sortiert und zugestellt werden. Die Gewerkschaft forderte bereits eine Personalaufstockung bei den Zustellern. Das schrie förmlich nach Untersuchung.
Zur ersten Unterredung der Grazer mit den Wiener Kollegen gab es Gselchts mit Kren und Weißburgunder. Man unterhielt sich über die Betriebsklimata in Wien und Graz und über den neuen VW Corrado. Zwei Tage später kam man wieder zusammen, diesmal bei Brüstlbrot und Blauem Zweigelt. Als der Wiener Delegationsleiter ins Brüstlbrot gebissen hatte, sagte er mit vollem Mund, sie hätten in Wien auch ein Bristol. Als die Flaschen leer waren, befanden sich auf dem Brottablett noch vier Brüstlbrote. Der eine Wiener mochte nämlich kein Bauchfleisch. Er weigerte sich aber mit Zähnen und Klauen, seine Brote einem Anderen zu überlassen. Zu guter Letzt kam man überein, per Brain Storming möglichst viele wahrscheinliche Ursachen für das verstörende Phänomen zu nennen, dessentwegen man eigentlich zusammengekommen war. Der Wiener Delegationsleiter notierte die Vorschläge.
„Der Stronach will eine Weltkugel errichten und macht dafür in Kanada Propaganda“ (Wiener)
„Pécs hat dem Stingl eine Städtepartnerschaft vorgeschlagen“ (Grazer)
„Der Rushdie versucht, in Graz unterzutauchen“ (Grazer)
„Alle Japaner in Graz schicken Beileidsbotschaften, weil Hirohito gestorben ist“ (Wiener)
„Der Stronach ist nicht einverstanden damit, was die Belinda treibt“ (Grazer)
„Die krowotischen Partisanen gebn scho wieder koa Ruah net“ (Grazer im Steireranzug. Er meinte die Slowenen.)
Damit war das Meeting beendet. Der Wiener Delegationsleiter faltete die Liste zusammen, steckte sie ein und setzte den nächsten Arbeitstermin an, wieder in zwei Tagen.
***
Etwas benommen trat ich aus dem Hotel am Stephansplatz. Ohne besondere Absicht geriet ich um die Ecke in die Kramergasse. Das Stadtbüro von Hertz war leer. Umgezogen. Das Einrichtungsgeschäft war noch da. Ziellos ließ ich mich die Rotenturmstraße hinuntertreiben. Den Stadtlärm nahm ich wahr, aber gedämpft, wie aus großer Entfernung. Plötzlich fand ich mich am Laurenzerberg vor dem Gebäude, in dem ich Tage und Nächte in der Car Control verbracht hatte, vor dem Tor, aus dem ich auf die Straße getreten war, fristlos entlassen. Ich schaute hinauf zu den Fenstern, sah sie wie hinter einem Schleier. Mir war, als fiele ein Vorhang herab um mich herum. Etwas wollte mich trennen von allem, was bisher gewesen. Was war, es hörte nicht auf, es lag hinter dem Vorhang, transparent, aber undurchdringlich.
Der Schleier löste sich nicht, als ich mit der Bahn nach Götzendorf fuhr, um ein paar Sachen für Graz zu packen. Franz und Ulla, Annamaria und Mario, ich redete kaum. Konnten sie mich verstehen hinter dem Vorhang? Ich fuhr mit der Bahn zum Südbahnhof, weiter nach Graz. Der Schleier hob sich am Semmering. Der Waggon rüttelt durch die Kurven. Ich spüre wieder das Beben, das durch Soiles Augen, ihren ganzen Körper jagt. Das alles lag klar vor mir, jenseits des Semmerings. Alles hinter mir lag hinter dem Vorhang. Etwas sagte zu mir, du stirbst aus einer Welt und stirbst in eine andere.
***
Angekommen in meinem WG-Zimmer setzte ich mich an das Tischchen und schrieb an Soile. Ob es angebracht war einer Auftraggeberin gegenüber, war mir egal, es wurde ein Liebesbrief. Das Beben in ihren Augen, durch ihr Körperchen, ich wusste ja, dass sie mich liebte.
Zwei Tage danach fand ich in meiner Büropost ein Kuvert mit dem Emblem des Hotels am Stephansplatz. Soile hatte sich vor ihrem Mann im Bad versteckt und dort ein paar wenige Zeilen an mich geschrieben, meiner Gefühle ungewiss, noch ziemlich förmlich. Trotzdem war ich außer mir vor Freude. Selbstverständlich antwortete ich sofort. Ganz und gar unförmlich.
***
Wir verfielen einer hoch frequentierten und tiefen Briefliebe. In den Briefen erzählten wir uns alles über einander. Soile versuchte mir die Bedeutung ihres Namens zu erklären. Es wäre ein poetischer Ausdruck etwa für ‚Sonne des Nordens‘. Von Finnland hatte ich bis dahin nicht viel mehr gewusst, als dass es voller Seen wäre und seine Hauptstadt Helsinki hieße. Sibelius war mir allerdings ein Begriff, damals vor allem durch sein schönes Violinkonzert. Tino hatte öfters wertschätzend die Finnen erwähnt wegen ihrer besonderen Tapferkeit. Von Turku, dahin adressierte ich meine Briefe, hatte ich nie zuvor gehört. Mein Geographielehrer dürfte vielleicht doch nicht ganz Unrecht gehabt haben mit dem Vierer für mich. Soile war ziemlich erstaunt, als ich fragte, ob ihr Rückflug über Oslo gegangen wäre. Von Soile wusste ich nur, dass sie Sachbearbeiterin für Auslandschäden bei der Sampo Versicherung war. Wenigstens von ihrer Arbeit hatte ich eine einigermaßen zutreffende Vorstellung. Zuerst wunderte mich, dass die Auslandschadenabteilung der Sampo in Turku war und nicht in Helsinki. Dann lernte ich, dass früher Turku Finnlands Hauptstadt gewesen war, bis es Anfang des neunzehnten Jahrhunderts unter russische Herrschaft geriet. Es war Zar Alexandeer I., der Helsinki zur Hauptstadt machte. Die neue Hauptstadt war damals eine unbedeutende Ansiedlung, doch lag sie relativ näher an Sankt Petersburg, der Residenz des Zaren, nur 390 Kilometer, gegenüber 550 nach Turku. Wenngleich Helsinki seither kontinuierlich zur Metropole herangewachsen war, blieb Turku doch so etwas wie die geheime Hauptstadt. Manche, vor allem alttraditionelle Institutionen hatten ihre Zentralen weiterhin in Turku. Soile berichtete über ihre Dienstreisen in jenen Tagen nach Kopenhagen und nach Helsinki. Sie war Vorsitzende der SOS-Gruppe, das ist eine von den skandinavischen Versicherungsgesellschaften gegründete Tochter mit Sitz in Kopenhagen, die sich mit Hilfe für Skandinavier befasst, die im europäischen Ausland aus verschiedenen Gründen gestrandet sind, ähnlich dem ÖAMTC bei uns.
Nachdem ich Soile einmal „meine Sonne“ tituliert hatte, fragte sie etwas betroffen zurück, ob ich mit Gharibeh über sie gesprochen hätte. Er wäre es nämlich, der sie regelmäßig „Sonne“ nannte, seit auch er nach der Herkunft ihres Namens gefragt hätte. Als ich das las, hatte ich einen Anflug von Eifersucht, die ich zu verscheuchen versuchte, indem ich mit einer übersteigerten Farce antwortete:
Ich habe nicht mit Garibeh über uns gesprochen und werde das auch nicht tun. Es wird nicht mehr möglich sein, denn bald wird der Elende aufwachen und tot sein, denn ich werde ihn eigenhändig ermordet haben, weil er Dich „Sonne“ nennt. Und überhaupt, immer, wenn Du ihn triffst!? Wann immer triffst Du ihn denn? Könnte es sein, Du triffst Gharibeh und mich nicht? Ich werde ihn zerhacken und seine Stücke in die Mur werfen, dann wird auch seine Wohnung frei und ich kann ab Februar dort wohnen, wenn ich hier ausziehen muss. Und fortan werde ich zu Dir „Sonne“ sagen und zwar immer, wenn ich Dich treffe!
Ich zweifelte, ob Soile verstehen können würde, als ich versuchte, ihr zu erklären, dass ich Annamaria immer noch sehr schätzte trotz der verfahrenen Lage. Das konnte sie. Auch sie selbst schätzte immer noch ihren Mann, der ihr ein guter Gatte wäre, und es würde ihr sehr schwer fallen, ihm ein Leid zuzufügen. Ilkka wäre Richter in Turku. Soile schrieb über ihre Töchter Sanna und Kirsi, siebzehn und vierzehn, die eine kurz vor der Matura, die andere am Beginn der Oberstufe. Es war klar, wir befanden uns in Beziehungen und Situationen, die uns diese Liebe verbaten. Trotzdem war es uns unmöglich, voneinander zu lassen. Die Liebe war stärker als die Vernunft.
Soile schickte ihre Briefe per Luftpost. Sie warf die Briefe in einen bestimmten Postkasten in einem Einkaufszentrum nahe dem Sampo-Haus. Die Briefe waren mindestens vier Tage unterwegs, so wie meine. Wir schrieben in Deutsch. Es geriet Soile hervorragend. Sie hatte eine sehr hübsche Handschrift mit finnischem Einschlag, den kannte ich von früher, die finnischen Brieffreundinnen meiner Jugend. Manchmal rief Soile mich an, aber die Rede stockte. Nicht weil wir Englisch sprachen. Meistens war ich nicht allein, war ständig auf der Suche nach einem unverbindlichen, möglichst geschäftlich klingenden Dialog, durchsetzt mit vielen Pausen, die mir peinlich waren. Was ich wirklich sagen wollte, musste ich mir verbeißen. Ich bevorzugte das Schreiben. Da konnte ich vieles, alles sagen, ohne Pausen. Andererseits, Soile lachte immer so herzlich am Telefon. Ich verstand nicht immer, warum, aber ich liebte dieses Lachen. Bald konnte ich es auch aus ihren Briefen heraushören.
Ich genoss mein Junggesellenleben in Graz. Die morgendlichen Spaziergänge mit Sepp durch die nebelige Stadt. Unsere gemeinsame Tagesarbeit im Büro mit den feschen Sekretärinnen und dem schrulligen Gott. Frau Putzi und ihre Mittagsküche waren in Oberlaa zurückgeblieben. Wir holten uns mittags einen Imbiss aus einem Laden. Nur gelegentlich gingen wir in die Leonhardstraße in den Schwarzen Adler. Dunkle Holztäfelung die halben Wände hinauf, schwere Holztische. Das urige Lokal war immer bummvoll, doch sorgte die flotte und geschickte Bedienung dafür, dass man ein sehr gutes, einfaches bürgerliches Essen in der knappen Zeit der Mittagspause schaffte. Nach dem offiziellen Dienstschluss blieb ich meistens länger im Büro. Reichlich Arbeit rechtfertigten die Überstunden, die zwar nicht bezahlt wurden, doch entlohnte ich mich selber mit kostenlosen Ferngesprächen nach Turku. Meistens blieb ich so lange, bis es Zeit war, in die Stadt zu spazieren, um spontan, je nach Lust und Laune, die Oper, den Stefaniensaal, das Schauspielhaus oder die Musikuniversität zu besuchen. Das Schöne war, dass man in der Regel Karten nicht wie in Wien lange im Voraus beschaffen musste, unsicher, ob man später auch wirklich bereit sein würde für das gebuchte Event. In der Uni hörte ich mir Probeabende der Studierenden aller Fachrichtungen an. Das war überaus lehrreich und außerdem gratis. Neben einigen Mitstudierenden und Angehörigen gab es ein kleines Grüppchen von Personen, Musikbegeisterte wie ich, die sich bei solchen Gelegenheiten immer wieder trafen. Meiner jeweiligen Stimmung folgend ging ich da- oder dorthin, manchmal aber auch einfach in meine WG zum Radio, nicht ohne unterwegs ein frisches Rindschnitzel und Chicorée einzukaufen. Das war mein liebstes privates Abendessen: Einen Aperitif hatte ich immer vorrätig, ebenso eine Flasche Wein zum rohen Fleisch, und Salat, verfeinert mit Salz, Pfeffer und Olivenöl. Ob die Musik aus dem Radio kam oder live von Ausführenden, ein Brief an Soile mit allen damit verbundenen Träumereien ging sich danach immer noch aus.
An den Wochenenden pendelte ich nach Götzendorf, meistens mit der Bahn. Ich konzipierte Briefe auch in der Bahn, kritzelte mit Bleistift auf Papier, strich halbe Seiten wieder durch, fand andere Formulierungen, zerknüllte unzufrieden ganze Seiten und begann von vorn. Jedes Mal, wenn es über den Semmering ging, wurden die Zeilen noch wackeliger. Ich wusste nicht recht, ob das an den Kurven lag oder an dem Zucken in Soiles Augen, dem Beben in ihrem Körper, Symptome, die zuverlässig auftraten an der steirischen Grenze.
Annamaria hatte ihre jetzt schwerst kranke Mutter aus Bozen zu sich geholt. Ihre berufliche Reisetätigkeit hatte sie weitgehend eingeschränkt, sich mehr auf schriftliche Arbeiten daheim verlegt. Die Schwiegermutter belegte mein Bett in unserem Schlafzimmer. Ich schlief auf der Bank in der Veranda. Lieber wäre ich in Graz geblieben, doch spürte ich, dass Annamaria meine wenn auch kurze Anwesenheit brauchte, um zwischen der Pflege ihrer Mutter und Marios etwas Abwechslung zu haben. Der Mann, der meine Frau so sehr brauchte, ihre Mutter und ihren Sohn brauchte er offenbar nicht. Es liegt auf der Hand, dass mir die Wochenenden in Götzendorf eine schreckliche Last waren, zusätzlich bedrückt vom Geheimnis des frischen Volltreffers an meinem Herzen.
Soile, meine Liebe!
Wieder fährt ein Zug durch die Nacht. Einen anderen Menschen trägt er zurück nach Graz als jenen, den er nach Götzendorf gebracht. Unser Telefongespräch von Freitagfrüh, Du hast es vielleicht bemerkt, ich war sicher und guter Dinge. Ich war ich. Die vergangene Woche in Graz, ungestört an Dich denken können, die telefonischen und brieflichen Kontakte mit Dir, das hat mich zurückfinden lassen zu mir selbst. Den Freitag hat das noch angehalten. Nachdem wir telefoniert hatten, fuhr ich mit Mario nach Wien zu meiner Mutter. Sie wohnt zusammen mit meiner Großmutter, die heuer neunzig Jahre alt geworden ist. Mein Vater ist 1978 gestorben. Meine Mutter freut sich natürlich über jeden noch so kurzen Besuch von mir. Fürsorglich hat sie mir ein paar Sachen vorbereitet, die ich nach Graz mitnehmen sollte. Wir blieben über Mittag, aßen zusammen, Mario auf meinem Schoß. Dann legten wir Mario ins Bett. Er schläft üblicherweise eineinhalb Stunden. Oma setzte sich zu ihm und hielt Wache. Ich hatte also Gelegenheit, um mit der Mutter ungestört zu plaudern. Damit Du besser verstehst, was ich Dir sagen will, muss ich vorausschicken, dass unsere Mutter-Sohn-Beziehung nicht ganz ungetrübt ist. Meine Mutter ist äußerst sachbezogen. Die Objekte ihrer Liebe braucht sie in ihrer Nähe, braucht die Berührung mit ihnen, ihre Zärtlichkeit. Die Entfernung, Liebe ohne Worte, Zärtlichkeit in der Fantasie, das ist nicht ihr Ding. Deshalb hat sie sehr gelitten und leidet jetzt nach zehn Jahren noch am Tod ihres Mannes. Sie versucht immer wieder, ihre Liebe zum entfernten Sohn an Sachen zu hängen und an Worte. Viele Sachen und viele Worte. Ich hingegen bevorzuge, wie einst mein Vater, das stille Einander verstehen, das alle Worte und Sachen überflüssig macht.
Also bin ich die längste Zeit Zuhörer, wenn ich die Mutter besuche. Dann wundert sie sich und es schmerzt sie, dass sie wenig über mich weiß. Diesmal habe ich weniger zugehört. Ich habe selber geredet. Ich wollte ein Zeichen setzen, die Zärtlichkeit eines erwachsenen Sohnes anbringen, wie sie meinem Verständnis entspricht. Ich habe meine Mutter ins Vertrauen gezogen, was meine Liebe zu Soile anlangt. Ich habe gesprochen wie ein Kind, das seiner Mutter ein seltsam berührendes Erlebnis schildert. Und die Mutter hat das Signal verstanden, das konnte ich sehen.
(Heute ist mir bewusst, wie sehr ich meine Mutter belastet habe mit meinem Geständnis. Sie, die immer alles richten wollte, nein, musste, sie konnte nichts unternehmen, nein, durfte nichts unternehmen, um die Lage günstig für ihr Kind zu beeinflussen. Dazu die neue Unsicherheit über die Zukunft ihres Sohnes…)
Soile, Du brauchst keine Angst haben, ich war nicht unvorsichtig. Eher würde meine Mutter sich die Zunge abbeißen, als irgendeine unpassende Bemerkung an falscher Stelle zu machen. Ich konnte mir diesen Liebesbeweis ohne weiteres erlauben, denn – wenn sie auch viele Worte macht – ihres Schweigens in diesem Punkt bin ich mir absolut sicher. Ohne Einschränkung verständnisvoll hat sie es aufgenommen. Mehr noch, schon ist sie mit mir besorgt, weil es doch schwierig für uns sein wird, unseren Sehnsüchten Erfüllung zu verschaffen. Würden wir dabei jemals Unterstützung benötigen, mit der ihren könnten wir jederzeit rechnen. So ist meine Mutter: Da sie weiß, dass ich Dich liebe, so liebt Dich auch schon sie.
Diese Unterredung war durchaus geeignet, meine Selbstzweifel zu zerstreuen und so war es auch. Guten Mutes fuhr ich mit Mario wieder nach Hause. Unterwegs musste ich mehrmals anhalten, weil mein kleiner Sohn mich zum Besten hält. Mindestens dreimal hat er „Pipi!“ gerufen. Ich jedes Mal an den Straßenrand, Warnblinker an, Türen auf und Hose runter, aber Mario lacht nur und sagt „nein, nein!“
Der Rest des Wochenendes zuhause war schrecklich. Wahrscheinlich bin ich selbst schuld, aber die Situation ist so, ich glaube, ich werde kleiner von Minute zu Minute, zuletzt könnte ich vermutlich durch den Abfluss der Badewanne weggeschwemmt werden. Am leichtesten war noch der lange Spaziergang mit Mario im Kinderwagen durch die schon recht kalte Herbstlandschaft. Der Sonntag schien endlos, obwohl ich lange geschlafen hatte und den Zug um viertelacht nehmen musste. Die Fahrt war schweigend. Fünf Männer im Abteil. Einer las Kishon, ein anderer Zeitung, der dritte bearbeitete einen Laptop, der vierte schlief. Ich versuchte, mit Gharibehs Wälzer über Schadenersatz in Italien weiterzukommen, war aber nicht bei der Sache. Meine Gedanken drehten sich im Kreis. Im Zentrum warst Du, meine Liebe, aber ich war noch beeinträchtigt von den Stunden daheim. Schließlich legte ich das Buch weg und begann diesen Brief. Das hat geholfen.
Inzwischen ist es nach Mitternacht. Ich fühle meine Kräfte langsam zurückkehren. Die Gedanken an Dich geben mir Mut. Eine neue Woche kommt. Ich werde arbeiten und Du wirst mein Herz ausfüllen. Alles wird wieder bessergehen, denn wenn auch die kommende Woche uns nicht zusammenbringt, so werden wir dem unaufhaltsamen Wiedersehen doch um diese eine Woche näher sein.
Soile, es tut mir leid, dass dieser Brief so schwermütig ist. Verzeih! Auch mag er den Eindruck erwecken, dass meine Liebe zu Dir etwas mit Flucht aus meiner Situation zu tun haben könnte. So ist es nicht! Ich will vor nichts und niemandem fliehen. Die Liebe ist plötzlich und unerwartet gekommen, nur weil wir uns auf einmal gegenübergestanden sind. Mit meinen sonstigen Lebensumständen hat sie nichts zu tun. Sie ist der Blitz aus heiterem Himmel. Und sie musste zuerst sich in mein Herz senken, um meine Lebensumstände in ein neues Licht zu setzen. Die Liebe macht mir die Differenz klar zwischen Soll und Haben und ich werde vielleicht eine Weile brauchen, um mit dieser Bilanz zurande zu kommen.
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7. November 1988
Dank auch für Deine Schilderung über Dein Zimmer. Es war genauso wie ich es schon mir eingebildet hatte. Eigentlich bin ich ja auch oft dort gewesen! Oder hast Du es nicht bemerkt? Eines Tages werde ich Deine Garnitur probieren mit Dir. – And I would like to come!
Vielleicht erzähle ich auch wie ich wohne, mit der Familie, ich habe nicht eine eigene Stube irgendwo. Wir haben also ein Haus. Es hat zwei Stockwerke, ist aus Holz gebaut, aber mit Ziegeln verkleidet. Oben haben wir Zimmer für die beiden Töchter, Schlafzimmer, eine kleine Küche, Speisezimmer und Wohnzimmer. Unten gibt es noch die Sauna (notwendig in Finnland), eine Backstube und „Bibliothek“ sowie Vorrat und Heizungssysteme. Wir wohnen dort seit 8 Jahren. Wie Du jetzt verraten kannst, haben wir viele Bücher. Es gibt allerlei: Philosophie, Geschichte, Romane, Gedichte, Detektivromane. Die ältere Tochter Sanna spielt Klavier und singt, die jüngere Kirsi spielt auch Klavier und hat begonnen Gitarrenspielen zu lernen. Ich spiele kein Instrument.
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Fertig, mein Schatz, Du kannst kommen! Ich habe die Stube gefegt. Nein, nein, nicht so oberflächlich. Ich habe zuerst Wände und Decke abgekehrt, dann alle Möbel auf die eine Seite gestellt, gefegt, dann auf die andre, weiter gefegt, den Teppich am Fenster ausgestaubt, die Möbel an ihren Platz gestellt, noch einmal gefegt. Da staunst Du, was? Jetzt ist ein Drittel des Staubes draußen, ein weiteres Drittel in meinen Atemwegen, der Rest fein verteilt in der Luft. Ich habe mein Bestes gegeben. Du kannst kommen, Soile.
Vorher war ich in der Musikhochschule. Es gab einen Liederabend. Studierende üben den konzertanten Ernstfall. Ich mag diese Klassenabende sehr. Gerade weil die Leistungen von der Perfektion noch ziemlich weit entfernt sind, kann man sehr viel lernen dabei. Es wird offenbar, wie schwierig das Metier ist, und man lernt die wirklichen Meisterleistungen der Großen erst so richtig zu schätzen, die sonst allzu oft wie selbstverständlich aufgenommen werden. Man merkt, wo die Schwierigkeiten liegen und bekommt ein hellhöriges Ohr dafür. Heute gab es Schumann-Lieder. Sehr romantisch! Das hat ausgezeichnet zu uns gepasst. Wie schade, dass Du nicht da warst!
Wie üblich, 0 Uhr 50. Wieso bin ich nicht müde? Morgen Abend schaue ich mir Hamlet an. Kommst Du mit?
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18.11.88
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You are an expert of music, so I could tell you something about music in Finland. I think that since it is not as long ago when we Finns got out of the forests we don’t have such tradition and knowledge about music as you have. And our taste for music is perhaps a bit „rough“. We try to improve though. – There is only one opera house in whole Finland and it is in Helsinki. It is also a small one, but they just started to build a bigger and better house. There is also opera in Savonlinna, an ancient castle in the middle of Finland where they have opera festivals during summer time. It is almost impossible to get tickets to these and if you do it costs a lot of money. Besides you then had to travel there and stay overnight somewhere. We have never been there except for our daughter Sanna who had the chance last summer with some family friends. She enjoyed it very much.
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Oh, what an expert on music I am! Soile, this makes music such a splendid thing, that it doesn’t care for experts. Of course, experts you will find at any discipline, and music houses a good lot of them. But most experts on music are tourists in the music land writing excellent guides for other tourists. Those, to whom music is their real homeland, are not experts of music, but experts of heart. Yes, tradition and knowledge are experts’ tools. But I guess, the foresters’ tools, their rough hearts work better. May the experts know, lovers will always love better.
Savonlinna sounds very interesting in my ears. It must be very similar to Glyndebourne. Savonlinna, I guess, could be a marvellous experience for me (us?!!)
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21. November 1988
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Sei nicht traurig oder ängstlich für mich, dass Du mit Deiner Mutter über mich oder unsere Liebe geredet hast. Es ist so gut die Mutter noch zu haben und mit ihr reden zu können – Ich habe auch das Gefühl, dass ich einen Mensch haben sollte, mit wem ich alles teilen könnte, was ich im Herzen trage. Ich habe die zwei Schwester, die doch nahe zu mir sind, aber sie würden nicht verstehen. Sie sind ja richtige Familienmütter, wenn auch sie arbeiten außer Hause gleichfalls. Also, ich werde bis auf den Moment warten, wenn ich mit Dir richtig allein reden kann.
Du warst vielleicht etwas erstaunt, dass ich eine Reise als Geburtstagsgeschenk bekam. So war auch ich selbe. Vielöleicht war es jedoch darauf zurückzuführen, dass ich einige Mal gesagt habe, dass immer als ich allein reise tue ich es dienstlich, mein Mann aber auf Urlaub. Nächstes Frühjahr im Mai wird er wieder allein nach New York reisen, und ich habe gesagt, dass es nicht ganz richtig sei. Also glaube ich, dass es deswegen war. – Ich werde jetzt näher erkundigen, welche Möglichkeiten und Zeiten ich habe für diese Reise.
Du hast geschrieben, Du wirst verrückt. Ich glaube, dass wir beide verrückt sind. Vielleicht bin ich es immer gewesen, aber jetzt kann man es richtig sehen. Wie hast Du es wieder genauso gedacht wie ich? Die Vorstellungen und die Realitäten. Was tun wir, wenn die Realität nicht unsere Vorstellungen entspräche. Was bleibt dann? Ich weiß: Eine wunderbare Zeit die nicht vergebens gewesen ist. Und was tun wir, wenn die Realität den Vorstellungen entspricht? Nach einer Woche irgendwo, wo alles wie ein Traum gewesen ist und wir zurück zu den wirklichen Realitäten müssen, was dann?
- Hier hast Du angerufen und ich weiß nicht, was ich jetzt schreiben sollte. Ich bin sehr sehr glücklich und kann sogar mich etwas ertragen. Du aber soll nie mich als jemanden aus der „upper class“ betrachten. Ich kann hier rerzählen, dass mein Vater ein Bussfahrer war und meine Mutter nach dem Tod meines Vaters in einem Krankenhaus für Geisteskranken arbeitete. Also bin ich ein ganz gewöhnlicher Mensch, trotz den Vorsitzendenposten. Ich hoffe, dass Du mich trotzdem lieb hast.
Jetzt hat auch der Nachtwächter hereingekuckt. So vielleicht sollte ich noch ein paar Akten durchsehen und dann heraus. Ich wollte Deinen Brief noch heute aufgeben. Vielleicht würdest Du ihn dann diese Woche erhalten.
Diesmal kann ich nicht nur an Dich denken, als ich nach Hause fahre, weil Kirsi sicher allerlei Sachen erzählen will. Aber dann später! Und früh am morgen auch, dann habe ich eine ganze Stunde, bevor ich die anderen wecke, wenn ich Dich ganz nahe zu mir haben kann. Bis dann, mein liebster Rainer.
Deine Soile
Soile, kukka hellä!
Kann ich nicht Nachtwächter bei Euch sein? Der Glückliche! Er brauchte nur Deine Tür zu öffnen und hineingucken. Und da hat er Dich gesehen, so auf ein paar Meter! Und Du hast aufgeblickt, einen Moment lang hat sein Blick sich getroffen mit Deinem pair of witty eyes! Hast Du etwas gesagt? Terve, terve? Hei? Moi? Er konnte Dich hören ohne zwei Millionen Meter Draht dazwischen! Was ist mit dem Armen? Wo ist er interniert? In welche Art von Wahnsinn ist er verfallen? Ist er aufs Dach geklettert und hat seine Uniform auf die Straße geworfen? Oder ist er zum Generaldirektor gelaufen, um ihm – „ich liebe sie“ – einen dicken Kuss auf die Glatze zu schmatzen? Oder hat er sich nur ganz still vor Deine Tür auf den Fußboden gesetzt, leise vor sich hinweinend? Auch ich habe Dich ja in meinem Leben kurz sehen können. Und diesen Knacks habe ich davongetragen: graue Zettel immerzu mit himmelblauen Strichen und Kurven anfüllen zu müssen. Unmengen von himmelblauen Linien auf Massen grauen Papiers! Meine Manie hat sich in rascher Progression entwickelt, seit ich hier in dieser Grazer Anstalt festgehalten werde, wo man versucht, mich mit lächerlichen Geschichten – Auto patsch bumm! – abzulenken. Aber – hihi – sie haben keine Ahnung, dass ich nachts heimlich weiterkritzle! Kritzle und kritzle, hoho! Heute hatte ich allerdings einen schweren Anfall: Ich habe diktiert in die Diktiermaschine. Aber statt Auto patsch bumm ist immer nur herausgekommen: Soile, kukka hellä! Rakastan hänet.
Wie war denn das, als Du den Bon für die Reise bekamst? Sind alle um Dich herumgestanden und haben gewartet, ob Du Dich auch freust? Und wie ist es Dir gegangen? Hast Du gleich begriffen, was Dir da geschenkt wurde? Und wie hast Du reagiert? Glaubst Du nicht überhaupt, dass Deine Umwelt nicht merkt, daß etwas mit Dir geschehen ist? Töchter sollen eine gute Antenne haben für derlei Dinge.
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Soile, meine Liebe!
Endlich kann ich mich Dir widmen! Das ganze Wochenende hatte ich so großes Bedürfnis danach, aber – keine Chance.
Also, ich fuhr wie geplant am Freitag nach Götzendorf, kam dort am Nachmittag an. Noch rechtzeitig. Denn kurz vor sieben Uhr ist Annamarias Mutter gestorben.
Nein, meine Soile, kein Beileid an mich! Erlösung von unsäglicher Qual bedeutet dieser Tod für die schwer Gepeinigte, Erlösung aber auch für uns. Nur für Annamaria sind diese Tage noch schwerer als die bisherigen. Beileid also einzig ihr! Annamarias Mutter wird in Locara bei Verona beigesetzt, wo sie auch zur Welt gekommen. Das Begräbnis wird, soweit jetzt absehbar, am Freitagnachmittag stattfinden. Ich bin heute mit dem Auto nach Graz gefahren. Donnerstagabend wird Annamaria mit Mario per Bahn nach Graz kommen. Freitag früh fahren wir miteinander nach Locara. Ich werde danach, vielleicht am Samstag, nach Graz zurückfahren. Annamaria wird mit Mario zur Familie ihrer Schwester nach Bozen reisen und etwa vierzehn Tage dortbleiben. Unser Haus in Götzendorf wird inzwischen von unserem polnischen Mädchen gehütet. Soweit die Pläne, jetzt bin ich gespannt, ob alles auch so klappt.
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Soile, meine Liebe!
Hier bin ich, zurück in Graz in meinem Zimmer. Draußen ist dichter Nebel, die Temperatur um den Gefrierpunkt, also ideale Voraussetzungen, um diesen Sonntag mit Dir zu verbringen hier am Schreibtisch.
Auf der ganzen Reise hat mich der Wunsch begleitet, daß Du bei mir wärst, im Gedanken habe ich Dich an meinem Arm geführt und Du hast es Dir gefallen lassen und Dich an mich gedrückt, Wärme suchend, Wärme findend.
Träume! Die Wirklichkeit war anders. Ich habe Dir schon am Telefon erzählt, daß Annamaria nach einem Schwächeanfall ins Krankenhaus nach Eisenstadt gebracht worden war. Von dort habe ich sie Donnerstag früh mit Mario und Ulla abgeholt. Es hat bis mittag gedauert, bis die Formalitäten erledigt waren, dann fuhren wir auf eisiger Straße durch den winterlichen Bergwald nach Götzendorf. Annamaria atmete etwas ruhiger, sah aber immer noch aus wie ihr eigenes Gespenst. Sie bestand darauf, trotz ihres schlechten Befindens die Reise nach Locara zu machen. Wir packten also in aller Eile das Nötige und reisten gegen 15 Uhr 30 ab. Wir fuhren an Graz vorbei und Klagenfurt, dann bei Tarvis über die Grenze. In Pontebba übernachteten wir. Freitag früh ging es unter strömendem Regen weiter: Udine, Venedig, Padua, Vicenza, schließlich Locara. Locara ist ein kleiner Ort an der Bahnlinie Mailand – Venedig. Wenn man hinkommt, ist man jedesmal wieder überrascht, weil das Land langsam zu verschwinden scheint unter den sich neu ausbreitenden Fabrikshallen. Dennoch wird die Gegend immer noch geprägt von der Landwirtschaft. Feldfrüchte und Wein, gezogen in kleinen und mittleren Betrieben. Auch Annamarias Familie entstammt diesem Umfeld. Die meisten Onkel und Tanten sind in ganz Oberitalien verstreut (Udine, Vicenza, Bergamo, Aosta, Genua, etc.), weil der Boden in Locara natürlich nicht genug hergab für die ganze zahlreiche Familie. So sind auch Annamarias Eltern nach Bozen in Südtirol gelangt. Das deutschsprachige Südtirol ist ja als Folge des Ersten Weltkriegs zum italienischen Siedlungsgebiet geworden, wo massenhaft italienische Arbeitssuchende in neu geschaffenen Industrien Beschäftigung fanden. Nur eine Tante müht sich noch ab in Locara mit ihrem kleinen Feld und Weingarten, daneben muss sie ihren schwer behinderten Mann pflegen. Ihre Tochter hat einen der größeren Bauern im Ort geheiratet, der versucht durch Modernisierung und allerlei neue Produktionszweige schrittzuhalten mit der Zeit. Seine neu errichtete Scheune aus Stahlbeton ist angefüllt mit Tabakblättern, die dort zum Trocknen aufgehängt sind. Zwei fast erwachsene Söhne müssen demnächst zum Militär, der kleinere spielt noch mit den Kätzchen.
Zentrum dieser in alle Winde zerstreuten Familie ist aber noch der Friedhof von Locara. Viele der Ausgewanderten sind schon hierher zurückgekehrt zu langer Rast, auf manche wartet er noch. Heute wird er eine der verlorenen Schwestern aufnehmen.
Ich weiß nicht, wie die Friedhöfe in Deinem Land aussehen. In Wien und Umgebung sind sie grau und trostlos, abstoßend, niedergedrückt von schwerem Granit. Anton Bruckner. Ganz anders in Italien. Irgendwo abseits der Ortschaft ist ein Acker auf allen vier Seiten umschlossen von einer Ziegelmauer. Sie umschließt einen Arkadenhof. Seine Bögen bieten Zutritt zur Innenmauer, die ganz mit Marmortafeln bedeckt ist, auf denen die Namen der dahinter bestatteten Verstorbenen eingraviert sind. Die Mauern sind weiß getüncht. An den meisten Gräbern brennen Lichter, alles ist bunt von Blumen. Es gibt auch Erdgräber auf dem Feld zwischen diesem Arkadenviereck. Ihre Namenschilder sind zierliche Platten aus dünnem weißem Marmor. Sind auch die Lichter elektrisch und die Blumen aus Kunststoff, das Gesamtbild ist hell, tröstlich und – ja, einladend.
Annamaria hat an jenem Freitag ihre Mutter der Heimat zurückgegeben. Sollte ich es bestimmen können, würde ich ihr wünschen, daß auch sie selbst eines Tages an diesen freundlichen Ort zurückkehrt. Für mein eigenes Lager habe ich keine besonderen Wünsche. Ich bin ein Wanderer. Ihre Heimat ist überall. Sie ruhen gut dort, wo sie einschlafen.
Die Beerdigung habe ich nicht miterlebt. Ich wachte beim schlafenden Mario. Würde er aus seinem verspäteten Mittagsschlaf erwachen, ohne ein bekanntes Gesicht zu sehen, nur die etwas furchterregenden derben Bauerngesichter der alten Tante und des behinderten Onkels, er würde bestimmt große Angst haben.
Während der Beerdigung sitze ich mit der Tante und dem Onkel in der Küche des Bauernhauses an dem groben Tisch. Die Tante holt ihren Rosenkranz hervor und beginnt zu beten. Wie eine Zauberformel, die sie nicht versteht, leiert sie die sich immer wiederholenden Verse herunter, in einem Tempo, als müsse sie einen Wettbewerb im Schnellreden gewinnen. Auf dem Tisch liegen einige Schachteln mit Medikamenten für den Onkel. Er weiß nicht, was es ist und wie sie wirken. Er nimmt sie halt. Die Tante betet, ohne zu wissen, was sie sagt und wie es wirken soll. Sie betet halt. Beide glauben, daß sie recht tun. Die Behinderung des Onkels besteht darin, daß er kaum gehen kann. Außerdem beginnt er – obwohl sonst völlig orientiert – immer wieder, anscheinend völlig unmotiviert vor sich hinzulachen, als habe ihm jemand einen köstlichen Witz erzählt. Die Tante sagt, es sei ihr lieber, er lacht, als daß er weinte. Leider verrät der Onkel niemals den Grund für seine Heiterkeit und das macht die Tante manchmal böse. Während die Tante ihren Rekordversuch im Schnellbeten fortsetzt, versucht der Onkel ihr zu folgen. Er schafft aber nur Gebetsfetzen, denn so schnell kann er nicht reden. Zwischendurch bricht er immer wieder in sein gewohntes Gelächter aus. In ihrer Litanei fortfahrend wendet die Tante sich brüsk ab. Das Lachen des Onkels ist so herzlich, dass ich mitlachen möchte. Grund dafür würde die bizarre Szene wohl bieten. Das Lachen des Onkels ist genial, mozartisch. Es scheint, als wisse er alles, kenne alle geheimsten Zusammenhänge und müsse eben deshalb über die Menschen und ihre verrückte Welt lachen. Rund wird das Gesicht des Onkels beim Lachen und offen, voll göttlicher Güte, alles wissend, alles verstehend, alles verzeihend. Ich glaube, der Onkel ist in seinem unbegreiflichen Lachen näher bei Gott als die Tante, wenn sie mit leeren Augen Formeln murmelt.
Mario hat die ganze Zeit geschlafen, bis die Verwandten vom Friedhof zurückkommen. Annamaria und Mario sind dann gleich mit ihrer Schwester und dem Schwager nach Bozen gefahren. Wir hoffen, sie kann sich dort etwas erholen.
An dieser Stelle kam Dein Anruf. Das war umwerfend! Jetzt bin ich wirklich zum ersten Mal auf meiner löchrigen Garnitur gesessen mit Dir. Und schon bin ich etwas unzufrieden, denn als Du schriebst, Du würdest eines Tages mit mir die Garnitur ausprobieren, habe ich mir etwas anderes vorgestellt. Zum Teufel mit allen Phantasien! Du hast mich mit einem Anruf überrascht und ich habe mit Dir reden können. Waren es fünf Minuten oder zehn oder fünfzehn? Ich weiß es nicht. Die Telefongesellschaft wird es wissen, wenn sie die Rechnung schickt. Eigentlich sind solche Gespräche sehr, sehr billig. Sie kosten nicht mehr als jedes gewöhnliche Telefonat, obwohl doch viel, viel mehr darin geschieht, viel, viel mehr hin und her geschickt wird. Mich wundert, dass bei dieser Spannung nicht die Leitungen schmelzen! Ich glaube, die Leute von der Telefongesellschaft haben keine Ahnung von der Liebe, sonst würden Liebestelefonate viel, viel teurer sein.
Ich stelle mir vor, Deine Familie hat beschlossen, den Nachmittag mit Schifahren zu verbringen. Natürlich solltest Du auch mitkommen und wärst wohl sonst auch nicht allein zuhaus geblieben. Aber Du warst ohnedies ein bißchen müde und hast überdies gedacht, geht nur, wenn ihr endlich alle draußen seid, kann ich versuchen, meinen Rakkaani anzurufen. War es so? Endlich ein unbelastetes Gespräch mit Dir! Ohne ständig achten zu müssen, ob jemand hereinkommt, zuhört.
Zurück zu meiner Reise. Ich blieb die Nacht bei Annamarias Kusine. Man stellte mir das eheliche Schlafzimmer zur Verfügung. Jede Widerrede war zwecklos. Es war fürchterlich. Das Bett ein Brett. Der Onkel hat ein Rückenleiden. Ich glaube, ich jetzt auch. Das Bad ohne Warmwasser, der Abfluß verstopft. Am Morgen fuhr ich rasch weg. Mein Pyjama habe ich vergessen. Wie der Onkel lachte ich laut heraus, als es mir einfiel.
Nachdem ich meinerseits den Friedhof besucht hatte, fuhr ich nach Chioggia. Das liegt am südlichen Ende der Lagune von Venedig. Eine wundervoll charmante Lagunenstadt. Sehr sehenswert! Von hier aus ist die Insel Pellestrina leichter zu erreichen als von Venedig her. Ich hatte dort mit dem Baumeister zu sprechen, der unsere Ruine aufbauen soll. Ich nahm einige Ansichtskarten mit, die Dir eine Idee vom Karneval in Venedig geben sollen. Können sie Dich nicht verlocken?
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29. November 1988
Rainer, Rakkaani!
So ist es also mit ihm, befürchtet, dass er alt wird und trotzdem Geburtstag jeden Monat haben will! Ist er jetzt wirklich am 3. Januar, wobei Du 44 Jahre alt wird? In so Fall bist Du jedoch ein wenig älter als ich, obgleich ich im Gegenteil dachte. Keineswegs hat es irgendeine Bedeutung.
Leider hatte ich keine gute Idee für ein Geschenk. (Du hast es ja sicher schon geöffnet, nicht wahr? Wenn aber nicht, so darfst Du!) Hier kannst Du jetzt jedenfalls ein Teilchen von Finnland sehen. In Helsinki habe ich während 1,5 Jahre gearbeitet, gleichweise in Vaasa. In Uusikaupunki (auf Deutsch Neustadt) bin ich geboren und bis den Alter von 22 Jahren gewohnt. Jetzt also arbeite ich in Turku seit Jahr 1972 und wohne in Tarvasjoki, die nicht einmal auf der Karte gemerkt worden war. Ich habe deswegen einen kleinen Punkt dort gemacht, so dass Du genau weißt wo ich abends bin.
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Es ist auch eine gute Sache, dass Du eine gute Vorstellungsbegabung hast um meine Gedanken und speziell das Gefühl ich für Dich habe in meinen Briefen spürst, obwohl ich nur die einfachsten Worte gebrauchen kann. Ich liebe Dich auch dafür. Manchmal ist das Schreiben auch schwierig, weil man nicht alles sofort auf dem Papier hat was man dachte und sagen wollte und dann verschwinden die Worte, nur das Gefühl bleibt.
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Jetzt muss ich wieder etwas fragen. Hättest Du an mich nach der Woche in Schladming angerufen, falls ich den „Toilettenbrief“ nicht geschrieben hätte? Du brauchst nicht antworten.
Dann zu anderen Sachen. Ich habe wieder die Broschüre durchgesehen und kann nun feststellen, dass die Reisen nach Riva, Malcesine beim Garda See und Riccione, die ganz nahe Venedig wären, erst Ende Mai oder Anfang Juni beginnen. Reisen nach Rom haben sie jede Zeit. Ich habe gedacht, dass ich die Reise nach Rom nehmen könnte und davon einen Wagen mieten nach Venedig oder mit dem Zug danach fahren. Was glaubst Du? Du kennst vielleicht einen guten Platz wo wir wohnen könnten in Venedig und könntest dieses ordnen. Wir könnten auch es so haben, dass wir einige Tage in Rom und einige in Venedig verbringen. Das geht jedoch aber nur, wenn Du eine Möglichkeit hast eine ganze Woche Urlaub zu haben. Wann beginnt die Periode des Karnevals und wie lange dauert sie? – Ach, dies macht mich ganz verrückt, als ich daran denke, Dich, die Reise mit Dir!
Noch eines muss ich fragen, aber sicher nichts mehr diesmal. Wie wird der Tod der Schwiegermutter auf die Angelegenheiten in der Familie auswirken? Jetzt hat Deine Frau mehr Zeit, weil sie nicht für ihre Mutter kümmern braucht. Wird sie trotzdem in Wien bleiben? Entschuldige, sowas darf ich nicht fragen, es geht mich nicht an.
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Auf Wiedersehen, Eroberer meines Herzens
Deine Soile
1.12.1988
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It’s also funny, here I feel a little guilty, although there shouldn’t be a bigger difference actually. Have you ever thought about guilt when we are concerned? I didn’t until now. I wonder why.
And then of course we had the chance to talk a little this week, thanks to your calls. Oh how I love to hear your voice at the other end, only it makes me want to cuddle you and that won’t go. – It is also good that we don’t yet have telephones, where you could see the other one, because my face always turns quite red when you call. It would be nice though to see you in that case as well.
Now I’m coming back again to those days we saw each other. I don’t know if you remember this, but it keeps coming to my mind. When you left me at the hotel in Vienna after the drinks we had together, you said “Ich mag dies nicht.” I have been wondering what it was that you didn’t like, because I thought that you were mad at me, and that was the last thing I wanted you to feel about me. Anyway, that was the thing that made me look up your name in the list of participants to the seminar and then to write my first letter to you. I was then also quite sure that I would never hear from you again. I even wanted to find your number in the telephone directory for Vienna, but there was no book in the hotel room. And then I had the husband around all the time. It was really a miracle that I could post your letter at all without him seeing it. It seems that you find the way if you really want to do something, or to have something.
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I have now been talking about me and my doings all the time. Perhaps I’m now learning to like myself! You have been the best of teachers. Maybe you shouldn’t have been that good and I would have been talking of something else, for instance you. – I’ll try to make it up for you. You can find the way for it, when we meet. Ok?
Now I’m going to make more questions again, because you like so much to answer them! Anyway, I get long long letters from you therefore. You should perhaps do that as well, if you wish to get longer letters.
Here comes the first one: Where were you born? (This time please tell the right place and country!) Have you got any sisters or brothers? If you have, where are they and what do they do? How about you, what did you do before you started to work for Avus, because , if I remember right, you haven’t been there for a very long time yet? – If you prefer, you can also tell me about these in Venice – or Rome at the same time as you are being my guide.- You could also tell me about the house you live in with the rest of your family in Vienna. That one I have not quite been able to imagine how it looks. Is it a typical Austrian with a balcony and lots of flowers in summer?
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Soile, ystävä kaunis, kasvotineen punaineen!
I wonder if this is correct, at least understandable. I’m quite sure it is neither nor. Alright, I wanted to address you “Soile, pretty friend with the flushing face (when I ring you up)! Hölyn pöly!
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I was in the music academy this evening again. It was a very cute program of Italian and Russian arias and Italian folk songs. The pieces gave me a lot to think about you and me and our Italian intentions. During the pause I took out your letters to read them. I must laugh at your joking about the misunderstanding around my birthday which you thought was in December and instead is in February! One thing I don’t understand: if it had been in December I should be much older! But, as it has to be when it is, in March, I’m a lot younger than you thought. Or maybe you thought it was last July that I got 44? Wrong! Really it will be in the October to come. Just in case you get an uncertain feeling about my correct birthday, I’ll show you my passport when we meet. There is written – wait a moment – I must look it up – yes: as I always said: 3-1-1945.
Oh no, now you have told me what is in the parcel. I swear, it is still as closed as it arrived. It is in my office in the locked desk. As you gave me permission, I wanted to open it. But in that moment I could not unlock the desk any more. Something’s wrong with the lock. Nobody could get it open, though we tried hard. I had to call for the repair shop. They promised to send someone over tomorrow (no – today – it is midnight) at eight. I must be on time or otherwise all the curious staff will gather to a public recital of those mysterious letters that continue arriving. Maybe they would have to move over to the conference hall due to the large number of participants. Tomorrow I’ll know more about your geographic biography, if they succeed to open the desk. If not, I’m going to break it up. I must find Uusikaupunki. I love it!
Soile, don’t worry about your influence on my career! Career to me has never been important, nor is it now. About the many phone calls nobody has mentioned a thing up to now, and maybe they never will. I got the impression they are rather satisfied with my work. And Italy? Now I am not at all very keen to go there soon. It would mean to live at home with my family every day, every night, and to have little time for letters to my sweet love. Sometimes I wish the situation as it is now should never end; only you should be here with me. However, you cannot get it all. And please, do not say, it would be easier for me without you. This is a naughty remark resulting from those days when you didn’t like yourself, and that’s over now, forever. But I pardon you. Now, my love, as you begin to like yourself, you must be sure that without you my life would be dull and dark. Wunschlos tot. Instead, my days and nights are now bright, overcast by that sweet Nordlicht which you are to me.
You want to know, if I had called you in case you had not written to me the funny letter from the Stephansplatz hotel. If I remember right, our letters crossed from the very beginning. My first letter to you, wasn’t it posted before I received yours? Also to clarify this I wanted to get into my desk today, no, yesterday. But I could not. Maybe I can get the proof later today.
(I looked it up now. It is as I said. First I sent you my first letter, then I received your toiletter.
As I read your letter during the pause in the academy, my mind began to form the answer, more or less as above. Then, suddenly, there was your last paragraph about the changes in my family life due to my mother in law’s death. This idea really struck me like an earthquake. At once, I realized that this in fact does make a huge change! Up to now, I was hoping the result would be a bit of a better life for Annamaria and Mario. Because they now could move around as they liked. Of course, this also means that I’ll have to watch out better, as surprises may occur now easily. Maybe, they come to Graz, or so. This is not so much a problem. But I was then concerned by the idea, whenever I would announce a journey now, for instance the next one to Italy, Annamaria might wish to come with me!!! I’m rather sure she would. A few days in Rome is not a thing she leaves behind, when she has the chance. Therefore, I really must look to find a proper excuse. Don’t be scared now, my dear love, of course I’m going to find a solution for that. It is as you said: if you really want something, you will find a way.
These thoughts lead directly to another issue you mentioned. The question of guilt. Yes, Soile, I did have the feeling of guilt, sometimes. It happened in those moments when I saw that Annamaria needed my love, not respect, to overcome some difficult situation. How could I give to her what I have already given away completely to you? In such moments, I did feel guilty. On the other side, I felt that I couldn’t do anything about it. Is it avoidable to fall in love? The only way to avoid is to commit suicide, either physically or mentally. There is so much lack of love in this world. If love luckily happens to appear to you, isn’t it the bigger crime to kill it, than to face it, simultaneously trying to keep away harm from those possibly concerned?
Well, that’s only the surface of the problem. The next dimension of the problem will be, what happens, if you fail to keep away harm from those concerned, if they find out, which easily can happen in many ways. Will you be able to bear the other’s grief? How could you ever find consolation for him/her? Can you take responsibility for the suffering of the children from a ruined home atmosphere? You absolutely cannot. Therefore, you ought to kill your love in some way or the other.
Soile, my love, as concerns me, I’ve gone too far to step back from my way towards you. My deviation towards you came surprisingly and the descent is steep and slippery. I cannot find hold. I’m not looking for hold. I just rush towards you and nothing – if not yourself – will ever stop me. Kill my love? Never. Rather guilt for an eternity than miss one minute of love, the only purpose of mankind’s existence. Am I a devil?
But that’s not all, yet. There is still another dimension. For how long, if all goes well, will you be able to live and love with hiding away? A few months? A year? Ten? Won’t there come the moment, when you just have to resign? How will your beloved act in such situation? Would there be the chance to make a new couple out of it? At the cost of two other burnt out bulbs to be left behind? Look, Soile, we are going to make either a most beautiful experience or a most horrible one, but for sure, of whatever most.
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Oh, I have to explain, what I didn’t like, when I had to leave you there in the hotel hall? It was not clear for you, because it was the time when you didn’t like yourself, my dear. Meanwhile, you should have found out, because I showed you that you are not so horrible a girl as you thought you were. I’m sorry, this gave you sort of retard sorrow for such a long time. What else could I have meant than that I hated to go away from you, but I must. I hate farewell scenes in general, but farewell to you, that’s beyond all limits! I wonder if I had been able to leave you behind like that, if I had not felt awful for my overnighted, unshaved shape.
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Carnival in Venice endures the same period as anywhere; from January until the Tuesday before Ash Wednesday (is that the word? – the Wednesday that opens the 40 days period before Easter). Carnival is like a steady crescendo from January to that Tuesday which is the climax. The nearer to that Tuesday, the more masks and noise and people. Venice is worth while at any time, but I prefer it with as few tourists as possible. I don’t know your voucher, but I think I could manage to stay away for a week. If you fly to Rome, the most convenient way for you to continue would be a domestic flight right to Venice. I don’t think they are expensive. Otherwise, railway is really cheap in Italy, but unfortunately trains seem to never arrive. I could also collect you by car. But the idea to hold the steering wheel all the time and to watch out for the road, while my eyes long to swim in the lake of yours and my hands on the way to discover the landscape of little Finland, I should rather not. Of course, we could as well stay in Rome, if you like, or go to Florence and/or Lucca and/or Siena, which are real jewels among Italy’s cities. In that case, it would be really better to travel by car. Maybe, on our way we would find some unknown quiet and beautiful place, just made for you and me to hide away from the rest of the world.. I think, I pointed out some different possibilities, so just close your eyes and try to find out what you prefer.
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Thursday is a holiday here; I got a long weekend. I shall go to Bozen on Thursday, probably by train (it takes over eight hours from Graz) and back on Sunday. So I’ll be able to answer your other questions on the train.
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Conqueror of my heart, you call me. So it is really mine? I can hardly believe it, although I feel that you mean it. What did I do by which I conquered your heart, Soile? Nothing in any way similar to the usual activities of conquering. Nothing have I done I meant to do. It all happened to me. I just fell in love with you. Now I love you, because I must. Where is the heroism in this? I suspect you to be the real maker of my love. You handsome, charming, enchanting, exciting little person around that pair of witty eyes, you are the cause of all my love, and then you maintain I had conquered your heart. The word conquer means somehow against your will. But what makes your heart mine is your free and yet decided will to be mine. This makes your heart so precious for me!
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Wunschlos glücklich in stumpfen Jahren
war ich, oder wunschlos tot?
Da bist du in mein Herz gefahren
wie ein Blitz im Abendrot.
Seit ich mich durchs Leben quäle,
habe ich dich schon gesucht.
Oszilliere, Finnlands Frucht,
süßes Nordlicht meiner Seele!
Im Zug, 8. Dezember 1988
Hallo Soile, meine Liebe!
Ich sitze seit vier Stunden in diesem Zug. Es ist kurz nach Mittag. Wir befinden uns gerade im Bahnhof von Spittal/Drau, also noch in Kärnten. Wie ich in den Zug hineingelangt bin, weiß ich nicht genau. Ich wundere mich, daß ich überhaupt hier bin. Wie ich in der Früh aufgewacht, aufgestanden, zum Bahnhof gefahren bin, ist mir auch nicht mehr in ganz klarer Erinnerung. Wahrscheinlich habe ich es im Halbschlaf getan und mit einer beträchtlichen Menge Restalkohol im Blut. Ja, nach meiner langen Briefnacht am Mittwoch gab es gestern noch eine lange Nacht. Erst gegen halb vier Uhr früh bin ich heimgekommen. Herr Gotschuly, mein Abteilungsleiter (kennst Du ihn? – wir nennen ihn einfach „Gott“), also Gott lädt einmal im Jahr seine Mitarbeiter zu sich nach Hause zu einem geselligen Abend und das war also gestern der Fall. Entgegen manchen Prognosen von verschiedenen Seiten ist es ein recht ansprechender Abend geworden, was auch an der Länge der Nacht erkennbar ist. Privat ist Gott äußerst umgänglich. Er hat eine liebe, gütige Frau (Lehrerin) und zwei schon fast erwachsene Söhne. Außer meinen nächsten Kollegen war da noch ein Kfz-Sachverständiger (sehr lustiger Kerl) mit seiner Frau und Herr Kerim von Avus Istanbul (müßtest Du auch kennen). Mit ihm diskutierten wir die ganze Zeit, weil er ein großer Chauvinist ist. Sein Vaterland geht ihm über alles, die Araber sind alle blöd, Gharibeh nennt er sooft er ihn trifft einen blöden Araber, na und die Griechen hasst er sowieso alle. Begeistert erzählt er von seinen Kriegsabenteuern. Zypernkrise. Kaum zu glauben, dass er ansonsten ein sehr lieber Mensch ist. Fast hätte er vom Essen, kalte Wurstplatten, nichts angerührt, weil er als gläubiger Moslem kein Schweinefleisch ißt. Frau Gott hat ihm dann etwas Fisch und Käse serviert. Dem Wein aber hat er ausgiebig zugesprochen. Mohammed hat nur reinen Wein verboten, erklärt Kerim und tut sich einen kleinen Tropfen Wasser ins Glas. Auch ich habe einige Viertel gehoben, ohne Wasser, und nachdem ich schon zwei Nächte kaum geschlafen habe, fühle ich mich jetzt etwas zerstört. Ich habe immer wieder die Augen kurz zugemacht, seit der Zug abgefahren ist. Wenngleich ich in Bruck/Mur umsteigen musste und durch zahlreiche Fahrkartenkontrollen gestört wurde, hat mir das bißchen Dösen geholfen. Jetzt fühle ich mich einem (anspruchslosen) Brief an meinen kleinen Liebling gewachsen.
Die Fahrt ging von Graz über Bruck nach Klagenfurt. Jetzt bummelt der Zug gemütlich durch Osttirol. Wir müßten bald in Lienz sein. Der Himmel ist wolkenlos, blaue Seide. Aber der sonnige Anblick täuscht. Wir stehen gerade in einem kleinen Bahnhof und ich sehe, wie der starke Wind an der Kleidung der Menschen rüttelt und zerrt, die da draußen stehen und frösteln. In Klagenfurt und Villach hat sich der Zug ziemlich geleert. Jetzt steigen wieder Menschen zu. Bewohner dieses abgelegenen Bergtals, manche noch in ihren typisch alpinen Trachten. Die Männer groß, aufrecht, stolz, mit biblischen weißen und roten Rauschebärten, Frauen mit kantigen Zügen in gedrungenen Gesichtern. Auf den hohen Bergen ist schon viel Schnee, er reicht herab bis auf halbe Höhe des Tals.
Schön ist Gottes Welt. (Des Herrgotts!) Schön durch ihre Landschaft, schöner noch durch die Liebe. Die Sitze in meiner Nähe sind alle leer. Ich sehne mich nach Deinem Blick, nach Deinen Augen, nach Deiner Stimme, was Du sagst, wie Du es sagst, sehne mich auch nach Deinem Schweigen. Nach Deinem stillen Nahesein, nach Deiner Berührung. Heute durchtobt die Liebe mich nicht wie ein unwiderstehlicher Sturm. Leise strömt sie mit sanfter Gewalt durch meine Adern wie da draußen das klare Wasser der noch jungen Drau. Würdest Du Dein Ohr an mich legen, ich glaube, Du könntest die Liebe hören, ihr beständiges, ruhiges Rauschen.
Lienz. Einige junge Leute steigen zu. Ein junger Mann, auch bärtig, nimmt sogleich sein Radio heraus, das jetzt den Wagen mit Pop und Werbung in Beschlag nimmt.
Soile, das Wunder ist prolongiert: In Graz ist der Schnee wieder verschwunden. Er hat „unsere“ Primel im Hof wieder freigegeben. Sie blüht noch immer. Die blauen Blätter haben durch die Kälte anscheinend keinen Schaden genommen, so frisch strecken sie sich in die Winterluft. Ich habe es nicht übers Herz gebracht, sie für Dich zu pflücken. Sie soll ungestört leben, die aus der Zeitvernunft Geratene. Bestimmt liebt auch sie.
Du möchtest etwas über mein früheres Leben wissen. Gut, hier eine Kurzbiographie (wie Du sie in jedem einigermaßen aktuellen Lexikon finden kannst):
Rainer Maria Richter, Geburtsdaten historisch nicht gesichert, vermutlich 3.1.1945, gelegentlich mit 3.12.1944 überliefert, in Wien, als Sohn des Komponisten Ernst Hans Richter und der Operettensoubrette Maria Milham. Erste Reisen mit den Wiener Sängerknaben. Autowäscher, Autovermieter, Spediteur, Zollprüfer, Schadenliquidator. 1970 heiratet er die Italienerin Annamaria Marola. 1988 lernt er in Schladming die Finnin Soile Anita Kanerva kennen, zu diesem Zeitpunkt noch Lindström, die sein Lebenswerk entscheidend beeinflußt. Bedingt durch die örtliche Entfernung von Lindström beginnt er ihr Briefe zu schreiben und wird in kurzer Zeit zum größten nächtlichen Briefeschreiber aller Zeiten und Weltgegenden.
Okay, weil Du ein süßes Gesicht hast, will ich Dir persönlich etwas mehr verraten als in den Lexika steht. Autos habe ich vermietet für Hertz, dann Avis. Die Zollabgaben habe ich geprüft für General Motors Austria. Am längsten habe ich Schäden liquidiert, 16 Jahre für die Wiener Allianz. Alle diese Jobs hatte ich in Wien. Mein Weltbürgertum, ererbt vom Vater, festigte sich früh durch einige Reisen als junger Mann nach England, durch die stark internationale und mit Reisen verbundene Tätigkeit bei den Rent a Car-Firmen. Ach ja, bei der Herstellung einer Filmzeitung habe ich auch einmal mitgeholfen.
Wenn ich das Wort Weltbürgertum verwende, klingt das sicherlich sehr hochtrabend. Natürlich weißt Du, daß es – von mir gesagt – so nicht gemeint sein kann. Mir fällt aber momentan kein anderes Wort ein, um meine Liebe auszudrücken, die der ganzen Welt, ja dem ganzen Kosmos gilt und über das unmittelbar Heimatliche weit hinausgeht. Die Liebe zu fremden Sprachen gehört auch dazu. Zu Deiner Frage nach meinen Geschwistern ist dem Lexikontext nachzutragen, daß mein Vater aus erster Ehe in Berlin einen Sohn hatte. Er ist (angeblich) an einer Blutvergiftung gestorben, die er sich zugezogen hat, als er im Rahmen der Hitlerjugend paramilitärisch ausgebildet wurde.
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Soile, mein liebster Schatz, ich bin inzwischen in Fortezza nocheinmal umgestiegen. Es ist 16.20 Uhr. Ich werde in einer halben Stunde in Bozen ankommen.
Damit Du darauf nicht vergißt, will ich Dir vorher schnell noch sagen, wie lieb ich Dich habe. Gibst Du mir deshalb keine Preisrätsel mehr auf, weil Du selbst mir das größte unlösbare Rätsel bist? Wie soll ich jemals die Lösung finden, wenn ich darüber nicht nachdenken kann? Es geht nicht, denn sobald ich an Dich denke, fängt in mir jener Schmerz zu tropfen an, in dem sich jedes mögliche Ergebnis rasch auflöst. Soile, Du unbegreifliches Geheimnis, bitte, stelle den Wasserhahn noch nicht ab. Komm zu mir! Miteinander wollen wir alle Hähne öffnen. Lassen wir uns fortschwemmen von den Fluten der Liebe! Komm!
Turku, den 8. Dezember 1988
Mein liebster Rainer!
Jetzt kann ich nicht mehr ertragen, wenn ich nicht einen Brief auf den Weg für Dich schicken kann. Ich habe den ganzen Tag nur gewartet, dass ich damit anfangen könnte. Du bist in meinem Kopf und Herzen, überall die ganze Zeit gewesen.
Ich war sogar so traurig, dass ich auch jetzt die Reise nach Rom bestellt habe, obwohl ich nicht Deine Antwort auf meine Vorschläge erhalten hatte. Sie wird am 12, Februar beginnen, wenn ich sie innerhalb einer Woche bestätige. Früher als das war es nicht möglich, weil dort keine freien Zimmer für eine Person hatten. Ich konnte ja keine andere ins Zimmer wohnen kommen, weil ich eine kleine Hoffnung habe, dass ich einen sehr wichtigen Personen aus Graz dorthin empfangen kann. Das Hotel heißt Ranieri. Ich habe es nur deswegen ausgewählt, weil es beinahe die gleiche lautet wie Rainer. Dazu steht es an Via Venti Settembre, also der Tag wir uns zum ersten Mal sahen. – Mit der Bestätigung warte ich jedoch, bis ich von Dir gehört habe, wie das für Dich passt.
Ich habe heute auch Deine langen Briefe vom Sonntag erhalten und bin ganz außer mich. Was Du schreibst, kann nicht mich sein. Denkst Du vielleicht jedoch an jemanden anderen? Ich fürchte nun, dass ich eine sehr sehr große Enttäuschung für Dich sein werde. Sehr schönen Dank für Dein Gedicht, es ist wunderbar, nur es bringt die Tränen in die Augen. Ich habe nie das Talent zum Gedichteschreiben gehabt, weder auf Finnisch noch auf irgendeine andere Sprache. Darum schätze ich auch die Personen sehr hoch, die so was machen können.
Ich versuche noch morgen etwas mehr schreiben, aber jetzt will ich auch mein Weihnachtsgeschenk Dir geben, so dass Du es vor Weihnachten erhältst. Auf der Kassette gibt es einige meiner ‚Favoriten‘ aus der leichteren Seite der Musik und die wir auf Platten haben. Ich habe diese während der Nacht gemacht als ich auch den Brief zuhause geschrieben habe. Auf der anderen Seite der Kassette sind die zwei letzten Stücke Sibelius‘ Musik (Du kennst sicher den Namen des größten finnischen Komponisten). Die erste heisst ‚Valse triste‘ und die andere, längere ‚Rakastava‘ (=Liebend) für die Streiche op. 14. (Diese sind eigentlich nicht sehr leichte Musik) jedenfalls hoffe ich, dass Du diese magst, und dass die Kassette Dir Freude bringt.
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Turku, den 9. Dezember, 1988
Herzlichen Dank für die Ansichtskarten aus Venedig. Sie sind wirklich sehr lockend. Wir werden auf die gleiche Weise gehen, wie die zwei auf einer von den Karten, nicht wahr?
Ich sehe, dass Du noch etwas erstaunt über das Reisegeschenk bist. Es ist kein Wunder, so bin auch ich. Als ich es bekam, schlief Ilkka noch und nur die Töchter sassen am Tisch während ich den Umschlag öffnete. Ich bin ganz sicher, dass alle nur meine Überraschung sahen, sogar er, der dann etwas später zu uns kam, als er uns hörte. Sie hatten keine Ahnung wie grosses Geschenk das eigentlich war und dass ich sofort auch begriff was es bedeuten könnte. Es war jedoch sehr schwierig nur die Überraschungsmiene zu halten. – Die Töchter fragten, ob es nicht solches war, was ich gewünscht hatte. Doch, habe ich beantwortet, aber dass ich so was nie erwartet hätte. Ich fragte auch, ob es ihre Idee war, aber sie sagten dass es wirklich seine Idee gewesen war. – Ich bin auch sicher, dass er solches nicht gegeben hätte, wenn er etwas von uns gewusst hätte.
Ich weiss auch, dass die Töchter nichts bemerkt haben, sie beschäftigen sich mit so vielen Sachen, dass sie nicht sehen, wie es mit mir geht. Sie könnten nicht denken, dass ihre alte Mutter sich verliebt haben könnte!
Ich habe auch versucht, so normal als möglich zuhause auszusehen. Ach ja, etwas haben sie alle bemerkt. Sie sagten vor einer Zeit, dass ich ruhiger geworden bin als ich vorher gewesen bin (also habe ich damit gut gelungen, weil ich fühle als ob ich ein Vulkan wäre, der nur seinen Ausbruch erwartet). Dazu habe ich nur gesagt, dass ich so alt geworden bin, dass ich nicht mehr die Energie habe mich mit ihnen zu ärgern! Das haben sie akzeptiert.
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Der Name Lindström ist ein schwedischer Name, er bedeutet Lindenstrohm. Ilkka hat jedoch Finnisch als Muttersprache sowie ich, wir beiden haben jedoch Vorväter, die Schwedisch gesprochen haben. Die schwedische Sprache ist noch obligatorisch für alle in der Schule. Ich habe sie so viel anwenden müssen, dass sie meine beste Sprache nach der Muttersprache ist. Würdest Du auch sie lernen? Wenigstens das Wichtigste. Ich liebe Dich heisst Jag älskar Dig.
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Soile, meine Liebe!
Den kürzeren Brief habe ich schon zugeklebt. Jetzt kommt der kurze.
Ich wollte heute eigentlich in ein Mozart-Konzert gehen, aber da kam Deine Kassette. Natürlich ging ich nach dem Büro schnurstracks heim um sie zu hören..
Ja, da ist sie wieder, die Schladminger Atmosphäre, die uns zusammengeführt hat: smooth und swinging, und ich schmelze dahin, weil meine Arme Soile fühlen, als lägst Du noch in ihnen. Wenn meine zwanzigjährigen Wohnungsgenossen in mein Zimmer schauen (die Tür steht offen), müssen sie denken, jetzt ist der alte Opa total übergeschnappt. Ist gleich 44 und tanzt allein Foxtrott in der Bude! Ist mir aber wurscht. Ich tanze ja nicht allein. Was kann ich dafür, daß sie Dich nicht sehen können? Kann ich ja auch nicht. Aber spüren tu ich Dich, ganz nah!
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Du schreibst, Du hast Hoffnung, wenn auch eine sehr kleine, eine sehr wichtige Person aus Graz dort zu empfangen. Das macht mich sehr traurig! Jetzt hast Du ein Einbettzimmer und eine wichtige Person wird vielleicht kommen. Wird das nicht zu eng werden für Euch beide? Und – was soll dann aus mir werden? Zu dritt kommt nicht in Frage. Dazu ist ein Einzelbett zu schmal. Vor allem aber mag ich keine wichtigen Personen, nichteinmal wenn sie aus Graz sind, und wenn Du sie in Dein Zimmer läßt, ist mein Haß ihnen gewiss.
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Die wichtige Person aus Graz würde ich schon loswerden. Ich würde einfach als Zimmerkellner anklopfen mit einer Flasche Spumante auf dem Tablett und einem einzigen Glas dazu. Dann würde ich sehr empört tun, Dich in dem Einbettzimmer mit der wichtigen Person aus Graz anzutreffen, würde der wichtigen Person aus Graz den vergifteten Sekt einschenken, Dich an der Hand aus dem Zimmer führen und vor die Wahl stellen: Anzeige bei der Sittenpolizei oder – eine Woche Arrest bei mir. Natürlich würdest Du Dich nicht erpressen lassen und die Sittenpolizei wählen. Dort aber würde ich als Untersuchungs-Richter auftreten und ganz genau Deine verruchten Absichten untersuchen, was Du mit der wichtigen Person aus Graz vorhattest. Du würdest mir natürlich lauter Lügen erzählen, von wegen Kartenspielen oder Schach oder Märchen vorlesen oder was weiß ich. Ich aber, der Untersuchungs-Richter, würde Dir einen Film vorführen, in dem Du ganz genau dabei zu sehen wärst, wie Du mit der wichtigen Person aus Graz so verfährst, wie Du mit der wichtigen Person aus Graz zu verfahren beabsichtigt hattest. Völlig zu Recht würdest Du Dich bei der Menschenrechtskommission in Genf über solche Methoden beschweren und Dein Fall würde von mir als Vorsitzendem beurteilt werden. Ich würde Dich verurteilen wegen
11. betrügerischer Doppelbenutzung eines Einbettzimmers
2. Meuchelmord an einer wichtigen Person aus Graz
3. Zechprellerei, weil Du den Sekt nicht bezahlt hast
4. Mitwirkung als Hauptdarstellerin in einem Porno
Die Strafe würdest Du mit der linken Hand zahlen, denn mittlerweile würde ich als Filmproduzent Dich für etliche Hauptrollen unter Vertrag haben. Als Geldanlage würdest Du das Ranieri in der Via 20 Settembre in Rom kaufen, mich vom Zimmerkellner zum Manager befördern, die wichtige Person aus Graz in einer Holzkiste aus dem Zimmer schaffen lassen und mich als Hotelmanager anweisen, einige wichtige Verträge mit finnischen Reisebüros abzuschließen. Eines schönen 12. Februars würde eine entzückende Lady aus Turku ein Einzelzimmer reservieren, in der kleinen Hoffnung, sich hier mit einer wichtigen Person aus Graz treffen zu können. Im richtigen Augenblick würde ich als Zimmerkellner mit einer Flasche Spumante und einem einzigen Glas….
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Freitagabend in der Oper gab es La Boheme. Es war wunderschön. Ich habe geweint. Du hättest da sein sollen. Wenigstens hättest Du mir Dein Taschentuch borgen können. Na ja, hättest Du wohl selber gebraucht.
Anschließend wollte ich diesen Brief beginnen, aber meine Wohnungsgenossen hatten eine wilde Diskussion zu führen (auf unserer Garnitur!), weil die Telefonrechnung viel höher war als ihre Aufzeichnungen ergaben. Kein Wunder, beide hatten auf Teufel komm raus endlose Gespräche geführt. Das ist aber ein Punkt, den ich recht gut verstehen kann und so rettete ich schließlich den Weihnachtsfrieden, indem ich die Hälfte der Differenz übernahm, sodaß ihnen ein vertretbarer Rest verblieb. Damit hatte ich sie aber keineswegs aus meinem Zimmer gebracht, denn nun mußte der gefundene Kompromiß gefeiert werden. Mit meinem Sherry, auf unserer Garnitur, auf Kosten eines Briefes an Dich!
Am Samstag schlief ich bis zehn. Somit war der 10.20-Zug pfutsch. Wollte daher den Wagen nehmen, um nach Götzendorf zu fahren, aber die Batterie war leer. Ein guter Autokamerad ließ mich die Startkabel an seine Batterie anschließen, dann konnte es losgehen. Du kannst Dich auf einige Abenteuer mit meinem alten Kasten in Italien freuen.
Letztlich hat mich mein Uno aber doch wie ein Freund nach Hause gebracht. Ich mußte die ganze Zeit an die Don Giovanni-Aufführung von Mittwoch denken. Musikalisch war sie leider verpatzt. Aber die Inszenierung war interessant. Das an sich zeitlose Thema war in die Zeit um 1930 versetzt und machte so seine ewige Aktualität noch deutlicher. Don Giovanni, verführen und verführt werden, hat es nicht auch einen Bezug auf uns? Zweifellos wirkt in jedem Mann etwas von dem Urtrieb, der in Don Giovanni zur Obsession gesteigert ist. Wieviel davon wirkt in mir, wenn ich Dich verführen möchte? Watch out, my angel, I might be sort of Don Giovanni! Doch, was kann ich dafür, wenn ich innerlich bebe, sobald ich an Dich denke! Kann ich es ändern, wenn die Liebe, die Unwiderstehliche, mit ihrer ganzen Gewalt mich unter Dein Nordlicht zwingt? Ist es meine Schuld, daß meine sehnlichsten Wünsche alle mit Dir zu tun haben?
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Den Freitag war ich in Graz geblieben, weil wir ab Mittag im Parkhotel (Du hast sicher dort gewohnt?) unsere Weihnachtsfeier hatten. Gut gegessen, viel getrunken, Dieter und sein Vater haben Ansprachen gehalten. Am Ende schnitt Gharibeh die Glaskugeln vom Weihnachtsbaum ab, verteilte sie unter den Damen, schnürte den zwei Meter hohen Baum zusammen und war gleich darauf mit der geschulterten Tanne verschwunden. Das brachte jemanden auf die Idee, auch die hübschen Tischgestecke samt Vasen mitgehen zu lassen. So schnell konnte man gar nicht schauen, war weit und breit kein einziges mehr zu sehen. Hat alles Avus bezahlt, hörte ich die Rechtfertigung. Ich begab mich darauf zum Buffet, wo zwei schwere, 30 Zentimeter hohe silberne Kerzenleuchter postiert waren und nahm einen fort, scheinbar in der Absicht, ihn mit brennenden Kerzen nach Hause zu tragen. Alle bogen sich vor Lachen. Der Maitre eilte herbei, den Anschlag auf die Reserven seines Unternehmens zu vereiteln. Inzwischen begannen einige, auch die Kristalluster von der Decke abzumontieren, die Spiegel von den Wänden zu schrauben und die Gardinen abzunehmen. Der Maitre hüpfte umher wie von der Tarantel gestochen. Es ist aber weniger seiner Wachsamkeit als unserer Gutmütigkeit zuzuschreiben, wenn das Hotel den Saal nun doch nicht völlig neu einrichten muß.
Einige gingen danach noch in einen Weinkeller. Ich verabschiedete mich und ging die Boheme anschauen.
Über meine Götter hast Du mich einmal gefragt. Ich verstehe, daß Dich das interessiert, fürchte aber, das ist ein sehr weites Feld. Ich trage mich schon lange hin und wieder mit dem Gedanken, mein Weltbild aufzuschreiben. Nur, mein Vulkan war schon sehr lange nicht aktiv. Mein Weltbild steht klar vor meinem geistigen Auge, dennoch gelingt es mir nicht, Form und Anlage für die Darstellung dieser komplexen Materie zu finden. Auch bin ich kein tiefschürfender Denker. Ratio und Kopf liegen mir ferner, näher Herz und Sentiment. Umso schwerer fällt es mir, das Thema auch nur kurz in einem Brief anzureißen. Ich spüre aber, Soile, wie Deine Gegenwart in meinem Herzen die dort verschütteten Lavaflüsse stimuliert. Es würde mich nicht wundern, wenn unsere Liebe, lebt sie nur, zu einer neuen Eruption führte.
Soile, Darling, I’m writing this in the train back to Graz. Across the Semmering again. On board of that other train which is running on the tracks of time we are approaching Italy, which in a certain way is going to be the centre of the universe. A conjunction will happen, the cosmic result of which is quite uncertain yet. Good Lord, if I have to break a leg, please let me break it after the 20th of February. If I’m supposed to catch another cold, please give me a pneumonia instead, but not before that date. If the airline staff strike, I beg Thou, not during that week. The rest of all the funny jokes Thou may have in mind, let them happen, but – please! – not just then! For then, I must be near my rakkaani to explore with her what life can be, if the Good Lord is willing.
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Turku, den 4.12.1988
Rainer, mein lieber König!
Den ganzen Morgen habe ich den grossen Bedarf gehabt mit Dir reden zu können und es scheinte unmöglich, dass ich einen Brief schreiben könnte. Deswegen habe ich gedacht, dass ich ihn diesmal auf Maschine schreibe, so kann niemand ahnen, was ich eigentlich tue.
Was wollte ich denn sagen? Dass mein Herz bald ausbrechen wird? Dass Du kein „Devil“ bist! Dass laut allen sog. Sachverständigen sollte unsere Liebe jetzt zu Ende sein, weil sie sagen, dass es nur 3 Monate dauern kann in solchen Fällen wie mit uns! Glaubst Du das? Ich nicht, ich kann nicht, weil diese Liebe nur grösser die ganze Zeit wird. Wie lange denn, ja es ist vielleicht ganz wie Du geschrieben hast, niemand weiss.
Du hast etwas von Parapsychologie geschrieben! Ich glaube auch, dass hier ein solcher Fall ist. Ich habe ja die ganze Zeit gesagt, dass Du immer wissen scheinst, was ich denke, was ich benötige, was mich froh macht. Ich denke sogar, dass wir den gleichen Sinn für Humor haben, obwohl dies nichts mit Parapsychologie zu tun hat. Aber dies hat: vielmals als ich gerade sehr an Dich denke wie jetzt als ich schreibe, so hast Du mir angerufen.
Meine restlichen Urlaubstage werde ich am 16., 22., 23., 29. und 30. Dezember nehmen, dass habe ich heute anmelden müssen. Also gibt es nicht viele Tage übrig aus diesem Jahr zu arbeiten. Das ist nur gut, weil ich wünsche es wäre schon Februar. Ich habe die Reise bestätigt und alles sollte in Ordnung sein. Die Reisekarten werde ich später erhalten.
Das Kleid Du beschrieb muss sehr hübsch sein, nur ich fürchte es würde auffallen, wenn es nichts über den Schultern gibt! Du kannst mir auch erzählen wie die Menschen in Italien im Winter angekleidet sind. Ich habe keine Ahnung wie warme oder leichte sie sein sollen.
Eines will ich auch Dir sagen, wenn es Schwierigkeiten für Dich macht, die ganze Woche in Italien zu bleiben, will ich es natürlich nicht, dass Du so ordnest, ich werde es verstehen, wenn Du früher zurückkehren sollst. – Ja, vielleicht willst Du schon nach erstem Tag zurückkehren, wer weiss. Ich hoffe aber so was nicht. Und ich glaube, dass es nicht möglich ist wenn man daran denkt was man geschrieben und gesagt hat.
Bald muss ich zum Lunch und dann will ich auch diesen Brief aufgeben, weil es nicht nach der Arbeitszeit möglich ist, da Ilkka heute mit mir in der Stadt ist. Er ist allzuoft hier die letzte Zeit gewesen.
Dies schaut nicht gut aus, aber jetzt habe ich besseres Gefühl.
Mein ganzes Herz gehört wirklich Dir.
Soile
…
Du, meine liebste (einzige) Untertanin!
Höre Deine Majestät! Es spricht Dein Souverän. Dein König! Wir wollen befehlen.
In unermeßlicher Gnade und unerschöpflicher Liebe zu unserem Volke (ein weiblicher Mensch – aber was für einer!) geben wir unseren unerschütterlichen Beschluß kund: Nur solche Befehle wollen wir erlassen, die auszuführen meinem Volke unbändiges Vergnügen bereiten.
Turku, 12.12.1988
…
Now I just want to send you the photo I told
you about… Do you recognize the dress?
The other photos are of Sanna and Kirsi as you probably guessed. I hope they look ‘civilized’, because I would say they are as much as is possible at their age. Anyway, I have tried to ‘brainwash’ them from the very beginning to respect the same values I do and to give them possibilities to compare them with others. I hope that nothing goes wrong in the future, since I am quite satisfied with them at the moment.
Ok, conqueror, don’t you know that conquering doesn’t always have to be with great power, or one big ‘crash’, it can be done gradually, with small steps. That’s what I think in my case. And they say it is the ‘worse’ case, because then it stays longer, if it is the question of feelings. Anyway, I cannot think that I ever could love anybody with greater love than I love you now.
Don’t panick, I’m not rushing there to mix up your life or anybody else’s. I still have got a slight amount of common sense as well left.
Kisses from your president (if that is suitable).
Yours, Soile
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I have a tape at home with Placido Domingo singing Spanish Sarzuelas. One is: Amor mi raza sabe conquistar. I always found it a bit strange, when I thought about those words. And now, I’m a conqueror myself! Alright, my conquered love, the next step will have to be to defend you. I’ll try very hard!
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You’re not rushing there to mix up my life? But you should! Common sense is a good thing, for the rest of the world. I myself don’t even remember what it is. Maybe, it’s some disease, which makes the world look like it is. However, the carnival and I, we’re going to remove even the slightest rest of common sense out of your brain, so is our firm carnivalesque will. The walls are not enough for me. I’ll conquer the tower as well. So, if common sense is important for you, you had better bring some emergency ration secretly hidden in your luggage.
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26.12.1988, im Zug
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Kennst Du auch meine flatterhafte Bekannte? Gelegentlich besucht sie mich. Sie rauscht herein, daß es mir den Atem nimmt. Eine Weile bleibt sie. Ich bin dann sehr glücklich. Doch bald beginnt sie sich leise davonzumachen. Wenn ich es merke, ist sie schon lang nicht mehr da. Ich kann sie nicht einholen, nicht zurückbringen. Vielleicht ist sie jetzt bei dir oder einem andern und macht ihn glücklich. Von ihrem Duft nur eine Spur bleibt zurück. Davon kann ich eine zeitlang ganz gut leben. Dann bleibt nur noch das Warten, ob sie eines Tages wieder auftaucht.
Wenn sie wiederkommt, hat sie eine andere Gestalt. Ich erkenne sie nur an ihrem Duft, der ganz stark ist und mir Herzklopfen macht. Wohl spricht sie anders und hat andere Meinungen und ihre Küsse schmecken anders, aber sie ist doch dieselbe. Sie hat sich verwandelt, um mir wieder den Atem zu nehmen.
Ich habe von Fällen gehört, da soll sie für immer geblieben sein, und von anderen, wo sie nie wieder hinging. Wovon das abhängt? Das ist ganz ungewiß. Ob du sie willst, ob du sie brauchst, ob du sie ertragen kannst, ob du sie suchst, ob du sie fürchtest, ob du neugierig bist oder unmusikalisch oder dick oder arm, das ist ihr alles gleich. Sie kommt und geht oder bleibt, wie es ihr gefällt. So unberechenbar ist sie. Und das ist gut so. Sonst wäre sie denen ausgeliefert, die ihre Tricks erraten. Sie läßt sich nicht manipulieren, Sie behandelt alle gleich unzuverlässig. Das ist ihre Gerechtigkeit.
Einen Bruder hat sie. Der ist auch ganz gerecht, aber auf andere Weise. Er ist verlässlich. Er kommt zu jedem, aber nur einmal. Keiner weiß, wann. Wen er besucht, der will nichts mehr, braucht nichts mehr, muß nichts mehr ertragen, sucht nichts mehr, fürchtet nichts mehr, ist nicht mehr neugierig, unmusikalisch spielt keine Rolle mehr, wird nicht mehr lange dick sein, hat aufgehört arm zu sein.
Er kommt, wann es ihm gefällt. Er kommt zu solchen, die seine unberechenbare Schwester nie besucht hat, und er kommt zu anderen, bei denen sie gerade erst eingezogen ist. Zu dem einen kommt er zu früh, den anderen läßt er auf sich warten. Er kommt, wann und wie es ihm gefällt. Er ist verlässlich. Wenn dieser Bruder mich heimsucht, so hätte ich gern auch seine Schwester dabei. Deshalb bin ich ständig auf der Suche nach ihr. Die Türen bleiben offen. Wer wird eintreten?
21st Dec.
I think I must explain to you the song Arrivederci Roma on the cassette. The song is in Finnish quite the opposite, the words mean ‘please arrive in Rome’ and I remembered only afterwards what the original name was! Then the Finnish song. It is not really Finnish, it is composed by Tsaikovsky, it is one of his romances. I’ll try to write the words and then translate them to you in Venice?
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Oh no, there am I again, isn’t there anything neutral to write today, because this makes me go out of my mind. I need you, I miss you!
Okay, neutral! Scrubbing floors is probably very neutral. That’s wahat I was doing last night till midnight. And I have to continue today. now some wax on them. It is hot and tiring, but then again, I can do that alone. And when I’m alone I can think of you. Does it shock you that I am thinking of you while scrubbing floors? Anyway, I do that and if somebody would see me he/she would think I am mad, because I have a ‘stupid’ smile on my face. In this way the work doesn’t feel so hard either.
I have made a ‘scedule’ for the rest of the week and it seems I will manage to get everything ready for X-mas. The girls are also helping a little now that the school is over today. Sanna’s boyfriend is also coming to us on X-mas Eve, then on X-mas Day we’ll go to my younger sister and have dinner there together with the family of my other sister and my brother.
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Tarvasjoki, den 23.12.1988
Rainer, mein Liebster,
Ich weiß nicht, ob ich je diesen Brief fertig habe und aufgeben kann. Trotzdem wollte ich eine Weile mit Dir verbringen. Die anderen sind in der Stadt und können kommen ich weiß nicht wie bald. Dann muss ich das Essen fertig haben und so muss ich üben.
Ich hoffe, dass Deine Weihnachten gut gegangen ist. Für mich scheint es, als sie endlos wird. Mein Herz will dies nicht ertragen. Es ist schrecklich, weil ich sehe, dass die anderen alles schon erwarten wie immer früher.
Es ist Vollmond. Der guckt jeden Morgen in unser Schlafzimmer und macht alles sehr hell und glitternd. Ich hoffe dann, dass er auch im Februar etwas zu sehen wäre. Ach, Gran Canal und der Mond, was hätte mehr Romantik!
Ich habe auch die finnischen Worte für Dich aus dem Stück Romanssi. Es ist schwierig, die aufs Deutsch zu übersetzen, aber ich versuche und erzähle dann in Venedig, oder wo wir nur Zeit dafür haben sollen.
Hier kommen sie jetzt auf Finnisch:
Kun sylinsä nyt yö jo sulkee maan
sun nimeäsi kuiskata ma saan
Yö vastauksen kaukaa mulle tuo, ja suo
mun kuulla laulun, joka meille soi.
Käyn unelmissa aikaan menneseen ja teen
mä sulle lupauksen kun sen tehdä voi:
en koskaan päästä sua, oot säde auringon
ja rakkaus ja laulu ajaton.
Nuo onnen päiväton jo jääneet taa
tuo aika nyt on niinkuin unelmaa
ja laula silloin täytti sydämen, nyt sen
ma kuulen niinkuin kaiun kaukaisen
sua odotan ma kunnes katoaa ja maa
ja tiedän että silloin saavut hymyillen
sä saavut kun jo onni tuska yhtä on
ja rakkaus ja laulu ajaton.
...
29..12.88, on the train
This is probably my last letter in this year. Whenever I may look back to 1988, I’ll have to say that “it was a very good year”. One of my best. I started a new career in business and another one in love. Business was a hit and love gave me among the sweetest moments in my life. Both give me the best prospects for the next future. February and Venice are within sight and only yesterday evening I heard that my transfer to Avus Italy is likely to happen in the second half of the year to come.
Thus, the feeling of renewing my life, going along with that uncertainty in each moment what is coming up next, will continue also in 1989. As for our love, Soile, it may be surprising for you that I don’t really want to see quite clear. Seeing clear could be the result of chilly delusion only. But if it turns out the way I’m almost sure it will, our relation’s future will be more in question than it is right now. I know you are aware of that. We have discussed about it thoroughly without finding a solution. As concerns work, if the great change really comes, how will it influence my way of life. Will it make it easier for me to see my love? Would she wish to see me? Future is rich of questions but poor of answers. I like it so. Security is awful. I’ve had it. It makes your personality fall asleep and you don’t even notice that your pot of life stands on the extinguished flame. When you get aware, there’s nothing you can do about it anymore. Of course, life in security is more comfortable. Missing luxury is the price you have to pay for sensibility and vitality. I think it’s worthwhile.
Soile, my sweet darling! I almost fall asleep while I write this on the train. Yesterday evening the performance of Carmen, it was rather late, I woke up by half past five. Isn’t that when you use to get up? Not today though, you were not working. Oh what a lucky person you are, Soile! Being allowed to sleep on and in addition to that all that love of mine!
Last time here on the Semmering there were the Don Giovanni ideas. This time, same place, the feeling is rather like Don Quichotte.
1.1.1989, train to Graz
(I interrupted my railway letter there, because I was too tired to explain what I mean by that. I’m afraid, I couldn’t tell exactly even now. It’s just somehow the likeness between the hero of women and that cavalier of the sad shape.)
Der erste Brief des neuen Jahres an seinem ersten Tag. Ich hätte nie gedacht, was für eine angenehme Einrichtung die Bahn ist. Sie erlaubt mir, zweieinhalb Stunden in Deiner Nähe zu verbringen. Vor allem will ich hoffen, daß Dein Jahreswechsel angenehm und heiter verlaufen ist. Wenn Du zwischendurch manchmal ein wenig an uns gedacht hast, das ist mir schon Glück genug.
Ich habe pünktlich um 23 Uhr (Eure Mitternacht) allein im dunklen Garten unter einem phantastischen Sternenhimmel ein Glas auf Dich getrunken und dabei ganz fest gewünscht, Dein Wohl möge ganz eng mit dem meinen verknüpft sein. Wenn man dem Aberglauben vertrauen darf, scheint die Vorsehung es gut mit uns zu meinen, denn gerade in dem Augenblick zog eine Sternschnuppe eine kurze gleißende Bahn von Südost nach Nordwest. Verlange ich zuviel, wenn ich wünsche, Du hättest sie auch gesehen?
Das Neujahrskonzert unter Kleiber war heuer ganz außerordentlich, findest Du nicht? Ich glaube, es war eins der allerbesten. Mit Karajan war es auch außergewöhnlich. Der leidende Maestro brachte eine Stimmung in das großteils heitere Programm, die schon sehr jenseitig war. Abbado und früher Maazel waren auch sehr gut. Maazel entfernte den verstaubten Wiener Schlendrian Boskovskys. Aber so voll elektrisierender Hochspannung wie diesmal unter Kleiber habe ich noch kein Neujahrskonzert gehört.
Es ließ mich sogar die häusliche Mißstimmung ganz vergessen, die mich durch diesen Jahreswechsel begleitete. Du hast einmal geschrieben, durch unsere Liebe könnest Du vieles leichter ertragen, unangenehme Kunden, mißliebige Situationen daheim. Leider klappt das bei mir weniger. Meine Konzilianz scheint ziemlich abgenommen zu haben. Sobald mich etwas kränkt, und es geschieht immer öfter zuletzt, fühle ich den tiefen Gegensatz zu der herzlichen Liebe, die Du gibst, und meine Bereitschaft, die Kränkung hinzunehmen, schwindet. Annamaria, bisher an meine Submission gewöhnt, ist jetzt von meiner Selbstbehauptung überrascht und darüber empört. Vielleicht spürt sie irgendwie, daß irgendwas dahintersteckt. So ist es schon zu Weihnachten zu schwer erträglichen Situationen gekommen und zu Neujahr war es leider ganz häßlich.
Annamaria hätte den Silvesterabend wohl gerne mit mir allein verbracht. Ich hatte Franz gebeten, Ulla auszuführen. Doch in bester Absicht, A. ein wenig aufzuheitern, wollte sie mit Franz erst nach Mitternacht zum Tanzen ausgehen. Da nun Ulla, wie Du weißt, wie eine Verwandte in unserem Haus wohnt, seit Annamarias Mutter zu uns kam, und in der schweren Zeit sehr selbstlos und tapfer geholfen hat, ist es doch unmöglich, ihr zu Silvester das Haus zu verbieten. Franz war natürlich auch da und A.s schlechte Stimmung war fertig. Manchmal frage ich mich, ob zwischen den beiden einmal etwas vorgefallen ist, was ihr unerträglich ist. Wie auch immer, sie hat Ulla und dann ganz allgemein uns alle drei äußerst schlecht behandelt. Heute vormittag verlangte sie, ich solle Franz auffordern, weniger oft zu kommen. Schon einmal, als Ulla noch nicht bei uns war, hatte ich mich dazu überreden lassen, was ich natürlich bereute, weil Franz selbstverständlich gekränkt war und ganz wegblieb. Dabei ist doch Franz immer sehr lieb zu uns gewesen, hat uns bei vielen kleineren und größeren Reparaturen geholfen und ist mir im Lauf der Zeit zu einem wirklichen Freund geworden. Wohl ist er ein einfacher, nicht sehr gebildeter Mensch, Tischler bei den Eisenbahnwerkstätten, aber voll ruhiger väterlicher Güte und kühler Lebenserfahrung. Auch seine Familie ist defekt (ach, ich muß „auch“ sagen!) und er hat bei uns soetwas wie ein Ersatzzuhause gefunden.
Mein Gott, wo ist die schwer verletzte junge Frau geblieben, die sich beim Geschirrabwaschen in mich verliebt hat, deren Ego durch meine Liebe nach und nach wiedererstarkte, vielleicht zuviel? Oder war vielleicht ich es, dem die Liebe nach und nach abhandengekommen ist?
Kurz, ich habe mich geweigert, Franz diese unverdiente und überzogene Verletzung nochmals anzutun. A. trieb die Tragödie auf die Spitze. Ich solle mich entscheiden, Franz oder sie. Als Resultat steht nun sogar die Trennung im Bereich der Möglichkeit. Von Annamaria, meine ich. In einem muß ich A. rechtgeben: so eine halbe Scheinehe wollen wir beide nicht führen und so wäre der Schritt vielleicht nur konsequent. Wir werden nun sehen, wie weit es A. damit ernst war. Was mich betrifft, würde ich in Rücksicht auf Mario die Trennung lieber hinter meiner beruflichen Abwesenheit verbergen.
Soile, Du meine Liebe, wie schrecklich für Dich! Mit mir fällst Du unentwegt von einem Schock in den anderen. Nun hoffe ich aber, daß Dir diese Entwicklung persönlich nicht unangenehm ist. Für uns würden die Verhältnisse dadurch ein wenig klarer werden. Zumindest für mich hätte das Versteckspiel ein Ende.
Seltsam, jetzt wieder durchzulesen, was ich am vorletzten Dezembertag auf der Fahrt über den Semmering geschrieben hatte. Wie dramatisch manchmal etwas innerhalb von zwei Tagen eine vorgeahnte Wendung nehmen kann! Gerade habe ich den Semmering wieder überquert. Eine neue Jahreszahl haben wir zu schreiben und meine Familie besteht vielleicht nicht mehr.
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3.1.89, Graz
Soile. my love
!It is the late night of my birthday. The early morning began with Champaign. Acoustic Champaign, the Champaign of your morning voice in the telephone. Champaign of that kind in the morning makes good mood, easy blood and the heart jump. You have been first to congratulate me, the most important well-wisher. Only a few minutes later followed my mother. After that, a rather normal office day, except for Mario in the telephone (“Alles Gute!”). His mummy didn’t take the receiver. She called later, but the way she did she had better not. Some wine and cake between four and seven with my colleges. Then Hamlet, my second time in Graz. It was the only major event here this evening, but I liked to see it again and was more impressed than at the first time. All the evening I suffered very much from your absence, though I was rather near Soile’s coasts, divided only by some water, the Baltic between Denmark and Finland. Suffering from your absence is the only real evil of these days. The rest of my troubles I hardly realize, but missing you at times gives me pain stronger than me. Then, there come your letters and talks and from one moment to the next, I feel great.
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That romance by Tsaikovsky, transformed into a Finnish love song, I didn’t know. From the feelings it produced in myself I was convinced that it be purely Finnish. It is so very much similar to what I get from you, to what I desire to give to you! A. had the better nose, obviously. When I played the tape that evening and was enthusiastic about it, she said something like “Slavic music”. I smiled by myself, but said nothing, believed to know better. Now I see that she was right.
I was surprised that you really seem to intend to leave Finland for working abroad. Wouldn’t you miss your house, your family? I guess so, because I think I can feel a lot of sentiment in your words when you mention those. Another matter to discuss in Venice. Soile, darling, it will be impossible to get the whole program done in a week! Or, have you decided never to shut an eye all week? Of course, I’m happy to see the 12th approach so fast. But, when it comes so rapidly, how quickly will that week be over! We will have to be very careful about each moment. And generous enough to allow us to also waste some of the time, thus to avoid stress.
So this birthday ends as it began, with you, Soile. It was quite alright a day, but only because of its beginning and its ending I would not miss it. In my life, there was morning and noon and afternoon. That new colour there in the horizon, is it an early stripe of the blue moment between afternoon and eve? Alright, come on, blue tones all around, you find me ready! I know, the blue moment will be shorter than those of morning and noon and afternoon, but incomparably more intensive in its magically murky colours. Come on, Soile, you my Schladming-blue moment of the late afternoon, stay with me, lend me your magics, before darkness swallows all.
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As you know, A. has come to Graz yesterday evening. From the station we went right away to the opera. There was Carmen again, but this time with a different singer in the title role, Melanie Sonnenberg from New York. She gave an excellent performance. Her singing and acting stimulated the rest of the ensemble and the result was an evening not far from great. A. followed me to the standing room despite her preference to sit. Before I met her, I used to be a very active standee at the Vienna opera. Now in Graz I’m returning to ancient habits.
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So, now A. travels to Graz, comes to the standing room right away from the train. You see that she really tries hard now. This is a situation quite new to me. I should be pleased, but I am not. My feelings are rather awkward. You know that I esteem A. highly as person, I’ve told you in the beginning. A long time ago, there was also love. Love of that kind isn’t there anymore, for sure. For a long time it didn’t matter in our living together. Esteem was sufficient. Now, as I’m overflowing with love for you, it is very hard to have A. near me. It’s even harder when she tries so hard to re-establish the former relation.
Of course, I often think that I’m really bad. But then, what can I do about it? To be so deep in love with you is not my decision. It just happens and I can’t do anything about it. I’ve written in a previous letter what I think about suppressing love. So this is out of question. Even if I would, it would not mean that I then loved A. instead. And, according to her, she would never accept living together without love. So she believed all the time that love was there. Probably it was my mistake not to have cleared up before. But, who would hurt an esteemed partner so much without serious necessity? Moreover, I had been rather sure that A.’s feelings were very similar to mine.
Now I’m in heaven as concerns you, but in hell as concerns her. The only solution I can see is telling her. From now, I shall be waiting for the suitable moment.
...
Soile, my love!
Did you really think, I would not be able to write a letter to you on the train from Graz to Vienna at A.’s presence? Well, a real letter certainly was impossible. But I did write, in fact. I intended to write something neutral enough to avoid suspicion, yet with enough meaning, so you could recognize it quite personal for yourself. The outcome was the miniature story here enclosed.
Er schwankte nicht, wenn er zwischen den Tischen und Stühlen seines rollenden Restaurants hin und her eilte, so sehr auch die Kurven über den Pass an allen Dingen rütteln und ziehen mochten. Es waren nicht wenige Jährchen, dass er auf dieser Bergstrecke freundlichen und mürrischen, aufgekratzten und gleichgültigen Reisenden Getränke und einfache Speisen servierte. Er kannte die Tunnel und Kurven schon auswendig, erkannte am ewig gleichen Wechsel der Fliehkräfte, an welchem Punkt der Strecke der Zug sich befand und auf welche Seite die Flüssigkeit in den Gläsern und Tassen im nächsten Augenblick schwappen würde. Sein weißes Jackett hatte er sich schon lange nicht mehr bekleckert.
Jetzt ist er schon über den Pass, dachte sie. Er hat gleich anschließend den Gegenzug zurück. Er wird müde sein, wenn er heimkommt. Eine Nacht schlafen, dann ist er wieder unterwegs. Sie setzte sich zum Fernseher, im Schlafrock, sowohl noch als auch schon. Zum Aufräumen hatte sie keine Lust.
Jetzt ist er schon über den Pass, dachte sie. Ich muss bald los. Wenn ich rechtzeitig am Bahnhof bin, haben wir eine Viertelstunde für uns. Ein paar Blicke, der Kaffee wird langsam auskühlen, vielleicht ein Kuss, wenn nicht allzu viele Leute herum sind. Dann ist er wieder unterwegs.
Früher ist sie gelegentlich mitgefahren. Er hatte sie schwarz mitgenommen. Die Schaffner hatten sie übersehen und dafür von ihm ein Bier bekommen. Dann war die Sache mühsam geworden. So untätig dasitzen zu müssen war für sie ermüdender geworden als für ihn die Arbeit.
Er räumte die Tische ab und kassierte bei den letzten Gästen. Alles Routine, alles perfekt. Er stellte sich vor, wie sie nach dem Fernsehen etwas Wurst aus dem Papier essen mochte, ein Stück Brot dazu und reichlich Rotwein. Dann würde sie sich hinlegen. Wenn sie nach dem Essen keinen Schlaf bekäme, würden die Schmerzen in ihrem Kopf zu hämmern beginnen.
Er ging telefonieren. Sag nicht, dass du nicht kommst, sagte er. Ich weiß, es lohnt sich eigentlich kaum, aber ich brauche dich so! Sie war eben dabei, sich das blaue Kleid überzustreifen. Sie hatte es angehabt, als sie sich im Speisewagen kennengelernt hatten. Windschief hing es über ihren schmalen Schultern. Zwölf Löcher sehnten sich nach ihren Knöpfen.
Er sammelte jetzt auch die Tischtücher ein, mochten noch Gäste dasitzen oder nicht. Die Küche hatte er schon zwischendurch hergerichtet. Da fehlten nur noch die letzten Handgriffe.
Sie legte den Finger an die Lippen, als sie den Schlüssel im Schloss drehte. In seiner kleinen Reisetasche befand sich sein weißes Jackett. Er stellte sich vor, wie die Reisenden wüten würden angesichts des handgeschriebenen Zettels am geschlossenen Buffet: Aus unvorhergesehenen Gründen ist der Speisewagen leider außer Betrieb. Er fühlte ihr blaues Kleid unter ihrem kurzen Pelz rascheln. Die Knöpfe waren alle noch zu. Ob ihm bewusst gewesen war, dass es das letzte Mal sein würde, als er sein weißes Jackett auszog, daran erinnerte er sich nicht mehr genau.
I am now on the train back to Graz. The weekend went “better” than the recent ones. A. tries hard now. I think, it gave her an unexpected shock when she realized that I was doing nothing about the serious situation. All the problems remain swept under the carpet. The barometer shows “fine weather”. Four months ago, I should have been content about the “improvement”. What I feel now, is far from satisfaction. Still, I was unable to make a decisive cut, due to the baby, above all. There is also A.’s poor health. The doctor is still convinced – other than the hospital – that her recent attack was close to an infarct.
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I wonder how it will be in Italy. My imagination keeps playing scenes, makes variations, makes a second shot, makes shot-reverse-shot, “Soile and Rainer, Marco Polo Airport, the sixty-fifth!” But only after those shots with us clinging close together, I hear the director say, “Lovely, this one. Dead!”
Reality will be quite different and that’s quite alright. Italy is so much in the fore, now, the most important event in the near future. When I first heard about your birthday-present-journey, I was just thinking of the chance to have a few splendid days with the cutest lady one can imagine, but meanwhile it may turn out to become a most decisive moment in both our lives.
No, no; no panic, my love, my expectations are not staked too high. I expect nothing. But when soul’s facilities are being stimulated so intensely as by our love, don’t feelings, hopes and actions just converge?
Soile, rakkaani, since you gave me your private phone number, it has become quite a temptation to just dial it. Don’t worry, I’ll be a good boy and resist. It is, however, tragic how you continue to invent devil’s tricks to drive me completely mad. First you write to me letters from toilets, then you send me most inspiring letters full of love and kisses, then you arrange with me for a date in Italy, but with months to wait for it. Then you give me your private phone number, but with the ban to call it. When we meet, I’ll be a perfect wreck. So, when you arrive in Venice, please use the wrong exit, because I’ll be waiting there. I’ll have changed all my money in Finnmark instead of Lire, but it won’t matter, because I’ll have left my purse in Graz. The taxi boat I’ll order to get us to Champs Elysees and you’ll have to get along without me for most of the time, because I have to write a lot of letters to my love in Finland.
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Turku, 6th Dec 1989
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Life is funny. Ilkka just called to tell that he has booked a trip for him and Kirsi to the Canary Islands for the sports vacation at Kirsi’s request. They leave on 17th and return on 24th February. So he won’t come to Rome with me! One thing less to worry. That is good in another way as well. Now I don’t have to face him at once after my trip, and I will have time to organize my thoughts, if it still should be necessary at that time.
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Herrlich! Ich habe fast zwei Stunden allein für Dich! Es gibt momentan wenig Akte, die kann ich ruhig für morgen liegen lassen und ich bin noch bis 19,45 hier. Anschließend will ich zu einem Violinabend in der Hochschule. Zwei Stunden ganz allein mit Dir, das ist schöner als Du vielleicht glauben willst. Ich bin gern mit Dir, auch nur auf diese Weise.
Vormittag habe ich Deinen Brief vom 3./4. Jänner erhalten. „Von Anita“, sagte unser Mädchen, als sie ihn mir gab und grinste dabei belustigt. Wie sie das wissen kann? Du weißt, sie sind sehr neugierig und ich habe ihnen einmal gesagt, die Briefe sind von Anita Kanerva. Da können sie jetzt rätseln, wer das ist.
Meine Rückwärtssprache hast Du ja sofort geknackt, Du schlaues Mädchen. Ich bin gespannt, ob ich einmal ein Rätsel für Dich finde, das Du nicht lösen kannst. Hast Du gewußt, daß die antiken Griechen schon diese Rückwärtssprache gekannt haben müssen? Das habe ich entdeckt! Überleg einmal, wie Soile rückwärts lautet: (H)ELIOS. Womit wir wieder bei der Sonne wären. Verblüffend, nicht?
Du fragst Dich, woher ich die Ausdrücke nehme für meine Liebe. Das will ich Dir gerne verraten: Meine Seele ist eine finstere Höhle, deren Zugänge durch manchen Felssturz verschüttet sind. Da hineinfinden ist gar nicht leicht. In dieser eingestürzten Kaverne liegen die Ausdrücke umher, massenhaft. Geröll, in Ewigkeiten bewegungslos, stumm, unnütz, vergessen. Eines Tages schwebt eine Prinzessin daher, unbekümmert, unkonventionell, mehr Mädchen und Frau als Prinzessin, findet mir nichts Dir nichts den verborgenen Zugang und leuchtet mit ihrem Sonnenstrahl die unterirdische Wüste an. In Deinem Licht, Soile, erwachen die toten Steine zum Leben, erlangen die Ausdrücke Bedeutung. Ich brauche sie nur aufzusammeln in der Begeisterung über das neue Wunder ihrer unvermuteten Lebendigkeit. Oft wird es schwierig, den richtigen anzufassen, manchmal ist jener treffender, der weniger glitzert, gerade dort verbergen sich oft die Edelsteine. Alles hängt ab von Deinem Licht. Entziehe es dem Gewölbe und es wird wieder im Dunkel liegen, bewegungslos, stumm, unnütz, vergessen. Tot. Immerhin, eine kleine Auswahl werde ich ans Tageslicht geholt haben. Irgendwo werden sie beisammen liegen, vielleicht in einer sehr geheimen Schublade ihrer Herrin, aber wen kümmert das? Irgendwann wird man sie verbrennen und sie werden sich verwandeln in Rauch und Asche.
Verzeih, wenn ich jetzt vorzeitig schlußmache. Ich habe noch einen dringenden Weg zu erledigen. Ich muß ganz schnell in ein Geschäft, wo man Perücken kaufen kann. Was soll ich mit meiner Stoppelglatze, wenn Du doch schwarze Locken liebst! Meine Frisur sieht aus, als wäre ich unter einen Rasenmäher geraten. Jetzt laufe ich gleich los und besorge mir so einen künstlichen Haarschmuck mit vielen Locken. Vielleicht á la J.S.Bach oder Louis Quatorze, doch unbedingt in Schwarz. Hoffentlich haben sie davon etwas auf Lager, sonst muß ich vielleicht doch John Lennon nehmen (vor seiner indischen Periode) oder Fidel Castro. Ich muß einfach so eine Perücke haben, damit Du in meinem Haar wühlen kannst, während ich alle Deine finnischen Wälder durchforsten will. Verzeih mir, wenn ich jetzt zu keck war, Du meine einzige Rosine im Teig des Lebens. Ich habe es nur gewagt, weil mir gerade danach war und weil ich beschlossen habe, fortan etwas mehr zu wagen, seit ich weiß, daß mir dummem Kerl Deine Tür in Schladming nicht verschlossen geblieben wäre.
Genaugenommen bedaure ich mein damaliges Zögern nicht. Wäre unsere Liebe geworden, was sie ist, bei so rascher Erfüllung? Wir hätten uns kaum gekannt. Daß wir uns verstehen, hätten wir vermuten, uns wünschen können. Jetzt dürfen wir ziemlich sicher sein. Wenn ich Dich demnächst umarmen werde, wird es kein oberflächliches Abenteuer sein, sondern die logische Fortsetzung einer Sehnsucht, die aus dem Innersten stammt und ins Tiefste reicht und der alles Verwerfliche fremd ist. Jetzt legst Du mir Verantwortung auf, die ich mit Freude tragen werde. Das hätte damals gefehlt.
Einer Hexe Bürstenmähne,
eines Engels Lockensträhne,
bist Du, Soile, meine Schöne,
eines Gottes Freudenträne.
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10.1.1989
Your Royal Highness,
I humbly approach You again today, since I never got the letter ready yesterday, as usual nowadays.
Yesterday I got a card from a man in Belgium and he sent me three ritual kisses! Ilkka said, how dares he, but I told him that they were merely ritual, like when you meet and you kiss three times on the cheek. Then he said OK. This man is a former collegue from Royal Belge and he is now retired, but I send him still Christmas cards and he always sends an answer later on. – Well, what would Ilkka say about the other kisses. if he knew, for they are certainly not ritual, at least mine.
I remain in hope for majestical kisses in about a month’s time.
Still madly in love
Soile
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Ach Soile, Du blauer Augenblick im Nachmittag meines Lebens!
Müßte ich es einem Arzt erzählen, wie sollte ich es beschreiben? Ist es ein Stechen oder ein Brennen? Ist es nicht eher, als würde etwas in mir da drin zum Stillstand kommen? Oder zu rasen beginnen? Ist es ein Druck, der sich plötzlich aufbaut? Oder ein Vakuum? Vielleicht hat es etwas mit Chemie zu tun, denn es ist, wie wenn plötzlich ein Säuretropfen freigelassen wird und einen Augenblick lang ätzt und brennt, bis er sich selber verzehrt.
Der Säuretropfen ins Innerste der Seele, wenn ich in der Jackentasche ein kleines rotes Herz aus Holz berühre, wenn ich zum Halbmond hinaufschaue (etwa diese Gestalt wird er haben, wenn er uns beide beisammen sieht), wenn ein Jet seinen Kondensstreifen an den Himmel zeichnet (unweigerlich kommt mir die Vorstellung, es wäre der nach Rom mit Dir an Bord) und was weiß ich, bei wievielen Gelegenheiten täglich! Du bist in meinen ersten Gedanken morgens beim Erwachen und in meinen letzten, wenn ich nachts einschlafe, und liebevoll denke ich oftmals an Dich den ganzen Tag. Seltsam, mein Schlaf, soviel ich weiß, behält Dich mir noch vor. Wieso träume ich im Schlaf nicht von Dir? Ist es, weil meine Tagträume so überfüllt sind mit Soile? Daß Du mir erschienest, das wünsche ich mir bei jedem Einschlafen. Noch war es mir nicht vergönnt. Wenn Amor es gut mit uns meint, dann wird mich eine süße Wirklichkeit für meine entbehrten Träume entschädigen.
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Eigenartig, wie die Natur euch Frauen gemacht hat. Daß ihr nur glücklich sein könnt, wenn ihr unbedingt, ausschließlich und allumfassend geliebt werdet. Ach so, die Männer auch? Na ja, bei uns ist das was anderes.
Ich liebe Dich, Soileni, unbedingt, ausschließlich und allumfassend. So ist es mir unmöglich, desgleichen mit anderen zu verfahren. Die es bisher gewohnt war, ihr bleibt es nicht verborgen. Sie spürt, etwas ist mit mir geschehen, aber sie weiß nicht, was. Erstmals in all den Jahren vermißt sie bei mir die drei Kriterien, aber sie weiß nicht (ahnt wohl nichteinmal), warum. In einem Gespräch kürzlich vermutete sie die Ursache in meiner Eigenschaft als Mann. „Du bist eine zeitlang eine Ausnahme gewesen“, sagte sie auf einmal. In solchen Augenblicken und wenn sie dabei in guter Verfassung ist, bin ich nahe daran, die Wahrheit zu sagen. Doch schließlich hält mich Dein Rat, der – wie mir einleuchtet – gut ist, davon noch zurück.
Wieder geht eine Bahnfahrt zu Ende. Ich komme mir vor wie ein Kind, das man zu beruhigen versucht. Nur noch dreimal schlafen, dann kommt der Weihnachtsmann. Oft fahre ich nicht mehr vor dem ersehnten Datum. Ich glaube, nur noch dreimal hin und her. Dann werde ich auf dem Marco Polo Airport stehen und ankommende Ladies ansprechen, um festzustellen, welche die liebste ist von allen, denn nur mit dieser will ich die Woche verbringen. Ich habe den begründeten Verdacht, daß sie – wenigstens für kurze Zeit wieder - Kanerva heißen wird. Ich hatte diesen Einfall, als ich während des Gesprächs mit dem Reisebüro-Manager Dich plötzlich unbedingt, ausschließlich und umfassend für mich haben wollte. Verzeih mir das bitte, es mag in meiner Eigenschaft als Frau begründet sein.
Küsse aus dem Zug, mit rhythmischem Tam-tam und mit meiner ganzen Liebe!
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So, the iron won’t stick together! To hell with fake promises from glue advertising! While news ran on the radio, I tried to fix that iron which had fallen from the board a few days ago, breaking off the handle. I bought some of that excellent stuff which is supposed to stick together a thin chain between a crane and a lorry, but my iron’s handle is still quite on its own. My left hand’s fingers stick together rather tightly, instead. I wonder, how I’ll get them apart. Oh, if I were insured properly, I’d take them all to court! But, who knows, they never said anything about iron handles, just about lorries and cranes? Writing too gets difficult with that sticky left hand. Now all the papers stick to it. Maybe, tomorrow I’ll appear in office with a love letter sticking on my left hand? That glue is like love, obviously. It won’t work, when used on purpose, but don’t expect nothing and it will do a crane-truck-job.
Soile, my love, you are going towards difficult times. I guess, you didn’t consider that, when you decided to love me. Now there will be two men (at least, the rest of them I don’t know yet) to be jealous about you. Ilkka you might calm down with your explanations about ritual kisses. Maybe, he prefers to be calm. Not me!!! I want to get mad! Do you know what happens, when two men are jealous about the third? They ally! Caesar and Brutus were best friends as long as there was Octavian to court Cleopatra. It’s very simple. While the first one is busy destroying the rival, the second one pretends to destroy the female. Of course, he will not, but waits until the first one will be exhausted from the fight in which he destroyed the rival, because in that moment it will be easier to destroy the first one, and so n. 2 remains alone with the female. If the female turns out to dislike n. 2, she will be destroyed as well. Constellations like that have caused wars and it’s not very unlikely that one morning from the news you learn that Finland has declared war to Belgium. I can sit and wait, while Austria alerts her twelve 30 year old Draken, bought from Saab and stationed in Graz, from the parts of which you could assemble minimum two and a half really flying planes, in case of emergency, presupposed you have the complete technical manual, which subject to contract can be demanded from Saab who will supply also the staff who understands the manual. All this at the exception of the case of emergency.
So, as soon as Finland will be exhausted by fighting Belgium (probably next day), I’ll come in the half Draken (I’ll have to use that half one, as the other two of them are not allowed to take off, due to excess of noise limit in Graz), land in the conqueror’s style at Tarvasjoki, exactly in the joki mistaken with Tarvas runway. After having gotten rid of part of the mud all over me, I’ll knock at your door and hijack you. The 0,5 Draken lying rather unfit in the joki, we’ll have to hitch-hike. Would you come with me? (Watch out: I told you what will happen, if you refuse.
)In order to concur more easily with Royal Belge, I’ll suggest to Dieter to change our company’s name into Royal Avus. Then my Italian kisses will have even more of that majestic touch.
Please, forgive me that lot of nonsense. I have two excuses: it’s carnival, and I’m hopelessly in love with you.
...
***
Es gab Wiener Schnitzel mit Erdäpfelsalat. Das Schnitzel war klein, viel kleiner jedenfalls als beim Schnitzelwirten. Dort hätte es wenigstens auch ein Bier gegeben. Riesenschnitzel und Bier wären in der Betriebsmensa der Post kontraproduktiv. Von wegen gesunde Ernährung der Mitarbeiter oder auch nachmittägliches Völledösen. Der Erdäpfelsalat war eine Spur zu nass. Sämig wäre schön gewesen.
Der große Saal war weitgehend leer. Es war kurz nach halb drei. Nur wenige Mitarbeiter nahmen um diese Zeit noch ihre Mahlzeit ein. Allerdings hatte eine Gruppe mehrere Tische zu einer Tafel zusammengeschoben. Es war die IntErm. Sie waren zu neunt. Acht von ihnen waren vor Kurzem mit der Bahn aus Graz angekommen: die vier nach Graz abgestellten Wiener und ihre vier Grazer Kollegen. Der neunte war ihr Abteilungsleiter. Die Ermittlungen an Ort und Stelle hatten zu keinem Ergebnis geführt. Vage Vermutungen waren alles, was die Gruppe erarbeitet hatte, davon allerdings jede Menge. Ein weiterer Verbleib der Wiener in Graz mit allen daraus folgenden Spesen wäre nicht zu verantworten, hatte die Direktion entschieden. Eine Endbesprechung mit dem Abteilungsleiter in Wien sollte Schluss machen mit dieser Aktion.
„Wir habn alles probiert“, sagte der Wortführer der Wiener. Er sprach leise. „Es is a Jammer. Da kann ma nix mochn.“
„Da muass was gschehn!“ hätten sich alle jetzt vom Abteilungsleiter erwartet. Der aber, ein wenig abwesend, murmelte nur „Na ja…“
Ein anderer Wiener ergriff das Wort: „I hab amal in der Krone glesn, wie ana zu Weihnachten a Brieftaubn gmacht hat.“ Die Steirer schauen ihn verständnislos an. „An Geldbriefträger hat er ausgraubt! Nachher san ihm Gewissensbisse kumman und er hat fast alls der Post wieda zruckzahlt. Indem er Briefmarken kauft hat.“
Einer der Steirer versuchte einzugreifen. „Mir könntn ja…“
„Niiix!“, brüllte der Abteilungsleiter. Euch geht’s nur um Gselchts und Schnitzl! Aus! Fahrts ham! Die Post is schon mit vül blödere Situationen fertig wordn. Da wird uns des Bissl rätselhafte Portohausse net umbringen. Aus! Fahrts ham und fallts net!“
„Herr Direkta, könnan ma mourgn fahrn? Wann ma mitn näxsten Zug hoamfoan, samma um Mitternocht in Graz. Dou hout schoun olls zua.“
Der Abteilungsleiter verließ wortlos den Verhandlungstisch. Die Steirer fassten das als Zustimmung auf und vertrauten den weiteren Ablauf des Abends den ortskundigen Wiener Kollegen an.
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